Stand: 09.06.2025 19:24 Uhr
Die Norwegerin Emilie Blichfeldt liebt Body-Horror, verzweifelt ihr Leben lang an ihren großen Füßen und an gesellschaftlichen Schönheitsidealen, wie die Regisseurin im Interview über ihren Body-Horror-Film „The Ugly Stepsister“ erzählt.
Acht Jahre lang hat die Norwegerin Blichfeldt an ihrem Regiedebüt „The Ugly Stepsister“ gearbeitet – und erlebt nun international Erfolg und begeisterte Kritiken für ihren Film. Blichfeldt spricht im Interview über gesellschaftliche Zwänge, Schuhgröße 42 und den Look der 1800er-Jahre des Filmes, der auf junges Publikum abzielt.
Blichfeldt dekonstruiert den Mythos der eifersüchtigen Stiefschwester aus „Aschenputtel“ für ihren Body-Horror-Film und fragt aus heutiger Sicht: Warum soll sich Aschenputtels Stiefschwester überhaupt um den Prinzen scheren? Das geht auch anders, so die 34-jährige Regisseurin und Drehbuchautorin im Gespräch mit NDR Kultur.
Bei den Filmfestivals in Sundance und bei der Berlinale ist Ihr Film in die großen Fußstapfen von Coralie Fargeats Oscar-Sieger „The Substance“ getreten. Aus den Reaktionen des Publikums und an der Kinokasse weltweit ist zu sehen: Ihr blutiger Body-Horror-Film-Film kommt gut an!
Emilie Blichfeldt: Auf jeden Fall, das freut uns! Es ist wunderbar zu erleben, wie das Publikum nach Luft schnappt, lacht, sogar spontan in Szenenapplaus ausbricht.
Beim Publikumsgespräch der Berlinale haben Sie dem Premierenpublikum erzählt, dass Sie die Idee zum Film hatten, als sie das „Aschenputtel„-Märchen für sich wiederentdeckt haben. Was haben Sie denn wiederentdeckt? Und was hat Sie zu dieser ekligen Szene gebracht, in der sich die Heldin die Zehen abhackt?
Die Regisseurin Emilie Blichfeldt hat mit ihrem ersten Kinofilm einen Albtraum in Szene gesetzt – über die Stiefschwester von Aschenputtel.
Blichfeldt: Ich träumte von einer jungen Frau, die dachte, sie würde in Aschenputtels Schuh passen. Der Prinz nimmt sie mit auf seinem Pferd. Doch als sie an sich herunterschaut, entdeckt sie, dass ihr Schuh mit Blut vollgelaufen ist. Ich bin sofort aufgewacht – und erinnerte mich daran, dass es in der Grimmschen Originalerzählung so ist, dass sich die Stiefschwester ihre Zehen abhackt, um in den begehrten Schuh zu passen.
Ich konnte mich sofort mit ihr identifizieren. Ich trage Schuhgröße 42 – und habe schon oft in meinem Leben mit Schuhen gekämpft. Ich glaube, viele von uns kennen das Gefühl. Am liebsten hätte ich mir auch ein paarmal die Zehen gekürzt, um in Schuhe zu passen. Tatsächlich kommen viele Zuschauerinnen nach den Filmvorführungen zu mir und erzählen mir von ihren Erfahrungen mit Schuhen – und dass sie sich endlich verstanden fühlen. Viele Leute sagen naiv, ‚dann geh‘ doch einfach in die Männerabteilung im Schuhgeschäft‘, aber so funktioniert das nicht. Ich frage dann immer: ‚Habt ihr euch da schon einmal umgesehen?‘ Nach meinem Traum wusste ich jedenfalls sofort, dass ich aus dieser Szene einen Horror-Film drehen möchte, denn ich bin ein Body-Horror-Fan. Ich finde dieses Genre faszinierend.
Wann haben Sie dieses Genre für sich entdeckt?
Blichfeldt: Ich bin komplett ohne Kino aufgewachsen, bis ich 13 Jahre alt war. Erst dann habe ich angefangen, ins Kino zu gehen. Einer meiner ersten Lieblingsfilme war „Amelie“. Das ist zwar kein Horror, aber schon ziemlich schräg – und für mich steckt in ihm Erotik und Körperlichkeit. Das Genre habe ich etwa 2015 durch David Cronenbergs Film „Crash“ entdeckt – und habe sofort die Körperlichkeit seines Kinos geliebt. Es hat mich weggefegt, ich konnte nicht wegschauen! Ich hoffe, dass das Publikum erkennt, dass ich die Horror-Effekte in „The Ugly Stepsister“ einsetze, um Bedeutung und Metaphern zu überbringen – und sie nicht alleine Splatter-Effekten dienen.
