Die Berliner Schülervertretung fordert die Abschaffung des mehrstufigen Schulsystems in der Stadt. „Nur noch eine Schulform: Schluss mit Bildungssegregation!“ So steht es in einer Pressemitteilung des Landesschülerausschusses Berlin (LSA). Das bisherige System sei veraltet und biete keine Chancengerechtigkeit. Es müsse daher langfristig durch die Gemeinschaftsschule als einzige Schulform ersetzt werden.
Oft werde behauptet, das Gymnasium sei der einzige Weg, um erfolgreich zu sein. „Dieses Vorurteil wollen wir brechen“, sagt Orcun Ilter, Ausschuss-Vorsitzender und Gymnasiast, dem Tagesspiegel. Deshalb fordert sein Gremium den Systemwandel. Doch warum gerade jetzt?
Immer wieder stoße er auf die Systemfrage, meint der 17-Jährige. Der Übergang auf die weiterführenden Schulen entscheide zu stark über die Zukunft. Entweder man schafft den Sprung aufs Gymnasium oder verliert möglicherweise einen Teil seiner späteren Aufstiegschancen. „Das ist ein großer Fehler“, sagt Ilter. Langfristig könne die ganze Gesellschaft durch mehr Chancengleichheit profitieren.
Skandinavien trennt Schulwege erst später
In Berlin steht in der Regel nach der sechsten Klasse der Wechsel aufs Gymnasium oder eine Integrierte Sekundarschule (ISS) an. Qualifizierte Schulabschlüsse sind hier nach neun oder zehn Jahren möglich, Abitur nach zwölf (Gymnasium) beziehungsweise 13 Jahren (ISS). Daneben gibt es Gemeinschaftsschulen, in denen Schüler bis zu zehn Jahre durchgehend zusammen lernen. Gibt es anderswo tragfähige Alternativen zu diesem Modell?
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„In skandinavischen Ländern findet entweder erst sehr spät eine Selektion statt oder gar keine“, sagt Orcun Ilter. Das wäre in Deutschland nicht möglich, weil die Gemeinschaftsschule nicht flächendeckend vorhanden sei. Er selbst lebt in Reinickendorf, wo es nur eine Gesamtschule im Märkischen Viertel gebe, mit starken sozialen Herausforderungen. In anderen Ortslagen, in denen sich bildungsnahe Schichten konzentrierten, fehle diese Schulform.
Deshalb hänge Bildungserfolg maßgeblich vom sozioökonomischen oder Migrationshintergrund ab, heißt es in dem Papier. Die frühe Aufteilung nach der Grundschule verfestige die soziale Spaltung, statt sie zu überwinden. „Gleichzeitig fehlt es vielen Schulen an Ausstattung und Ressourcen, um den Anforderungen modernen, inklusiven Lernens gerecht zu werden.“ Doch kann eine Gemeinschaftsschule auch den Leistungsstarken gerecht werden?
„Eine Schule für alle“ – hat das überhaupt eine Chance im Bildungssystem?
„In allen Schulformen gibt es gute Möglichkeiten, individuell zu fördern“, sagt Orcun Ilter. Am besten ginge das in einer gut ausgestatteten Gemeinschaftsschule, die nicht als Restschule wahrgenommen wird. Wie kommt diese Forderung in der Berliner Politik an?
„Eine Schule für alle“ sei auch bei den Grünen Ziel in der Bildungspolitik, schreibt Louis Krüger, schulpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Abgeordnetenhaus. Er verweist auf Länder wie Finnland oder Estland, in denen eine einheitliche Schulform in der Regel bis zur achten oder neunten Klasse reiche. Trotzdem würden diese Länder in internationalen Vergleichsstudien gut abschneiden.
Berlins CDU plädiert seit jeher unmissverständlich für starke Gymnasien. Diese seien eine tragende Säule der Berliner Bildungslandschaft. „Ideologischen Schulexperimenten erteilen wir eine klare Absage“, hatte die Partei bereits in ihr Programm zur Wahl geschrieben. Auch Berlins SPD spricht nicht von einer Abschaffung von Gymnasien. Die Bildungsverwaltung äußerte sich nicht zu dieser Grundsatzfrage. Man nehme die Impulse des Schülerausschusses aufmerksam zur Kenntnis, hieß es am Donnerstag.
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In seinem Forderungspapier plädiert der Ausschuss auch dafür, Hausaufgaben und Schulnoten abzuschaffen. Lernen müsse ohne Leistungsdruck und Kontrolle möglich sein. „Der pädagogische Nutzen von Hausaufgaben ist minimal – insbesondere, wenn sie nicht individuell auf den Lernstand abgestimmt sind. Vielmehr erzeugen sie Stress, Frust und Unmut“, heißt es im Papier.
Die klassische Benotung reduziere Menschen auf Zahlen – ohne individuellen Stärken, Entwicklungswege oder Lernbedingungen zu berücksichtigen. „In der Praxis führt das zu Leistungsdruck, Konkurrenzdenken und Versagensängsten, ohne dabei wirkliche Vergleichbarkeit und Informationen zur Weiterentwicklung zu bieten“, schreiben die Schüler. Eine weitere wichtige Forderung ist ein Ausbau eines auch an aktuellen Ereignissen orientierten Politikunterrichts (Klasse 7 bis 10) auf mindestens zwei Wochenstunden. (mit dpa)