Die Paul-Singer-Straße in Reideburg ist normalerweise eine ruhige Wohngegend am Stadtrand von Halle (Saale). Doch seit Wochen herrscht Unruhe. Der Grund: In ein Gebäude soll eine Einrichtung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete einziehen – betrieben vom Deutschen Roten Kreuz (DRK). Geplant ist die Unterbringung von bis zu 20 Jugendlichen ab 14 Jahren.
Die Kritik einiger Anwohner ließ nicht lange auf sich warten. Auf Bannern rund um das Gebäude prangte der Slogan „Nein zum Heim“, in sozialen Netzwerken entlud sich die Aufregung in Form von Unverständnis, Sorgen und zum Teil auch offen fremdenfeindlichen Kommentaren. Der traurige Höhepunkt: ein Brandanschlag auf das Gebäude vor wenigen Tagen. Das Gebäude wurde dabei beschädigt, Menschen wurden glücklicherweise nicht verletzt. Die Polizei ermittelt wegen schwerer Brandstiftung – ein politisches Motiv kann nicht ausgeschlossen werden.
Trotz allem hält das DRK an den Plänen fest – mit Offenheit statt Abschottung. Am Mittwoch lud der Kreisverband zu einem Tag der offenen Tür ein. Reideburgerinnen und Reideburger konnten sich selbst ein Bild machen, mit Mitarbeitenden sprechen und erstmals auch einige der künftigen Bewohner kennenlernen. Unsere Redaktion hat vor Ort mit Claudia Rosa, der stellvertretenden Geschäftsführerin des DRK-Kreisverbandes Halle-Saalkreis-Mansfelder Land, gesprochen.
„Es geht darum, Vorurteile abzubauen – durch Nähe und Gespräche“
Frau Rosa, wie ist der Tag der offenen Tür bislang verlaufen?
Wir sind heute mit gemischten Gefühlen hergekommen. Nach all dem, was in den letzten Wochen passiert ist – insbesondere dem Brandanschlag – wussten wir nicht, wie die Stimmung sein würde. Aber wir wollten ein Zeichen setzen: Wir sind offen für Dialog, wir haben nichts zu verbergen. Und wir waren ehrlich gesagt auch etwas überrascht, denn die Menschen, die bisher da waren, waren sehr freundlich. Es kamen hauptsächlich ältere Nachbarinnen und Nachbarn aus der Umgebung – sie waren neugierig, interessiert und haben uns gleich zu Beginn ihre Unterstützung zugesichert. Das war ein gutes Gefühl.
Gab es auch kritische Stimmen – oder Menschen, die sich bislang gegen das Heim ausgesprochen hatten?
Wir werden ab Anfang Juli mit dem Betrieb starten. Und das Haus wird weiterhin offen bleiben – für Gespräche, für Besichtigungen, für Anliegen der Anwohnerinnen und Anwohner. Unsere Mitarbeitenden sind hier vor Ort und haben ein offenes Ohr. Auch einige der Jugendlichen, die hier einziehen werden, waren heute dabei. Das schafft Transparenz. Wir glauben, dass man nur so Vorurteile abbauen kann: durch Begegnung.
Ein Zuhause auf Zeit – und ein Alltag mit Struktur
Wie ist das Heim konkret aufgebaut? Welche Wohnformen wird es geben?
Das Haus ist in erster Linie auf Einzelzimmer ausgelegt – wir haben insgesamt zwei Doppelzimmer, alle anderen sind Einbettzimmer. Uns ist wichtig, dass die Jugendlichen einen Rückzugsort haben, in dem sie zur Ruhe kommen und sich individuell entfalten können.
Wie viele Jugendliche werden zu Beginn einziehen?
Zum Start im Juli rechnen wir mit etwa zehn jungen Menschen. Eine volle Belegung wird es nicht sofort geben, das passiert schrittweise. Derzeit befinden wir uns im Umzugsprozess, daher kommen aktuell keine neuen Bewohner hinzu. Perspektivisch wird die Einrichtung dann Platz für bis zu 20 Jugendliche bieten. Natürlich müssen wir auch noch einige Dinge fertigstellen – Möbel, Ausstattung, Technik. Aber das läuft.