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Äußere Schönheit geht über alles – dafür nimmt eine junge Frau in der norwegischen Horrorsatire, dem Regiedebüt von Emilie Blichfeldt, viel in Kauf.
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Im Publikum hat jemand von Ihnen wissen wollen, ob Sie sich auch ein Happy End für die Hauptdarstellerin hätten vorstellen können, wo die Stiefschwester und der Prinz zueinander finden. Darauf hatten Sie eine eindeutige Antwort: Nämlich ein klares Nein.
Blichfeldt: Auf jeden Fall, denn: Ist ein Prinz wirklich das Maximum, was du dir für dein Leben erträumst? Jemand, der dich vor allem deshalb heiraten möchte, um einen männlichen Erben zu produzieren? Das ist es doch, was diese Märchen uns Mädchen und Frauen einhämmern. Das ist doch die Substanz dieser Geschichten. Die Frauen werden in den Märchen instrumentalisiert, sind Objekt der männlichen Begierde. Das finde ich verstörend.
Ich glaube, daher reagieren die Leute im Publikum so befreit auf meinen Film, weil sie sehen, wie sich der Spieß umdreht – und wir plötzlich mit der Stiefschwester Mitleid haben. Sie will auch nur geliebt werden. Das passiert aber genauso, und das möchte ich betonen, zunehmend Männern und Teenagern. Das darf man nicht vergessen, dass auch sie immer mehr zum Objekt werden. Es ist also kein Zufall, dass es der Film „The Substance“ mit seiner Kritik an der Schönheitsindustrie bis zu den Oscars geschafft hat und nicht irgendwo zu unmöglichen Uhrzeiten in kleinen Kinos läuft.
Er hatte nicht nur Erfolg bei den Filmpreisen beim Filmfest Cannes und bei den Oscars, er war vor allem auch ein Kassenerfolg!
Klappt es doch noch mit dem Prinzen? Elvira (Lea Myren) tanzt mit dem Prinzen Julian (Isac Calmroth).
Blichfeldt: Der Wahnsinn! Das gibt mir Hoffnung, dass die Menschen es leid sind, bestimmten Schönheitsidealen genügen zu müssen und dass es langsam andere Erzählweisen im Kino über Schönheit und das Konzept von Schönheit gibt. Es ist eben kein privates Problem, was Menschen meinen, mit ihrem Körper zu haben, es ist ein gesellschaftliches. Das müssen wir gemeinsam angehen. Die Schönheitsindustrie nutzt sonst unsere Unsicherheiten aus, um sich daran zu bereichern.
Vielleicht können Sie uns erzählen, wie Sie die Kostümwelt in dieser Fantasiewelt erschaffen haben? Sie wirkt wie eine Mischung aus Gothic-Mode und der Serie „Bridgerton„.
Hier soll die Stiefschwester zur Schönheit verwandelt werden – und eine schönere Nase verpasst bekommen.
Blichfeldt: Ja, die Zielgruppe ist eindeutig ein jüngeres Publikum. Ich liebe Kostüme, ich wollte nicht, dass es aussieht wie ein billiger Disney-Film. Ich wollte, dass es aussieht, wie eine reale, grimmige, schmutzige und doch leicht märchenhafte Welt. Die Kostüme mussten dem standhalten, dass sie echte Menschen im Alltag getragen haben könnten.
Für meinen Film habe ich viele Produktionen aus den 70er-Jahren erneut gesehen, wie „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ von Václav Vorlíček, der Klassiker, der viel in Deutschland und auch bei uns in Norwegen zu Weihnachten im Fernsehen läuft. Oder „Die Schöne und das Biest“ des Tschechen Juraj Herz. Diese Inspiration hat auch bewirkt, dass ich meinen Film vom Look her in den 1800er-Jahren angedockt habe.
Das Gespräch führte und übersetzte aus dem Englischen Patricia Batlle, NDR Kultur.
AUDIO: Filmtipp: „The Ugly Stepsister“ (5 Min)
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Dieses Thema im Programm:
NDR Kultur |
Der Morgen |
05.06.2025 | 06:40 Uhr