Der Vater griff noch nach dem Kinderwagen. Im Bruchteil einer Sekunde aber hatte der 42-jährige Berlin-Tourist aus Belgien keine Chance.
Emeline C. und der gemeinsame vierjährige Sohn Guy wurden totgefahren, als sie sich auf dem Radstreifen befanden und die Leipziger Straße fast überquert hatten.
„Das Auto kam angeschossen“, schildern Zeugen vor dem Amtsgericht Tiergarten. Der 84-jährige Peter R., der als Unfallfahrer auf der Anklagebank sitzt, äußert Bedauern. Doch er habe an das Geschehen keine Erinnerung.
Es tut mir unendlich leid.
Peter R., Unfallfahrer
Peter R. trägt ein graues Jackett, dazu Basecap und einen rosa Mundschutz, als er am Mittwoch den Gerichtssaal betritt. Der Witwer aus Charlottenburg wirkt angespannt. Ein Mann, der zuvor noch nichts mit der Justiz zu tun hatte. Früher sei er Kraftfahrer im Fernverkehr gewesen, gibt er zu Protokoll – seit 1963, ohne Vorbelastungen.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Externen Inhalt anzeigen
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
„Es tut mir unendlich leid“, erklärt er über seinen Verteidiger. Täglich müsse er an das Geschehen und die Opfer denken, er leide seit dem Unfall unter einer Belastungsstörung. Als er am 9. März 2024 in Marzahn in sein Auto stieg, habe er sich gesundheitlich nicht beeinträchtigt gefühlt. Er habe zum Grab seiner Frau fahren wollen.
Fahrer sagt, er sei ohne Erinnerung
An die Landsberger Allee erinnere er sich noch, dann daran, dass jemand die Tür seines Wagens geöffnet habe. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm fahrlässige Tötung in zwei Fällen, fahrlässige Körperverletzung in fünf Fällen und gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr vor.
Peter R. habe „grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch überholt“, heißt es in der Anklage. Im Prozess geht es auch um die Frage seiner Schuldfähigkeit. Ein Psychiater soll dazu befragt werden. Drei Nebenkläger gibt es.
Gregory D., der an jenem Sonnabend seine Partnerin und sein einziges Kind verlor, und die Schwester von Emeline C., die den schrecklichen Unfall auch miterleben musste, sind nicht persönlich erschienen.
Im Prozess geht es auch um die Frage der Schuldfähigkeit
„Sie haben körperlich und psychisch nicht die Kraft“, sagt Nebenklage-Anwalt Stephan Maigné. Bis heute könne der Feuerwehrmann nicht arbeiten. Der Berlin-Besuch der Familie aus Belgien endete um 10.02 Uhr im Abgrund.
Belgische Familie machte Kurzurlaub in Berlin
Peter R. war laut Anklage mit seinem Ford Mondeo auf der Tempo-30-Strecke in Richtung Potsdamer Platz mit einer Geschwindigkeit von bis zu 90 Kilometer pro Stunde zunächst auf die Busspur gefahren, dann zog er auf den markierten Radstreifen.
Es sei ihm darum gegangen, einen Stau vor einer roten Ampel zu umfahren. Mit 89 Kilometern pro Stunde überfuhr er laut Gutachten die Mutter und ihren im Buggy-Kinderwagen sitzenden Sohn. Sie hatten die Straße auf Höhe „Mall of Berlin“ fast überquert und befanden sich bereits an der Bordsteinkante des Gehwegs auf der anderen Seite, als Peter R. ungebremst auf sie zugerast sein soll.
Ich dachte noch, ich müsse irgendwas machen, da hat es schon geknallt.
Augenzeuge
„Ich sah in den Rückspiegel, das Auto kam angeschossen“, schildert ein Tierarzt im Prozess. „Ich dachte noch, ich müsse irgendwas machen, da hat es schon geknallt“, so der 64-Jährige. Er habe einen schlimmen Schlag im Rücken gespürt, sein Fahrzeug habe gequalmt.
Der ältere Herr am Steuer des anderen Wagens habe „unwirsch, überhaupt nicht betroffen gewirkt“. Ein 48-jähriger Zeuge sagt, er am Stauende habe die Fußgänger links von ihm gesehen, ihnen ein Zeichen gegeben – „ich winkte sie rüber“. Dann habe er quietschende Reifen gehört. „Ich blickte in den Rückspiegel und sah, wie die Frau flog, es war furchtbar.“
Mehr zum Thema lesen Sie hier: Expertin über Regelbrüche im Straßenverkehr „Viele erkennen nicht, dass sie selbst Teil des Problems sind“ So viele Tote wie seit Jahren nicht 55 Menschen starben 2024 auf Berliner Straßen Acht Monate nach Horror-Autounfall Wegen fehlenden Gutachtens noch immer keine Anklage gegen Täter
Die Partnerin des 48-Jährigen sagt: „Man hat die Bilder immer wieder vor Augen, man ist schreckhaft.“ Nach einem Gutachten wäre es bei Tempo 30 nicht zur tödlichen Kollision gekommen.
Es wäre dem Angeklagten demnach auch bei einer höheren Geschwindigkeit möglich gewesen, die Fußgänger rechtzeitig zu sehen und zu bremsen. Der Prozess geht am 25. Juni weiter.