„Hunger. Satt. Hunger. Satt“, wiederholt die monotone Stimme aus dem Lautsprecher. Nikolai Vogel kniet mitten im Saal, in der Hand einen Zettel. „Mehr oder weniger?“, fragt er in den Raum. Es geht um Ateliers, Bezahlung, Champagner, Demokratie. Systematisch arbeitet sich der Münchner Künstler durch das Alphabet. Wonach hungert die Kulturszene? Was haben die Künstlerinnen und Künstler satt? „Mehr Zukunft“, postuliert Vogel schließlich und legt damit den Grundstein für die Diskussionsrunde.

Einen Tag lang ist die freie Szene in der Monacensia zu Hause. Tagsüber informieren Lesereihen, Schreibwerkstätten und Zeitschriften aus München beim Open House über ihr Angebot. Die anschließende Diskussionsrunde trägt das Motto: „Recht auf Stadt“. Lisa Jay Jeschke und Chris Reitz haben gemeinsam die Münchner Schiene des Literaturfests kuratiert. Gleich zu Beginn wird klar: Es geht um mehr als die Sorgen und Nöte der Kultur. Es geht um Widerstand gegen wuchernde Mieten, um schwindende Freiräume für Kunst, Kultur und Natur.

Irene Götz, Professorin für empirische Kulturwissenschaft und europäische Ethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, geht es nicht primär um die Kultur. In ihrem Buch „Kein Ruhestand. Wie Frauen mit Altersarmut umgehen“, beschäftigte sie sich 2019 mit dem Tabu der Prekarisierung, also der drohenden Armut und sozialen Ausgrenzung.  Einerseits seien da die Best Ager, zahlungskräftige Seniorinnen mit Luxusvillen, andererseits die Flaschensammlerinnen, deren magere Rente keine Münchner Wohnung erlaubt, geschweige denn, Teilhabe an der Kultur. Die Folge: Alterseinsamkeit auf dem Land.

Auch Nikolai Vogel fürchtet die Verdrängung aus den Städten. Man werde ja nicht mit offenen Armen empfangen. „Innenstädte stehen leer und verfallen“, beklagt der Künstler und Sprecher der Platform-Ateliers in Obersendling, „aber Eigentümer lassen Objekte lieber leer stehen, als sie billiger zu vermieten“. Den seit 2009 existierenden Platform-Ateliers droht seit vergangenem Jahr das Aus. Schuld seien das klaffende Haushaltsloch und die damit einhergehenden Sparmaßnahmen im Kulturbereich. Die Diskussionsteilnehmer beklagen umfassende Kürzungen; dabei bräuchte es noch dringend mehr Förderung.

Auf die Frage, ob man von seiner Kunst leben könne, gebe es keine zufriedenstellende Antwort, meint Vogel. Verneinung und Zustimmung würden seiner Erfahrung nach gleichermaßen Unglauben hervorrufen. Dass viel Arbeit unbezahlt bleibt, sei die Regel, berichtet die Münchner Autorin Christina Madenach. Sie kuratiert die Lesereihe „Lix“ im HochX und leitet eine Romanwerkstatt. Die eigene Kreativität, soweit nicht überlebenswichtig, bleibe hintangestellt.

Für die Anwesenden ist Prekarisierung kein Fremdwort. Hie und da hört man ein müdes, sarkastisches Lachen. „Wir haben keine Lobby“, bemerkt Nikolai Vogel trocken. Doch mit einer solch niederschmetternden Erkenntnis kann und will man sich an diesem Abend nicht zufriedengeben. Christina Madenach fordert mehr Sicherheit bei der Planung von Kulturprojekten, mehrjährige Förderungen und niedrigschwellige Anträge. Es soll mehr Raum für Inklusion, Experimente und faire Honorare geben. „Wie viele Menschen gibt es, die potenziell schreiben, Theater spielen wollen?“, fragt sie. Recht auf Stadt heiße auch Recht auf Kulturmachen.

Für Aufbruchstimmung sorgt eine, die nicht zur Diskussionsrunde gehört. Gleich zweimal unterbricht Monika Pfundmeier aus dem Publikum die Runde. Die Autorin ist im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller Bayern aktiv. Leidenschaftlich wirbt sie dafür, in Gewerkschaften und Verbänden gemeinsam für die Rechte aller Kulturschaffenden einzutreten.

Je schwieriger die Umstände, desto weniger Freiraum bleibe den Betroffenen, sich zu organisieren, so zitiert Irene Götz den französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Doch das sei kein Grund aufzugeben. „Wir müssen Geschichten erzählen, die Spaß und Hoffnung machen“, sagt Vogel. München benötige die Kultur, denn auf ihr fuße die Beliebtheit der Landeshauptstadt. „Vielleicht kann Kunst mehr wachrütteln, als man glaubt“, fügt Götz hinzu, „vielleicht hat Bourdieu doch unrecht.“