Herr Jicha, die Saison 2024/25 ist Geschichte. Wie fällt Ihre Saisonanalyse mit dem Gewinn des DHB-Pokals, Platz vier in der Bundesliga und Platz drei in der European League aus?
Das ist ein sehr komplexes Thema. Ich kann so eine Saison nicht einfach mit einer Schulnote bewerten. Was ist Erfolg? Für Außenstehende ist ein Titel ein Erfolg. Für mich als Trainer ist wichtig, dass meine Jungs aus der gegebenen Situation das Beste herausholen. Und da muss ich sagen, dass die Mannschaft in vielen Spielen überperformt hat. Das hat mir gut gefallen. Wir haben einen großen Entwicklungsschritt gemacht und eine Kultur kreiert, die wir fortführen wollen.
Können Sie das näher erläutern?
Bevor die Spieler hierherkamen, wussten viele nicht, was es heißt, für den THW Kiel zu spielen. Hier musst du alle drei Tage performen. Am Sonntag hast du ein Spiel. Am Montag kommst du müde ins Trainingszentrum, bist vielleicht verletzt, hast zwei ausgekugelte Finger und kannst nicht einmal eine Tasse Kaffee heben. Das sind Verletzungen, die sieht man als Außenstehender nicht. Wichtig ist in so einer Situation, nicht preis zu geben, dass du müde bist, dass es dir nicht so gut geht. Du musst weitermachen, das Spiel am Mittwoch in den Fokus rücken. Und das haben die Jungs gemacht. Deshalb bin ich mit der Entwicklung zufrieden. So legst du die Basis, um in der Bundesliga auf Dauer um den Titel mitzuspielen.
Ihr Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Marc Weinstock hatte aber schon vor dieser Saison von der Meisterschaft gesprochen und die Qualifikation für die Champions League gefordert. Hat man als Trainer des THW Kiel denn überhaupt Zeit, etwas zu entwickeln?
Ich habe als Spieler des THW alles gewonnen, was man gewinnen kann. Als Trainer würde ich jetzt natürlich auch gerne Trophäen in die Höhe recken und in der Champions League spielen. Aber wir können nicht drei Schritte überspringen. Es gab Jahre, in denen der Verein über den Möglichkeiten gelebt hat. Das ist jetzt anders. Wir wollen und dürfen im Sinne des THW Kiel nicht mehr Geld ausgeben als wir in der Tasche haben. Aber wir wollen die Lücke zu den Topteams wie Füchse Berlin oder SC Magdeburg weiter schließen. Und dafür müssen die Jungs immer ihr Maximum geben oder sogar darüber hinaus gehen.
Was hat in dieser Saison gefehlt, um um die Meisterschaft mitzuspielen?
Wir waren in den Topspielen nicht konstant genug. Das ist aber auch den vielen Verletzungen geschuldet. Wir konnten nicht ein Spiel mit dem kompletten Kader bestreiten. Eric (Johansson, d. Red.) und Emil (Madsen, d. Red.) haben eine brutale Saison mit einem unfassbaren Verantwortungsfeld gespielt und eine Weltklasseleistung gezeigt. Aber durch den Ausfall von Nikola (Bilyk, d. Red.) und Harald (Reinkind, d. Red.), die fast die gesamte Saison gefehlt haben, von Dule (Domagoj Duvnjak, d. Red.) und Elias Ellefsen á Skipagötu, die ebenfalls in etlichen Partien fehlten, hatten sie kaum Zeit zur Erholung, mussten auch dann ran, wenn sie einmal angeschlagen waren. Und in Melsungen ist uns Emil (grippaler Infekt, d. Red.) dann auch noch weggebrochen. Das konnten wir nicht auffangen.
Emil Madsen ist gleich in seinem ersten Jahr in der Bundesliga Toptorschütze beim THW. Was zeichnet ihn aus?
Emil hat dieses besondere Mindset. Viele Spieler wollen besser werden, wenn die anderen Spieler auch besser werden. Aber Emil ist bereit, von sich aus in allen Bereichen besser zu werden. Er ist jetzt schon Weltklasse und unverzichtbar für uns.
Mit 217 Treffern bester Kieler Torschütze in der Bundesliga: Neuzugang Emil Madsen.
Foto: Imago/Eibner
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Ist er der beste Transfer des THW Kiel in den vergangenen Jahren?
Ich sage es mal so: Emil Madsen ist aktuell bei uns der beste Spieler auf seiner Position und daher auch der beste Transfer auf seiner Position.
Ein anderer Spieler, der mit ähnlich vielen Vorschusslorbeeren 2023 nach Kiel kam, ist Elias Ellefsen á Skipagötu. Bei ihm wartet man immer noch auf den Durchbruch. Auch in dieser Saison ist er unter seinen Möglichkeiten geblieben. Was bewerten Sie seine Leistung?
