Kiel – Sommer an der Ostsee! Während Touristen an den Stränden ihre Badetücher ausbreiten, geht’s unter Wasser zur Sache – mit Neopren, Netzbeutel und Seegras im Gepäck. Hier läuft Deutschlands ungewöhnlichste Pflanzaktion an!
Zum ersten Mal bepflanzen Taucher großflächig ehemalige Seegraswiesen und lassen neue auf dem sandigen Meeresboden entstehen. Pressluftflasche prüfen, Flossen festziehen, Netzbeutel greifen und los geht’s mit der Unterwasser-Gärtnerei.
Die Methode? Simpel, aber mühsam: Sprosse für Sprosse wird per Hand in den sandigen Meeresboden gesetzt. Exakt acht Stück pro Quadratmeter. Die Aktion läuft unter strengem Protokoll, wissenschaftlich überwacht vom renommierten GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Dabei geht’s nicht um Gartengestaltung, sondern um Klimaschutz.
Nachdem die Seegrassprossen aus einer Spenderwiese entnommen wurden, werden sie sortiert, gezählt und auf die Verpflanzung vorbereitet
Foto: Geomar / Sarah Uphoff
Zuvor wurden die eigentlich geschützten Seegrassprossen aus einer nahe gelegenen Spenderwiese entnommen. Natürlich mit Genehmigung vom Umweltministerium. Das Ganze nennt sich „Einzelspross-Transplantation“ und ist die effektivste Methode, das Gras wieder anzusiedeln.
Schulung für die Gärtner. Die Kampagnenleiterin Christin Otto von Sea Shepherd (Organisation zum Schutz der Artenvielfalt und der marinen Ökosysteme) stattet einen freiwilligen Taucher mit Seegrassprossen aus
Foto: Geomar / Sarah Uphoff
Der CO₂-Speicher des Meeres
Warum ist ausgerechnet unter Wasser der grüne Rasen so wichtig? „Seegras ist ein wahres Multitalent. Es bietet wichtige Lebensräume für Fische und andere Lebewesen, stabilisiert das Sediment, beruhigt Wellen und filtert Krankheitserreger aus dem Wasser. Vor allem aber bindet es sehr effektiv und langfristig Kohlenstoff. Damit zählen Seegraswiesen zu den bedeutendsten natürlichen CO₂-Senken unserer Küstengewässer“, erklärt der Biologe und Forschungstaucher vom GEOMAR, Christian Lieberum.
Der Biologe Christian Lieberum (44) koordiniert am GEOMAR das Renaturierungsprojekt von Seegraswiesen in der Ostsee
Foto: Geomar / Sarah Uphoff
Zu hohe Nährstoffeinträge und daraus resultierendes übermäßiges Algenwachstum, mechanische Störungen, etwa durch Anker sowie steigende Wassertemperaturen, haben in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass Seegras vielerorts verschwunden ist.
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„Die freiwilligen Taucher kommen aus ansässigen Tauchschulen und Meeresschutz-Organisationen, besitzen einen Sporttauchschein. Die Aktion hat sich im Laufe der langjährigen Planung herumgesprochen, und so haben sich immer mehr Interessenten gemeldet“, sagt die Kampagnenleiterin Christin Otto. Doch bevor sie selbst zur Pflanzaktion abtauchen, durchlaufen sie eine spezielle Schulung. Die Teilnehmenden lernen alles über das Seegras und wie man es fachgerecht im Boden verankert. Jeder ausgebildete Taucher darf dann vier weitere zur Pflege der Meereswiese mitnehmen.
Dr. Angela Stevenson vom GEOMAR bei der Untersuchung einer Seegraswiese
Foto: Thorsten Reusch/GEOMAR
2025 ist der erste Sommer, in dem die geschulten Unterwassergärtner eigenständig auf neun ausgewählten Feldern pflanzen – wissenschaftlich begleitet. Ein kleiner Tauchgang mit großer Wirkung.
Wer sich an dem Gartenprojekt beteiligen möchte, kann sich per E-Mail bewerben: seagrass-group@geomar.de