Offenbar als Reaktion auf Sanktionsdrohungen von US-Präsident Donald Trump soll am kommenden Montag in Istanbul eine zweite Gesprächsrunde zwischen Russland und der Ukraine stattfinden. Ein entsprechendes Angebot hat Russlands Außenminister Sergej Lawrow am Mittwochabend in Moskau gemacht. Kiew ging darauf ein. Die Positionen und das Vorgehen Moskaus an der Front sprechen allerdings dafür, dass es Wladimir Putin mit dem Treffen mehr darum geht, Zeit zu gewinnen, als einen Waffenstillstand oder gar Frieden zu schließen.

Nachdem US-Präsident Donald Trump den russischen Machthaber am Sonntag wegen der heftigen Angriffe auf zivile Ziele in der Ukraine für „verrückt“ erklärt und am Dienstag hinzugefügt hatte, Putin spiele „mit dem Feuer“, reduzierte Moskau schlagartig die Zahl seiner Raketen- und Drohnenangriffe.

Moskau hält seine Forderungen für einen Friedensschluss zurück

Hatte Moskau in der Nacht zum 26. Mai noch 364 Drohnen und neun Marschflugkörper abgeschossen, waren es danach deutlich weniger: Die ukrainische Luftwaffe zählte 88 Angriffe mit Shahed-Bombendrohnen und fünf mit ballistischen Raketen in der Nacht zum 28. Mai und 90 Shahed-Drohnenangriffe in der Nacht auf den 29. Mai. Die Ukraine griff ihrerseits offenbar erfolgreich mehrere Produktionsstätten von Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen und anderem Militärgerät in der Region Moskau an, bestätigte das Institut für Kriegsstudien in Washington.

An einem Waffenstillstand als Vorstufe für einen Friedensvertrag ist Moskau nicht interessiert, bekräftigte Außenminister Lawrow schon vor Tagen. Während die Ukraine bereits ein Memorandum mit Vorstellungen für einen Friedensschluss an Moskau und Washington übergeben hat, wie US-Sondergesandter Keith Kellogg am 27. Mai bestätigte, fehlt ein Moskauer Memorandum bisher. Lawrow zufolge soll die Moskauer Position erst beim Treffen am 2. Juni selbst bekannt gegeben werden – ein bei diplomatischen Verhandlungen ebenso unübliches wie rüdes Vorgehen.

Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge, der sich auf drei hochrangige russische Quellen beruft, verlangt Putin nach wie vor die volle Kontrolle über die Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja. Bisher kontrolliert Moskau nur die Region Luhansk fast vollständig und die Region Donezk zu gut zwei Dritteln. In Saporischschja und Cherson ist die Kontrolle noch geringer. Dort sind vor allem die wichtigen Großstädte Cherson, Saporischschja und Dnipro in der Hand Kiews.

Außerdem sollen westliche Länder nach den Vorstellungen Putins eine schriftliche Garantie abgeben, dass die Nato sich nicht weiter nach Osten ausweitet. Dies würde nicht nur der Ukraine, sondern auch Ländern wie Moldawien, Georgien oder Aserbaidschan die Möglichkeit nehmen, je dem westlichen Verteidigungsbündnis beizutreten. Der Kreml verlangt überdies die Neutralität der Ukraine und die Wiedereinführung des Russischen als zweite Amtssprache. Russischsprachige Parteien und Organisationen waren vor dem Krieg eines der wichtigsten Einfalltore Moskaus in der Ukraine und im ukrainischen Parlament und Präsidialamt.

Moskau fordert dem Reuters-Bericht zufolge auch, dass alle westlichen Sanktionen aufgehoben und Hunderte Milliarden Dollar freigegeben werden, die die russische Zentralbank im Ausland angelegt hatte und welche eingefroren wurden. Der Kreml glaube, „dass Russland noch Jahre weiterkämpfen kann, egal welche Sanktionen und wirtschaftlichen Schmerzen durch den Westen auferlegt werden“.

US-Präsident Trump wich am Mittwoch einer Frage nach neuen Sanktionen aus und sagte, es werde noch „eine, eineinhalb, zwei Wochen“ dauern, bevor man sehe, ob Putin ihn vorführe oder nicht.

Putins Berater Juri Uschakow behauptete, Trump sei „nicht ausreichend informiert“; Russland greife ausschließlich militärische Ziele und Infrastruktur an. Tatsächlich gingen die Bilder zerstörter Wohnhäuser in den vergangenen Tagen um die Welt. Und unabhängige Forscher berichten, dass Russland Zivilisten systematisch mit Drohnen töte.

Eine Untersuchungskommission berichtet von systematischen Drohnenangriffen auf Zivilisten

Die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission für die Ukraine hat dem UN-Menschenrechtsrat am Mittwoch den Bericht „Sie jagen uns: Systematische Drohnenangriffe auf Zivilisten in Cherson“ vorgelegt. Der Report beschreibt, dass Drohnenpiloten der russischen Streitkräfte seit Juli 2024 vom östlichen Ufer des Dnjepr-Flusses aus systematisch fast 150 Zivilisten in Cherson und 16 anderen Orten auf der westlichen Seite des Flusses mit bombenbestückten Drohnen ermordet und Hunderte weitere verletzt hätten. Die Angriffe seien „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Kriegsverbrechen“, so die Experten.

Unterdessen bereitet Russland nach ukrainischen und US-amerikanischen Erkenntnissen eine Sommeroffensive vor, um zumindest die Region Donezk mit den Garnisonsstädten Konstantinowka, Kramatorsk und Slowjansk unter Kontrolle zu bekommen. Den USA zufolge soll Russland dafür weitere 125 000 Soldaten an der Nord- und Ostgrenze der Ukraine zusammengezogen haben, so die Washington Post.

Laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij befinden sich 50 000 russische Soldaten an der Grenze zur Nordregion Sumy. Dort und auch in der Nachbarregion Charkiw will Russland Putin zufolge eine „Pufferzone“ schaffen, also ukrainisches Territorium besetzen. Für Charkiw hatte Putin dies schon am 17. Mai 2024 angekündigt, war aber am ukrainischen Widerstand gescheitert. Das Vorgehen in den Regionen Charkiw und Sumy, wo Russland schon etliche Dörfer besetzt hat, solle ukrainische Kräfte binden, damit der Vorstoß in der Region Donezk bessere Chancen hat. Dort haben russische Einheiten dem Institut für Kriegsstudien in Washington zufolge zuletzt spürbare Gewinne bei den Städten Torezk und vor Konstantinowka erzielt.