Elias hat ein sehr schweres Jahr hinter sich. Er war angeschlagen und nicht fit, um jeden dritten Tag anzugreifen. Aber auch er muss bereit sein, den nächsten Schritt machen zu wollen und sich den Herausforderungen beim THW Kiel zu stellen. Ein Mittelmann beim THW muss das Spiel leiten. Er muss dafür sorgen, dass er oder seine Mitspieler einen qualitativ guten Wurf auf das Tor haben können. Wir sind eine Leistungsfamilie. Jedes Mitglied dieser Familie muss seine Leistung bringen, damit die Familie zufrieden ist. Wenn das jemand nicht macht, dann ist das meine Aufgabe, das anzusprechen. Wir verfolgen einen Erfolgsweg. Da müssen sich alle unterordnen.
Kiels Trainer Filip Jicha gibt seinem Spielmacher Elias Ellefsen á Skipagötu (rechts) Anweisungen.
Foto: Imago/wolf-sportfoto
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Vor der Saison haben Sie mehr Qualität auf der Torhüterposition eingefordert. Hat Andreas Wolff, der aus Kielce zurückgekommen ist, die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt?
Ja. Wir hatten mit Andi und Tomas (Mrkva, d. Red.) ein unglaubliches Gespann. Die haben sich sehr gut ergänzt. Die Statistik unterstreicht das, die Zahl der Paraden ist in die Höhe gestiegen. Man sagt ja gerne, Geld wirft Tore. Im Falle von Andi verhindert Geld aber auch Tore.
Tomas Mrkva wird den Verein Richtung SC DHfK Leipzig verlassen, Neuzugang Gonzalo Perez de Vargas hat sich Anfang Februar das Kreuzband gerissen und wird dem Verein vorerst nicht zur Verfügung stehen. Der THW geht mit Andreas Wolff und Nachwuchskeeper Leon Nowottny in die neue Saison. Ist das nicht ein Risiko? Droht man nicht schon zu Saisonbeginn entscheidenden Boden auf die Konkurrenz zu verlieren?
Leon hat sicherlich nicht die Erfahrung und Klasse eines Perez de Vargas. Aber er bringt alle Parameter mit, dass er die Rolle als Nummer zwei hinter Andi ausfüllen kann. Das ist mit Risiko verbunden. Aber da muss man Ruhe bewahren. Wenn wir nicht Leon hätten, würden wir vielleicht reagieren.
Eine weitere Baustelle in der kommenden Saison ist die Kreisposition. Hendrik Pekeler hat sich im letzten Spiel gegen den ThSV Eisenach schwer an der Achillessehne verletzt und wird monatelang ausfallen. Werden Sie versuchen, Patrick Wiencek zu überreden, dass er sein geplantes Karriereende noch einmal verschiebt?
Ich weiß es nicht. Patrick hat in den vergangenen Wochen und Monaten mit seiner Karriere abgeschlossen. Auch emotional. Das Buch ist zu und plötzlich passiert etwas und du fragst dich, schaffe ich es noch mal? Schaffe ich es nicht? Das ist auch eine schwierige Situation für Patrick. Deshalb sollte unsere erste Option sein, jemanden, den wir für die Zukunft geplant haben, vielleicht früher zum THW zu holen. Wir wollen ja auch eine Verjüngung im Kader. Ob es uns gelingt, auch finanziell, werden wir sehen.
Auch in dieser Saison gab es wieder Kritik an Ihrer Person. Wie nehmen Sie das wahr?
Heutzutage ist es relativ einfach, Kritik auszusprechen. Wenn man gewinnt, ist alles gut. Wenn man verliert, ist alles schlecht. Das liegt in der Natur der Sache. Als Trainer stehst du immer im Fokus. Wichtig ist für mich, aus welcher Quelle die Kritik kommt. Ich stehe morgens auf und gucke in den Spiegel. Ich gucke abends in den gleichen Spiegel und sage, heute habe ich alle Entscheidungen aus der Überzeugung getroffen, dass der Verein damit erfolgreich sein kann. Wenn jemand meint, dass das nicht genug ist, dann ist das so.
Ihr Vertrag läuft im Sommer 2026 aus. Gab es schon Signale vom Verein, ob man mit Ihnen verlängern will?
Das ist eine strategische Entscheidung. Das muss in der Gesamtausrichtung des Vereins passen. Ich war so fair, allen Spielern, mit denen ich gesprochen habe und die ich überzeugen konnte, zum THW zu kommen, mitzuteilen, dass ich nur einen Vertrag bis 2026 habe.