Allerdings seien viele Mülleimer auch unglücklich konzipiert, sagt Frank Gugenberger. Ihre Öffnungen seien einfach zu klein: „Pizzaschachteln oder Fastfood-Tüten passen da gar nicht durch.“ Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
Von wegen Kehrwoche: Stuttgart-West sei völlig vermüllt, meint Frank Gugenberger. Mit einer Initiative will er ein Areal einige Tage blitzblank halten – und so langfristig etwas ändern.
In Stuttgart liegen überall Geldscheine auf dem Boden. Fast nirgendwo kann man hintreten, ohne dass sie unter den Schuhen kleben bleiben – zumindest im übertragenen Sinne. Wer Kaugummis und Zigarettenstummel in Stuttgart achtlos wegwirft, zahlt 98,50 Euro Strafe – sofern er oder sie erwischt werden.
Schwäbische Sauberkeit? Kehrwoche war gestern
Das passiert jedoch selten. Im vergangenen Jahr musste die Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) den öffentlichen Raum von 3700 Tonnen Müll befreien. In den städtischen Abfallkörben hingegen landeten nur 1600 Tonnen.
Frank Gugenberger sieht jeden Morgen auf seinem Weg zur Arbeit vom Superblock in Richtung Feuersee hässliche Hinterlassenschaften; deshalb hat er sich vorgenommen, etwas dagegen zu unternehmen. Seit 2003 wohnt der Physiker und IT-Berater im Stuttgarter Westen. Kam er einst mit dem Klischee der Kehrwoche im Kopf in die schwäbische Landeshauptstadt, so hat sich dieses Bild inzwischen ins Gegenteil verkehrt. Ein Spaziergang durch Schwabstraße und Augustenstraße verdeutlicht, was er meint.
Sperrmüll verschlafen? Diese Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
Neben den Kippen und Kaugummis liegen zerknüllte Einkaufsbons und Kaffeebecher, aufgeplatzte gelbe Säcke, an einer Hauswand lehnt eine versiffte Matratze, um die Ecke wartet ein angedickter Hundehaufen. Verstreue Taschentücher vor der ehemaligen Südwestbank-Filiale sind schlechte Werbung für das Unternehmen, dessen Logo noch an der verdreckten Fassade prangt. Ein Stück weiter stapeln sich fettige Pizzakartons auf einer Parkbank. Daneben vertilgt ein Haufen Maden vergammelte Essensreste. Emsig säubern die Tierchen ihre Umwelt. Von vielen Menschen lässt sich das nicht behaupten, findet Frank Gugenbeger.
„Ich bin kein Sauberkeitsfanatiker“, verteidigt sich der 58-Jährige gegen mögliche Spießer-Vorwürfe. „Aber so was verdirbt mir den Spaß an öffentlichen Plätzen.“ Im Oktober 2024 macht er seinem Ärger auf dem Nachbarschaftsportal nebenan.de Luft – und erntet prompt eine Welle der Zustimmung. Geteiltes Leid ist halbes Leid, ändert aber die Umstände nicht.
Stuttgart-West: Der Nachbarschaft stinkts
Daher gründet Gugenberger kurzerhandeine Bürgerinitiative für mehr Sauberkeit in Stuttgart-West. Unter dem Namen „Schön hier! Oder?“ teilen mittlerweile zwölf aktive Ehrenamtliche sein Anliegen: Hier und da Aufheben, vor allem aber viel Aufhebens um das Thema machen.
Die neue Initiative „Schön hier! Oder?“ will den Stuttgarterinnen und Stuttgartern den Mehrwert einer sauberen Stadt verdeutlichen. Foto: Frank Gugenberger/privat
„Wir sind keine Müllsammler aus Leidenschaft“, stellt der Initiator klar. Er schätze den Glanzeffekt anderer ehrenamtlicher Müllsammelaktionen Let’s Putz – diese würden immerhin die Symptome der Abfallproblematik eindämmen.
Auch die Stadt begegne der Herausforderung mit mehr Reinigungspersonal und Abfalltonnen bereits offensiv, aber ohne Engagement der Zivilgesellschaft habe sie keine Chance. Dafür seien die Flächen zu groß – und auch die Wegwerfmentalität.
Letztere sieht Frank Gugenberger als die eigentliche Ursache der Müll-Situation, und genau da will seine Initiative ran. Es brauche einen nachhaltigen Bewusstseinswandel, um Müll zu vermeiden – oder wenigstens richtig zu entsorgen.
Gugenbergers Initiative will als Vorreiter eines solchen Wandels auftreten. Aktuell basteln die Ehrenamtlichen an ihrer Internetpräsenz, erstellen Flyer, diskutieren Strategien. Ihre Ansätze:
- 1) Eine engere Vernetzung zwischen Bürgerinitiativen, Stadt und AWS: Hierzu hat sich Frank Gugenberger bereits an den Bezirksvorsteher Bernhard Mellert (Grüne) gewandt, auch der sieht in Stuttgart „ein gravierendes Müllproblem“. Über Mellert hat die Initiative Kontakt mit der AWS knüpfen können und in Mitarbeiter Udo Hofmeister einen persönlichen Ansprechpartner für künftige Projekte gefunden.
- 2) „Stadtverschönerer“ etablieren: Diese könnten wie in Überlingen von der Stadt mit Westen und Material ausgestattet werden und – vielleicht gegen eine kleine Aufwandsentschädigung – regelmäßige Präsenz für mehr Sauberkeit zeigen.
- 3) Konsequente Ahndung von Müllsün den: Selbst einzuschreiten, traut sich Gugenberger oft nicht – wegen teils aggressiver Reaktionen. Müll auf der Straße einfach fallen zu lassen, werde oft zu einem Akt der Provokation, beobachtet Mellert: „Dabei nehmen die Täterinnen und Täter den Rechtsstaat nicht ernst.“ Die Behörden würden die eigenen Regeln nicht konsequent anwenden und so an Glaubwürdigkeit verlieren. AWS-Mitarbeiter Hofmeister bemängelt, dass die Straßenreinigung in Deutschland keine Bußgelder verteilen dürfe. „Bis das Ordnungsamt kommt, sind die Verantwortlichen weg.“
- 4) Ein Modellversuch: Anfang Juli wollen die Ehrenamtlichen ein räumlich begrenztes Gebiet wie den Bismarckplatz rund eine Woche lang so sauber wie möglich halten. Denn Dreck ziehe mehr Dreck an, das sei wissenschaftlich erwiesen. Ein Teufelskreis, den die neue Initiative „Schön hier! Oder?“ durchbrechen möchte: „Mit diesem Beispiel wollen wir die öffentliche Wahrnehmung für den Wert einer sauberen Umgebung stärken.“
Veränderung beginne häufig im Kleinen, direkt vor der Haustür, sagt Frank Gugenberger. Er hofft auf den berühmten Schmetterlingseffekt: „Im Idealfall verselbstständigen sich unsere Ideen, sodass wir uns am Ende selbst abschaffen.“
Initiative ergreifen in S-West
Kontakt
Wer Frank Gugenbergers Vision unterstützen möchte, kann sich per Mail bei ihm melden: schoenhieroder@web.de.