Ein neues Lied an einem Mittwoch? Das ist eher ungewöhnlich im Musikbetrieb. Normalerweise erscheinen Singles am Freitag. Aber was ist schon normal beim Berliner Schockrocker Till Lindemann. Nun ist „Und die Engel singen“ also am Mittwoch, dem 11. Juni, herausgekommen, samt Video „in memory of David Lynch“.

Vermutlich wollte Lindemann einfach sicher gehen, dass seine Fans den Text am Freitag, dem 13. Juni, beim Rockfest im finnischen Turku schon auswendig mitgrölen können – und nicht etwa mit dem Rammstein-Klassiker „Engel“ von 1997 vermengen.

Worum geht es in dem Metal-Lied? Lindemann inszeniert sich beziehungsweise sein lyrisches Ich, wie er es so oft tut: als ein leidendes „im Schattenreich der Dunkelheit“, diesmal ausgestattet mir Flügeln „schwer wie Blei“. Ja, das ist unpraktisch, um nicht zu sagen: kontrafunktional.

Um das Gegeneinander im „Gedicht“ beziehungsweise Lied von Licht (gut) und Dunkel (böse, aber faszinierend) zu erfassen, muss man nicht seinen Augustinus („Confessiones“) gelesen haben, wenngleich Lindemann sein Lied mit einem pseudobiblischen Pathos auflädt. Auch Lyrik-Kenntnisse von Hölderlin, Rilke und deren Lichtmetaphern, Goethes „Faust“-Mephisto oder Malereivergleiche zum Chiaroscuro, der Helldunkelmalerei des Meisters Caravaggio, sind nicht unbedingt vonnöten.

Eine Gewalt-Orgie der Körperflüssigkeiten: blutig, schmierig, widerlich

Eventuell aber könnte man einen psychosomatisch operierenden Urologen aufsuchen, denn Lindemanns Lyrik-Ich konfrontiert uns im wohl schockierendsten Momentum des Gedichts mit einem Nebeneinander von Psychen- und Penissaftfabrikproblem: „Die Seele krank / der Hoden schreit.“ Das klingt nicht gut – sondern so schmerzhaft wie das Lied als Ganzes. Insgesamt für Lindemann-Verhältnisse aber sogar recht handzahm.

Richtig wild und eklig wird es, wenn man sich das Video (in der Regie von Anna Grey) zu Gemüte führt. Der arme David Lynch, dem es gewidmet ist! Zu Lebzeiten hat er Rammstein zwar in Soundtracks eingesetzt, aber nie ein Video für sie gedreht. Der kleine Splatter-Horrorstreifen nun ist voller Lynch-Referenzen („Der Elefantenmensch“, „Blue Velvet“ …), aber jeglicher Lynch-Subtilität beraubt.

Eine Gewalt-Orgie der Körperflüssigkeiten: blutig, schmierig, widerlich. Mit Bildern junger Frauen. Lindemann beherrscht sein prächtig plumpes Provokationsspiel. Vermutlich will er das so sogar, dass sich nun wieder empört wird. „Die Seele krank, der Hoden schreit“? Gute Besserung!