Linkin Park starten mit Emily Armstrong als Frontfrau in eine neue Ära, verkaufen Stadien in ganz Europa aus. Der Tourauftakt stellt sich als emotionaler Spagat dar: Kann man die eigene Vergangenheit neu interpretieren? Und was bleibt vom rebellischen Geist des frühen 2000er-Nu Metal, der gerade wieder so im Trend ist?
Sie sind die Band der Stunde: Mit Emily Armstrong am Mikrofon beginnt nach dem Tod von Frontsänger Chester Bennington 2017 für die Nu Metal-Legenden von Linkin Park endgültig ein neues Kapitel, wenn am 16. Juni die große Europa-Tour der Band in Hannover startet.
Nach nur wenigen Minuten waren alle Konzerte ausverkauft. Auch in Berlin, Frankfurt und Düsseldorf macht die Band Halt, die Aufregung reicht jedoch weit über die Landesgrenzen hinaus.
Emily Armstrong, zuvor Frontfrau der US-Rockband Dead Sara, bringt mit ihrem kraftvollen Gesang und rohem Sound frischen Wind zu Linkin Park.
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Linkin Park als popkulturelles Phänomen
Seit im vergangenen Jahr die Reunion bekanntgegeben wurde und das neue Album „From Zero“ über Nacht weltweit die Chartspitzen erklomm, ist der Hype um Linkin Park nahezu ungebrochen.
Dass die Band ausgerechnet 2025 wieder zur Hauptsache im Popdiskurs wird, liegt nicht nur an ihrer Geschichte, sondern auch an der Gegenwart. Denn was da gerade um Linkin Park passiert, ist mehr als bloße Nostalgie: Es ist ein popkulturelles Phänomen.
Wieso bewegt eine Band, deren kreativer Höhepunkt über ein Jahrzehnt zurückliegt, heute wieder so viele?
Beim diesjährigen Champions League-Finale lieferten Linkin Park mit einem 6-minütigen Medley die Kick-Off-Show.
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Nu Metal ist zurück – aber warum?
Um den Linkin-Park-Hype zu verstehen, muss man über das Genre sprechen, aus dem sie einst kamen: Nu Metal. Ende der 90er und frühen 2000er war das die Musikrichtung, die Hip-Hop-Attitüde, Metal-Riffs und Teenager-Wut vereinte.
Bands wie Korn, Limp Bizkit, Slipknot oder Papa Roach waren Headliner und Hassobjekt zugleich: Für Kritiker war Nu Metal zu simpel und zu macho. Für Millionen von Fans war das Genre eine kathartische Lebenshilfe.
Als Anfang Juni bei Rock am Ring Linkin Park mit einem großen Feuerwerk als Headliner für das Festival 2026 bekanntgegeben werden, bricht das Publikum in frenetischen Jubel aus.
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Lange wurde Nu Metal belächelt, als peinlicher Auswuchs einer seltsamen Zwischenzeit zwischen Grunge und Emo. Heute ist das Genre zurück – nicht ironisch, sondern mit Nachdruck im Mainstream.
Korn headlinen plötzlich wieder große Festivals, Limp Bizkit spielen vor Zehntausenden, die Deftones gelten neuerdings als stilbildend. Laut Google Trends ist das Interesse an Nu Metal derzeit so hoch wie seit 2004 nicht mehr.
Nu Metal trifft wieder einen Nerv
Auch auf Spotify macht sich das bemerkbar: Playlists mit alten und neuen Nu-Metal-Tracks erreichen immer mehr Follower. Live-Mitschnitte werden tausendfach auf TikTok geteilt, alte Songs neu entdeckt. Oft von Menschen, die zur Blütezeit der Szene noch nicht einmal geboren waren.
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Die düstere Wucht des Nu Metal scheint wieder einen Nerv zu treffen. Vielleicht, weil sich die Welt erneut chaotisch anfühlt. Vielleicht auch, weil das Potpourri des Nu Metal in eine Zeit passt, in der Playlisten nicht nach Schubladen sortiert werden: Viele Acts von damals klingen heute experimenteller als gedacht.
Linkin Park waren immer anders
Mittendrin in diesem Hype: Linkin Park. Die Band war schon in ihrer Hochphase nie ganz typisch für das Genre. Ihre Songs waren präziser produziert, ihre Texte reflektierter, der Sound zugänglicher. In den frühen 2000ern war Linkin Park für viele das Sprachrohr einer Generation: Hits wie „Numb“ oder „Faint“ liefen auf MTV in Dauerschleife.
