Was für ein Buch, was für ein wilder Ritt, was für ein halsbrecherischer Mix aus Agenten-Thriller, Öko-Drama und genereller Zivilisationsschelte. Alles geht den Bach runter, doch für all die multiplen Malaisen hat Sadie Smith nur Zynismus übrig – und wenn es allzu schlimm wird, schüttet sie Wein in sich hinein. Smith ist eine Art US-007, Ex-CIA-Agentin, die jetzt auf eigene Faust arbeitet. Das hat viele Vorteile, vor allem muss man sich an keinerlei Vorgaben und Gesetze mehr halten.
Für einen namenlosen Auftraggeber soll Smith eine angeblich oder tatsächlich radikale landwirtschaftliche Genossenschaft irgendwo im Nirgendwo von Südfrankreich infiltrieren. Der Hintergrund der Story beruht auf Tatsachen: Den Bau von „Megabassins“, die nur „Megalandwirten“ zur Verfügung stehen und zudem das Ökosystem aus dem Gleichgewicht bringen, wollen die Radikalinskis verhindern. Das wiederum soll Smith, Sadie Smith verhindern. In Teilen Frankreichs ist es wegen des „Wasserkrieges“ bereits zu Aufständen und Gewalt gekommen. Erschwerend für die skrupel- und gewissenlose Agentin, die sich kurioserweise immerzu damit brüstet, große Brüste zu haben, kommt hinzu, dass die kleinen, einheimischen Bauern – viele sind es ohnehin nicht mehr – auf der Seite der Anarchisten stehen.
„See der Schöpfung“ ist ein sowohl sprachlich als auch thematisch hochspannendes, denkmutiges Buch, das völlig zu Recht auf der Shortlist des Booker Prize 2024 stand. In der Jurybegründung heißt es: „Das Elektrisierende an diesem Roman ist die Verknüpfung von aktueller Politik mit einer dunklen Gegengeschichte der Menschheit.“
Hamo sapiens vs. Neandertaler
Doch das nihilistische Fundament der eigenartigen Agentin wird zunehmend erschüttert, ihr moralischer Kompass beginnt allmählich wieder zu funktionieren. Da mag auch mit Bruno zu tun haben. Er, 80 Jahre alt, ist der intellektuelle Kopf der Öko-Anarchisten und hat sich in einer Höhle zurückgezogen. In Internetverbindung gibt es dort aber offenbar, denn sein Mail-Account wurde gehackt, und so wird auch Sadie Smith Zeugein seiner Weltbetrachtungen.
Bruno ist der Überzeugung, dass der Homo sapiens mitnichten das Maß aller Dinge ist, vielmehr schwärmt er von den Neandertalern. Er schreibt: „Wir sind uns alle einig, dass es der Homo sapiens war, der die Menschheit mit dem Kopf voran in die Landwirtschaft, das Geldwesen und die Industrie trieb. Aber das Rätsel, was mit dem Neandertaler und seinem bescheideneren Leben passiert ist, bleibt ungelöst.“
Nicht nur die Welt hat Risse, auch das Weltbild von Sadie Smith wird zunehmend brüchig. Was, wenn die Menschen, die sie überwachen und ausschalten soll, dieser Welt nur Gutes wollen? Und der Feind im eigenen Bett schläft?
Rachel Kushner. See der Schöpfung. Rowohlt, 473 Seiten, 26,50 Euro.

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