Mit Yehor Chyher hat die Regionalligamannschaft der Chemiker ein neues Gesicht dazubekommen. In Leipzig und bei Chemie hat der Ukrainer eine neue Heimat gefunden.

Yehor Chyher hinkt gerade etwas, als er den Alfred-Kunze-Sportpark betritt. Am Tag zuvor hat er für die Chemie-U23 gespielt, bekam dabei einen Schlag aufs Knie. „Tut ziemlich weh, aber ich hoffe, es geht schnell wieder weg“, sagt er.
Hart sein, Schmerzen ertragen: Diese Tugenden bekam er schon früher in die Wiege gelegt, in der Nachwuchsakademie des ukrainischen Traditionsvereins FK Dnipro. „Die Ausbildung dort war sehr oldschool: Man musste Kämpfen bis zum Umfallen. Taktik stand an zweiter Stelle“, erinnert er sich. „Hauptsache, das eigene Tor gut bewachen.“

Flucht ins sichere Deutschland

Yehor Chyher stammt aus dem ukrainischen Dnipro, schon zu Sowjetzeiten als Zentrum der Rüstungs- und Raumfahrtindustrie bekannt. Heute liegt die „Raketenstadt“ mit ihren knapp eine Million Einwohnern nur 100 Kilometer von der Frontlinie entfernt.

Der russische Angriff auf die Ukraine war für ihn ein Schock. Trotzdem verspürt er keinen Hass auf den Aggressor als Ganzes. Nach kurzem Nachdenken sagt er: „Es gibt den Slogan ,Don’t hate the country – hate the government‘. Ich glaube, das trifft es ganz gut.“

Obwohl seine Familie russisch-ukrainisch gemischt ist, stand beim Einmarsch Russlands für ihn außer Frage, wem seine Loyalität galt. „Ich bin in Dnipro aufgewachsen, fühle mich als Ukrainer. Mit Freunden habe ich mich vorbereitet, was wir tun würden, wenn zu einem Einmarsch in Dnipro kommt und wir die Stadt verteidigen müssen.“ Zum Einmarsch war es nicht gekommen, dafür erlebte Yehor Chyher Bombenhagel und Raketenbeschuss. „Manche Raketen schlugen nur einen Kilometer von unserem Wohnhaus entfernt ein. Das war schon sehr beängstigend.“

Im März 2022 zog die Familie – Vater, Mutter, Bruder und Schwester – die Reißleine, verließ die Heimat, flüchtete nach Deutschland. Yehor war erst 16 Jahre alt. Sie übernachteten für ein paar Tage in einem Hotel in Straubing bei München. Yehor und sein damals 14-jähriger Bruder wurden auf Wohnungssuche geschickt. Ohne Erfolg: „Von zehn Haustüren ging nur eine auf, und das war ein Pole, der auch keinen Platz hatte“, sagt Yehor.

Zum Glück hatte sein Vater noch Kontakt zu einem alten Studienkollegen, einem Ukrainer, der schon jahrzehntelang in Leipzig wohnt. „Er hat uns dabei geholfen, im Haus einer deutsch-ukrainisch-jüdischen Familie unterzukommen.“ Die Chyhers beantragten Asyl, und der Antrag wurde gewährt.

In Leipzig und bei Chemie schnell Anschluss gefunden

So traurig er ist, dass er seiner Heimat den Rücken kehren musste, so gut gefällt es ihm seitdem in Deutschland, auch in Leipzig. „Die Menschen sind sehr nett, auch der Staat. Es gab nie Streit, auch keinen Hass mir oder meiner Familie gegenüber“, sagt Yehor Chyher. Er ging viel nach draußen, auf die Leute zu, knüpfte Kontakte, fand Freunde. „Ich wollte mir hier gleich ein Leben aufbauen, nicht nur irgendwo drinnen bleiben. Das ist mir sehr wichtig.“

Schmunzeln muss er, als er erzählt, wie er bei Chemie gelandet ist. Auf einem Basketball-Platz in Leutzsch kam er ins Gespräch mit seinem Kontrahenten und erzählte, dass seine Leidenschaft eigentlich dem Fußball gilt. Auf Google Maps zeigte ihm der Mitspieler den Alfred-Kunze-Sportpark. Yehor verlor keine Zeit und begab sich in Begleitung seines Vaters zu einem Training. „Was wir nicht wussten: Es war das Training der U19. Eigentlich war ich ja noch B-Jugend-Spieler“, sagt Yehor Chyher. Trainer Cenk Gültas ließ ihn dennoch mittrainieren – und der Blondschopf überzeugte sofort. „Nach dem Training kam Cenk zu mir und sagte: ,Gut so, Junge, wir nehmen dich.‘“