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Dr. Marcus Weidner Dr. Lukas Grawe Warstein Die Toten von Meschede Erschießungen im LangenbachtalDr. Marcus Weidner sprach in der Buchhandlung Dust über seine Forschungen, die Rekonstruktion der Verbrechen und die Erinnerungskultur in Warstein. © Lange, Alexander

Im März 1945 wurden in Warstein, Eversberg und Suttrop 208 Zwangsarbeiter ermordet. LWL-Historiker Dr. Marcus Weidner hat seine Forschungen über Verbrechen, Prozesse und Erinnerungskultur nun zu Papier gebracht – und bereits weitere Pläne für Warstein.

Warstein/Münster – Wie viele Besuche in Warstein es letztendlich waren? „Es waren in jedem Fall etliche“, sagt Dr. Marcus Weidner. Über die Jahre habe er die Stadt gut kennengelernt, „alle Straßennamen kenne ich aber auch noch nicht“. Vor allem hat er aber die Menschen kennengelernt. Die, die sich mit Heimatgeschichte auskennen, die darüber geschrieben haben. Und die, die sie miterlebt haben, die davon erzählen können und konnten. Insbesondere von den Geschehnissen rund um die Erschießungen im Langenbachtal, in Suttrop und Eversberg im März 1945, wo 208 Zwangsarbeiter – Frauen, Männer, Kinder und ein Säugling – ermordet wurden. Aber auch von der Aufarbeitung, der Erinnerungskultur bis in die 1990er Jahre. „Es ist gut, solche Menschen im Ort zu haben, sie waren eine große Hilfe bei meiner Arbeit“, so Weidner im Nachgang: „Ich habe durchgehend Unterstützung erfahren.“

Am Dienstagabend war Weidner wieder in Warstein, unterm Arm fast 1 000 gebundene Seiten mit dem Titel „Die Toten von Meschede“ – die wissenschaftliche Aufarbeitung der Verbrechen, die sich in Warstein und seiner Nachbarschaft ereigneten. Die Dicke des Buches erklärte Weidner mit den aufwendigen Recherchen, tausenden Akten und „internationalen Verflechtungen“. So reiste er unter anderem nach Washington und London, weil dort Akten von Militärs und Geheimdiensten über das, was in Warstein passierte, lagern.

Rückblick auf LWL-Ausstellung

„Es waren die schwerwiegendsten Kriegsendphaseverbrechen außerhalb von Gefangenenlagern, Konzentrationslagern und Todesmärschen“, so Weidner. In seinem Buch geht es aber nicht allein um die Erschießungen, sondern ebenso die Prozesse nach 1945 und das Narrativ der folgenden Jahrzehnte. Für die Warsteiner, so schilderte Weidner am Dienstagabend, waren es anfangs „nicht unsere Toten“ – so ist auch das achte Kapitel seines Buches überschrieben. Auch deshalb sei in der Nachkriegszeit nicht darüber gesprochen und erst spät daran erinnert worden.

Stadtarchivar Dr. Lukas Grawe führte in die Buchvorstellung und Lesung in der Buchhandlung Dust ein. Etwa 20 Interessierte waren der Einladung gefolgt, darunter auch einige auswärtige Geschichtsinteressierte. „Die Stadt hat ihre Verantwortung erkannt“, blickte Grawe dabei auch auf die zurückliegende LWL-Ausstellung im Museum Haus Kupferhammer zurück, die für großes Besucherinteresse gesorgt hatte.

Auch die Stadt hat erst 1985 ihr historisches Erbe anerkannt.

208 erschossene Zwangsarbeiter in den Nächten vom 20. auf den 23. März 1945. Zuerst im Langenbachtal, dann in Eversberg und in Suttrop. Unter einem Vorwand wurden sie von der „Division zur Vergeltung“ unter dem Kommando des SS-Obergruppenführers Hans Kammler aus den Lagern geholt, dann kaltblütig erschossen und verscharrt.

Durch Zufall auf Thematik gestoßen

Mehr oder weniger zufällig habe Weidner vor zehn Jahren von den Massenmorden erfahren, bis heute habe ihn das nicht mehr losgelassen, schilderte er. Die Forschungen seien mit seinem Buch nun nicht abgeschlossen, wohl ist aber kaum ein einzelnes Ereignis mitsamt seiner erinnerungskulturellen Aufarbeitung in den Folgejahren so minutiös rekonstruiert, wie nun die Erschießungen der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Polen und Russland. Es sei „ein sensibles Thema“, das Distanz brauche, sagte Weidner. Das habe er auch darin erkannt, wie vor einigen Jahrzehnten noch mit dem Thema umgegangen worden sei. Nämlich teilweise gar nicht, wie beispielsweise in der Festschrift der Stadt Warstein zum 700-jährigen Jubiläum 1976, wo die Erschießungen keine Erwähnung finden.

Dabei habe man innerhalb der Bevölkerung von den Erschießungen im Langenbachtal schon kurz nach der Tat gewusst, öffentlich aber nicht darüber gesprochen, so Weidner. Es war seinerzeit auch ein Makel der Heimatgeschichte. Erst ab den 1980er und 1990er Jahren, als auch vermehrt über Prozesse und Opfer gesprochen wurde, sei es, wenn auch „von unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Akteuren geprägt“, so Weidner, zu Gedenk- und Erinnerungskultur gekommen: „Auch die Stadt hat erst 1985 ihr historisches Erbe anerkannt.“

Schulbuchprojekt und Erinnerungspfad

Warum all das persönliche und organisierte Erinnern erst so spät passierte? Weil es im Narrativ keine Warsteiner Toten waren, sondern fremde Zwangsarbeiter, die zwar vor Ort untergebracht waren, ansonsten aber keine Bindung zum Ort hatten, vielfach als Kriminelle und Plünderer bezeichnet wurden, so Weidner im Rahmen der Lesung. Sie hatten keine Fürsprecher, die Warsteiner kaum eine Beziehung zu ihnen. Wenngleich die Art und Weise der – anfangs auch fehlenden – Erinnerungskultur kein rein Warsteiner Phänomen war, sondern vielfach in ganz Deutschland so passierte.

Nicht nur die Verbrechen seien thematisch spannend, sondern eben das Narrativ, der Umgang damit, schilderte Dr. Marcus Weidner am Dienstagabend. Beispielsweise soll es in einem kommenden Schulbuchprojekt um den Umgang mit den Themen Flucht, Migration, Rassismus, Gewaltbereitschaft und Erinnerungskultur am Beispiel der Ereignisse rund um die Zwangsarbeiter-Erschießungen gehen. Zudem möchte Weidner, wie schon seinerzeit bei der Pressekonferenz zu den Ausgrabungen in Warstein, Suttrop und Eversberg geschildert, einen Informationspfad erstellen, der an die Taten und Tatorte erinnert: „Es war nicht einfach nur ein Massenmord.“