Mehr als 10.000 Menschen im Großraum München leben in Altersarmut. Der Großteil von ihnen sind Frauen. Eine Münchnerin erzählt vom monatlichen Kampf ums Überleben.

Annette Huber (Name von der Redaktion geändert) sitzt in ihrer Wohnung in Neuperlach und weiß nicht, wovon sie die neue Winterjacke, die sie dringend braucht, bezahlen soll. Die heute 68-Jährige hadert mit sich. Sie will nicht betteln, wie sie es nennt. Aber sie benötigt Unterstützung. Also nimmt sie Zettel und Stift zur Hand und verfasst einen Brief. Empfänger ist der Verein Lichtblick Seniorenhilfe. Hier hofft sie, finanzielle Unterstützung zu bekommen.

Den Entschluss, nach Hilfe zu fragen, fasste Huber im Oktober 2020. Kurz nachdem sie sich per Brief an den Verein gewandt hatte, bekam sie einen Anruf. Nachdem sie einen Antrag auf Unterstützung ausgefüllt hatte, erhielt sie kurz darauf das Geld für eine neue Winterjacke. Zu einem späteren Zeitpunkt ging dann Hubers Kühlschrank kaputt. Einen neuen hätte sie sich von ihrer spärlichen Rente unmöglich leisten können. Sie bat den Verein erneut um Hilfe. Der unterstützte sie auch in diesem Fall und so konnte sich die Münchnerin ein neues Gerät zulegen.

„Altersarmut ist weiblich“, sagt Christina Meyer, die für die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins zuständig ist. Der Frauenanteil der Senioren, die der Verein mit Standorten in München, Deggendorf und Münster unterstützt, liege bei 70 Prozent. Dadurch, dass viele von ihnen Teilzeitjobs hatten, damit sie sich um die Kinder kümmern konnten, fehle ihnen heute ein erheblicher Teil bei der Rente.

Seit fünf Jahren ist Annette Huber nun in Rente. Seitdem ist sie bei Lichtblick. „Die Engel ohne Flügel“ nennt sie die Helfer des Vereins. Oft muss die 68-Jährige im Supermarkt entscheiden, was sie gerade dringender braucht: Ist es das Deo oder ein Netz Mandarinen? Und das, obwohl Huber bereits viele Produkte im Angebot kauft. „Ich kaufe selten Fisch oder Fleisch – das ist zum Luxus geworden.“ Und wenn sie doch mal Fisch haben möchte, dann nehme sie den aus der Dose.

Die Rente der Münchnerin wird mit der Grundsicherung aufgestockt. „Meine Rente würde ansonsten nicht mal für die Miete reichen“ – und das, obwohl Huber bereits seit 41 Jahren in ihrer Wohnung in Neuperlach wohnt und einen alten Mietvertrag hat. Vom Verein bekommt die 68-Jährige regelmäßig Unterstützung in Form von diversen Gutscheinen, beispielsweise für Lebensmittel. Für sie ist es eine „schnelle und unbürokratische Hilfe“. Als sich Huber vor fünf Jahren an den Verein gewandt hat, war es „eine große Überwindung“ für sie. „Man kommt sich vor wie ein Bettler und das, obwohl man sein ganzes Leben lang gearbeitet hat.“

Lydia Staltner, Gründerin des Vereins, sieht die Schuld für das Problem bei der Politik: „Das Thema Altersarmut muss mehr in den Fokus rücken. Es fehlen kleine, bezahlbare Wohnungen.“ Sie fordert eine Mindestrente in Höhe von 1.500 Euro netto und dass das Wohngeld bei steigenden Mieten aufgestockt wird – „ohne dass die Leute zum Bittsteller werden müssen“.

Im Gründungsjahr 2003 unterstützte der Verein insgesamt 70 Rentnerinnen und Rentner. 2024 waren es bundesweit 31.000. Eine besorgniserregende Steigerung, gerade in den vergangenen Jahren. 2020 waren es noch rund 16.000 Hilfebedürftige – das beutetet einen Anstieg um 94 Prozent in vier Jahren. Rund 50 neue Anträge gehen wöchentlich bei dem Verein ein. „Wir werden regelrecht überrannt“, sagt Staltner.

Der „finanzielle Engpass“ jeden Monat sei für Huber sehr belastend. „Ich bin froh, wenn der Monat geschafft ist.“ Deshalb hat sie sich nun dazu entschlossen, noch einmal berufstätig zu werden. Ein Minijob soll helfen. Damit will sich die Münchnerin ein wenig dazuverdienen, um künftig am Monatsende nicht bangen zu müssen, dass sie kein Geld mehr fürs Essen hat. Ihr langfristiges Ziel: nicht mehr auf die Unterstützung des Vereins angewiesen sein zu müssen.