Was erwartet die Jugendlichen im Alltag?
Die Jugendlichen gehen tagsüber ganz normal zur Schule. Wir arbeiten dabei eng mit verschiedenen Schulformen in Halle zusammen: von Sekundarschulen über Gymnasien bis hin zu Förderschulen. Für migrantische Jugendliche gibt es zusätzlich spezielle Sprachklassen. Wichtig ist uns, dass jeder die Chance bekommt, einen Schulabschluss zu machen oder eine Ausbildung zu beginnen.
Nachmittags kommen die Jugendlichen zurück, dann setzen wir uns meist erstmal zusammen: Was war heute los? Gibt es Probleme oder Besonderheiten? Danach ist Zeit für Hausaufgaben, Deutschkurse, Freizeitangebote. Natürlich müssen auch Alltagsdinge erledigt werden – einkaufen, kochen, sauber machen. Das Leben in der Einrichtung soll ein möglichst normales, strukturiertes Jugendleben widerspiegeln.
„Die Jugendlichen werden rund um die Uhr betreut“
Wie ist die Betreuung organisiert? Gibt es rund um die Uhr Ansprechpartner?
Ja, selbstverständlich. Die Jugendlichen sind nicht auf sich allein gestellt. Wir haben ein professionelles Team aus staatlich anerkannten Erzieherinnen und Erziehern sowie Sozialpädagoginnen und -pädagogen. Die Betreuung erfolgt im Schichtsystem – mit Früh-, Spät- und Nachtdiensten. Auch nachts sind immer mindestens zwei Mitarbeitende im Haus. Dieses Konzept hat sich bereits in unserer bestehenden Einrichtung in Nietleben bewährt.
Wie wird das Thema Ordnung und Sauberkeit geregelt?
Auch das ist Teil unseres pädagogischen Ansatzes. Die Jugendlichen lernen, Verantwortung für ihren Lebensraum zu übernehmen. Es gibt klare Putzpläne, wer wann was zu erledigen hat – im eigenen Zimmer genauso wie in Gemeinschaftsräumen. Natürlich klappt das nicht immer perfekt, aber unsere Mitarbeitenden sind da sehr engagiert hinterher.
Sie erwähnten bereits die Einrichtung in Nietleben. Können Sie sagen, wie die Erfahrungen dort sind?
In Nietleben betreiben wir bereits seit mehreren Jahren eine ähnliche Einrichtung – ebenfalls für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Natürlich gibt es da auch Herausforderungen, wie bei jeder Arbeit mit Jugendlichen. Aber insgesamt funktioniert es gut. Und das Wichtigste: Die Jugendlichen entwickeln sich, sie übernehmen Verantwortung, lernen Deutsch, schließen die Schule ab, starten in die Ausbildung. Das macht Mut – und das wollen wir auch in Reideburg erreichen.
„Wir haben auch viel Zuspruch bekommen – das zeigt uns, wir sind nicht allein“
Wie blicken Sie – trotz des schwierigen Starts – in die Zukunft dieses Projekts?
Wir freuen uns auf den Einzug und sind zuversichtlich. Auch wenn es in den letzten Wochen schwer war: Die vielen positiven Rückmeldungen von Menschen hier vor Ort zeigen uns, dass wir nicht allein dastehen. Viele sagen: „Schön, dass ihr da seid.“ Das bestärkt uns.
Wir wollen ein guter Nachbar sein. Wenn es Probleme gibt – etwa mit Lärm oder Müll – sollen die Leute auf uns zukommen. Unsere Tür steht offen. Und wir sind überzeugt: Wenn man miteinander spricht, kann man vieles klären. Wir laden alle Reideburgerinnen und Reideburger ein, genau das zu tun.
Hintergrund: Wer sind unbegleitete minderjährige Geflüchtete?
Unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die ohne ihre Eltern oder Erziehungsberechtigten nach Deutschland geflüchtet sind. Ihre Aufnahme und Betreuung erfolgt nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII). Sie haben Anspruch auf Schutz, Unterkunft, Bildung und Förderung – wie jedes andere Kind auch. Einrichtungen wie die des DRK sollen ihnen ein stabiles Umfeld bieten, in dem sie sich integrieren und entwickeln können.