Die größte Oppositionspartei der Türkei, die CHP, hat ihren Vorsitzenden Özgür Özel im Amt bestätigt. Der 50-Jährige erhielt auf einem außerordentlichen Parteitag in Ankara 1.171 von 1.276 Stimmen. Es gab keinen Gegenkandidaten. Die Abstimmung fand unter dem Eindruck der Absetzung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu und der anschließenden Proteste statt.

Özel nutzte den Parteitag für eine politische Botschaft an Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Er forderte Neuwahlen „bis spätestens November“ und kündigte an, İmamoğlu werde bei der nächsten Präsidentschaftswahl der Kandidat der Opposition sein. „Wir werden Ihnen trotzen, wir wollen unseren Kandidaten an unserer Seite haben“, sagte Özel.

Sorge vor Einsetzung eines Treuhänders

Mit dem Sonderparteitag reagierte die Partei auch auf Spekulationen über eine mögliche Einsetzung eines staatlichen Treuhänders. Eine solche Maßnahme sei mit der Wahl Özgür Özels nicht abgewendet, teilte die stellvertretende Parteivorsitzende, Gamze Taşcıer, mit.

Hintergrund der Diskussion sind Ermittlungen gegen die CHP wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei einem Parteitag im Jahr 2023. Laut Vorwürfen sollen Delegierte damals durch Geschenke oder Geld beeinflusst worden sein. Die Partei weist diese Anschuldigungen zurück.

Proteste in Ankara und Istanbul

Daneben diente der Parteitag laut CHP vorrangig der Forderung nach İmamoğlus
Freilassung. Seit dessen Festnahme und anschließender Verhaftung steht die CHP an der Spitze einer regierungskritischen Protestbewegung. Beobachter werfen den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten vor, im Auftrag der Regierung politisch zu agieren und gezielt gegen die Opposition vorzugehen.

Die CHP rief zu Boykotten mutmaßlich regierungsnaher Marken auf und
mobilisierte Hunderttausende zu Demonstrationen. Für Sonntagnachmittag waren Großkundgebungen in Ankara und Istanbul angekündigt.

Neben İmamoğlu wurden am Tag seiner Festnahme auch weitere Personen aus seinem Umfeld festgenommen, darunter Unternehmer und Funktionäre der Stadtverwaltung. In Istanbul wurde am Nachmittag auch gegen die Inhaftierung von Mahir Polat demonstriert, dem stellvertretenden Generalsekretär der Istanbuler Stadtverwaltung. Sein Anwalt fordert dessen Freilassung aus gesundheitlichen Gründen.

Mehr zum Thema

Türkei:
Noch hält Erdoğans wichtigste Stütze

Z+ (abopflichtiger Inhalt);

Mithat Sancar:
„Für einen nachhaltigen Frieden brauchen wir Demokratisierung“

Proteste in der Türkei:
Türkischer Frühling