Statt stumpfem Krawall suchten Linkin Park schon immer nach der Sprache für das, was schwer auszuhalten ist: Verlust, Isolation und Depression waren zentrale Themen. Chester Benningtons markante Stimme, fragil und explodierend zugleich, war dabei das emotionale Zentrum, die Texte größtenteils autobiografisch. Sein Tod 2017 war ein Schock, nicht nur für Fans.
Chester Bennington kämpfte lange mit Depressionen und Suchtproblemen, die immer wieder in seinen Songs thematisiert wurden.
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Die Emotionen sind geblieben
Dass Linkin Park heute wieder im Fokus stehen, liegt also nicht nur am Trend. Es liegt daran, dass sie vielen Menschen dabei geholfen haben, Dinge zu fühlen, für die sonst in der Musik nur wenig Platz war. Ihre Songs waren Soundtrack für jugendliche Unsicherheit – und sind es wieder, nur diesmal für eine andere Lebensphase.
Wer mit 15 „In the End“ gehört hat, ist heute Mitte dreißig. Die Emotionen sind geblieben, die Welt ist komplexer geworden. Linkin Park liefern die Musik dazu – wieder.
Relevanz durch Wandel: Emily Armstrong als neue Frontfrau
Die neue Sängerin Emily Armstrong ist kein Ersatz für Chester – und will es auch nicht sein. Ihre Rolle ist riskant, aber konsequent. Sie bringt neue Klangfarben, aber lässt das alte Gefühl durchscheinen.
She is one hundred percent herself. She’s not trying to be Chester Bennington. That’s why it works.
Dass nun ausgerechnet eine Frau die Rolle des Linkin-Park-Frontmenschen übernimmt, ist mehr als eine bloße Personalentscheidung. Emily Armstrong steht auf der Bühne, ohne etwas imitieren zu müssen. Sie bringt eigene Kraft mit und öffnet damit ein Genre, das lange sehr männlich gedacht war, ein Stück weit in eine andere Richtung.
Als erste Frau an der Spitze einer der prägendsten Nu-Metal-Bands überhaupt steht Armstrong sinnbildlich für den Wandel eines einst von Männlichkeitsklischees geprägten Genres.
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Linkin Park suchen nach Weiterentwicklung
Die Band macht keine reine Tribute-Tour, sondern sucht eine Weiterentwicklung. Dieser Anspruch, etwas wirklich Neues auf Basis des Alten zu schaffen, macht sie gerade jetzt so interessant.
Zugleich trifft die Wiederbelebung auf ein kulturelles Klima, das sensibel ist für Authentizität. Während andere Bands von früher in Nostalgie baden, versuchen Linkin Park, aus der eigenen Geschichte etwas zu formen, das auch heute Sinn ergibt.
It is not about erasing the past. It is about starting this new chapter into the future and coming out here for each and every one of you.
Der Spagat zwischen Erwartung und Eigensinn, zwischen Erinnerung und Erneuerung gelingt nicht vielen. Bei Linkin Park wirkt er momentan erstaunlich organisch.
Die Band der Stunde – aber nicht nur wegen sich selbst
Linkin Park sind gerade deshalb die Band der Stunde, weil sie das Bedürfnis nach Orientierung erfüllen, ohne einfache Antworten zu geben. Sie stehen für ein Gefühl, das viele kennen, und das im gegenwärtigen Pop oft fehlt: Verletzlichkeit ohne Zynismus und Intensität ohne Ironie. Das macht sie für alte Fans relevant – und für neue zugänglich.
Dass ihr Comeback nicht als Rückschritt, sondern als Weiterentwicklung wahrgenommen wird, ist bemerkenswert. In einer Zeit, in der viele auf „früher war alles besser“ setzen, sagen Linkin Park: Früher war Vieles schlimm – aber wir haben überlebt und uns weiterentwickelt. Und das ist vielleicht die größte Botschaft dieses Hypes.
Linkin Park Konzerte in Deutschland
Die Live-Shows von Linkin Park in Deutschland in 2025 sind alle ausverkauft.
2026 spielt die Band am 1. Juni 2026 im Hamburger Volksparkstadion, in München am 11. und 12. Juni 2026 in der Allianz Arena. Außerdem headlinen Linkin Park Anfang Juni die Zwillingsfestivals Rock am Ring und Rock im Park.