Meine Eltern sind geschieden, aber in einer Sache sind sie sich einig: Bruce Springsteen ist der Größte.

Mein Vater hörte früher seine Platten und Kassetten, meine Mutter schaut sich heute noch von jedem Konzert die Videos auf Youtube an. Das dritte Wort meines Sohnes (17 Monate) nach „Mama“ und „Papa“ war „Buuus“. Und da steht er am Mittwoch leibhaftig im Berliner Olympiastadion: Bruce Springsteen.

Ohne Bühnenshow, ohne Pyro, ohne Special-Effects. Einfach nur Musik und Leidenschaft und klare Worte gegen die Trump-Regierung (“Korrupt, inkompetent, Schurkenstaat!“). Seine Energie lädt jeden auf. In Berlin spielt er genau drei Stunden. Ohne Pause. Trinkt nicht einen Schluck Wasser.

Mit 75 Jahren bringt er 75.000 Menschen zusammen. Es ist ein kollektives Genusserlebnis, 29 Songs. Und es ist so viel mehr als „Born in the USA“.

Hoch die Hände, Bruce Legende!

Hoch die Hände, Bruce Legende!

Foto: IMAGO/Berlinfoto

Der 20-fache Grammy-Gewinner und seine Frau, Sängerin Patti Scialfa (71), haben drei gemeinsame Kinder: Evan (34), Jessica (32, Mitte) und Sam (30)

Der 20-fache Grammy-Gewinner und seine Frau, Sängerin Patti Scialfa (heute 71), haben drei gemeinsame Kinder: Evan, Jessica (heute 32, Springreiterin) und Sam

Foto: Getty Images Entertainment/Getty Images

Wer Springsteen verstanden hat, der liebt ihn

Immer wieder werde ich gefragt, wie ich immer wieder zum „Boss“ gehen könne (Berlin ist mein 8. Konzert). Was mir an der Musik eines Menschen, der fast doppelt so alt ist wie ich, so gefalle? Die Antwort ist einfach: Wer Springsteen verstanden hat, der liebt ihn.

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Wer einmal bei einem Konzert war, der will immer wieder hin. Seine Lieder sind Poesie. Sie erzählen Geschichte von Helden, die kämpfen. Die scheitern. Die weitermachen. So wie sein größtes Lied, der beste Song, der je geschrieben wurde: „Thunder Road“, das letzte Lied vor der Zugabe.

„It’s a town full of losers, I’m pulling out of here to win“, singt Springsteen: „Es ist eine Stadt voller Verlierer. Ich ziehe aus, um zu gewinnen.“ Eine Hymne übers Leben, die wir gemeinsam mitsingen. Der Boss bringt alle zusammen.

75000 Fans kamen ins Olympiastadion. Dank der zwei großen Leinwände mit bestechend-scharfem Bild hatte jeder einen guten Blick auf Springsteen

75.000 Fans kamen ins Olympiastadion. Dank der zwei großen Leinwände mit bestechend-scharfem Bild hatte jeder einen guten Blick auf Springsteen

Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Wir haben eine Whatsapp-Gruppe, in der Menschen aus den verschiedensten Orten oder Berufsfelder schreiben. Vor der Bühne stehen wir gemeinsam, die besten Freunde ohne sich besser zu kennen, vereint in der Leidenschaft für Bruce Springsteen. Glücklich.

Immer wieder wandert Springsteen während seiner Lieder an der 1. Reihe entlang. Die ungläubigen, beseelten Blicke der Fans, ihrem Idol so nah zu sein und bei einer Umarmung von ihm völlig im Moment versinken, werden auf der XXXL-Leinwand im ganzen Stadion gezeigt – so spürt jeder auch 150 Meter entfernt seine Berührung.

Seine ersten beiden Platten veröffentlichte „The Boss“ 1973. Doch mit seinem Album „Born to Run“ (1975) gelang ihm der große Durchbruch

Seine ersten beiden Platten veröffentlichte „The Boss“ 1973. Doch mit seinem Album „Born to Run“ (1975) gelang ihm der große Durchbruch

Foto: AP

Eine Frau ganz vorn hält bei ihrem offenbar 30. Springsteen-Konzert ein Plakat hoch: „30 Konzerte für eine Umarmung?“ Er liest es, schaut sie an, ihre Blicke treffen sich, er lässt dramaturgisch-wertvoll Sekunden verstreichen, dann drücken sie sich. Jubel und Ach-wie-schön-Seufzen im weiten Rund.

Wie gesagt: Springsteen ist so viel mehr als „Born in the USA“: Der Hit, den alle kennen und die wenigsten verstehen. Weil es eben keine Glorifizierung seines Landes, sondern eine Hymne gegen den Vietnam-Krieg ist. Aber egal: Sein Set umfasst Lieder, die alle kennen: „Hungry Heart“, „Born to Run“, „Badlands“. Aber genauso nachdenkliche Stücke, bei denen sich Springsteen verletzlich und verletzt zeigt und besorgt über den Zustand seines Landes.

Mit dem Chef zum Boss: BILD-Fußball-Chefreporter und Springsteen-Fan Tobias Altschäffl (links/Autor dieses Artikels) mit Sport-Chefredakteur Matthias Brügelmann im Innenraum

Mit dem Chef zum Boss: BILD-Fußball-Chefreporter und Springsteen-Fan Tobias Altschäffl (links/Autor dieses Artikels) mit Sport-Chefredakteur Matthias Brügelmann im Innenraum

Foto: Privat

In Berlin war ich übrigens mit meinem Chef beim Boss (190-Euro-Ticket im vorderen Innenraum). Der war zuletzt bei Helene Fischer im Olympiastadion und etwas skeptisch. Und dann? Wir sangen, tanzten, klatschten zusammen. Unsere Gruppe etwa 20 Meter vor der Bühne wurde über den Abend immer größer. Wir hatten einfach eine gute Zeit. Ja, auch er hat den – einzig wahren (Sorry, Chef!) – Boss nun verstanden.