Es herrscht große Angst im Iran – in der Bevölkerung und in der politischen Führung. Zehntausende Menschen fliehen aus Teheran; die Spitze des Regimes muss sich in Schutzräumen verstecken, weil Israel nach Belieben militärische und wirtschaftliche Ziele bombardieren kann. Die USA bereiten eine mögliche Beteiligung an den Angriffen vor.
Nach einer Woche Krieg ist ungewiss, ob die Islamische Republik den Konflikt überstehen kann. Doch was kann auf sie folgen? Revolutionsführer Ali Chamenei und andere Spitzenpolitiker haben sich längst in Sicherheit gebracht. Sie sind gegen die israelischen Luftangriffe machtlos und bemühen sich um neue Atomverhandlungen mit den USA, damit der Krieg endet.
Donald Trump und Benjamin Netanjahu verlangen vom Iran eine bedingungslose Kapitulation.
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US-Präsident Donald Trump ruft die Mullahs jedoch zur bedingungslosen Kapitulation auf – was diese ablehnen – und schickt zusätzliche Flugzeuge in den Nahen Osten.
Wie bei den Massendemonstrationen gegen das Regime in den vergangenen Jahren drosselt die iranische Regierung das Internet erheblich, will den Gebrauch von WhatsApp unterbinden. Die Sicherheitskräfte verstärken zudem ihre Straßenpatrouillen, kontrollieren und befragen praktisch jeden, der sich nach Einbruch der Dunkelheit nach draußen wagt.
Viele Menschen sehen Israels Luftschläge nicht als willkommene Bestrafung für ein unbeliebtes Regime, sondern als Angriff auf ihre Heimat. Kein Wunder, dass die Regierenden an den Patriotismus der Menschen appellieren und Anti-Amerikanismus schüren wollen.
In der Bevölkerung ist die Erinnerung an den Putsch des US-Geheimdienstes CIA gegen den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mohammad Mossadegh im Jahr 1953 noch präsent.
Prominente Oppositionelle wie Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi wollen den Durchhalte-Appellen dennoch nicht folgen. Sie fordern zwar ein Ende der Angriffe des jüdischen Staats, aber auch einen Rücktritt der Regierung.
Die Tage der Islamischen Republik seien gezählt, sagt auch Reza Pahlavi, Sohn des letzten Schahs. Der 64-Jährige, dessen Vater 1979 von den Islamisten gestürzt wurde, hält den Niedergang des Machtkartells für unumkehrbar. Er hoffe, schon bald aus dem amerikanischen Exil in den Iran heimkehren zu können, schrieb er auf der Plattform X.
Reza Pahlavi, Sohn des früheren Schahs, hält den Niedergang der Mullahs für unumkehrbar.
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Noch gibt es jedoch keinen Volksaufstand gegen die Mullahs. Für die Menschen im Iran geht es ums Überleben, nicht um Politik: Mehr als 200 Menschen sind durch die Luftschläge getötet worden – niemand demonstriert im Bombenhagel.
Drei Szenarien, wie die Zukunft des Irans aussehen könnte:
1 Aus dem Land wird eine Militärdiktatur
Trump und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu denken inzwischen laut über einen möglichen Mordanschlag auf den 86-jährigen Revolutionsführer Ali Chamenei nach.
Man wisse, wo sich das Staatsoberhaupt versteckt halte, sagte der US-Präsident. Sollte der Ajatollah getötet werden, wäre das „keine Eskalation des Konflikts, sondern das Ende des Konflikts“, erklärte Netanjahu. Sein Außenminister Israel Katz wurde am Donnerstag noch deutlicher: Chamenei dürfe „nicht weiter existieren“.
Irans Staatsoberhaupt, Ajatollah Chamenei, könne sich seines Lebens nicht mehr sicher sein, erklärten die USA und Israel.
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Ein erfolgreicher Mordanschlag auf Chamenei könnte das Regime zu Fall bringen, vermutet Iran-Experte Arman Mahmoudian von der Universität Süd-Florida. Ohne den Revolutionsführer an der Spitze würde die Machtelite wohl in konkurrierende Lager zerfallen.
Arman Mahmoudian ist Iran-Experte an der University of South Florida.
Mahmoudian hält eine Machtübernahme der Revolutionsgarde oder anderer Gruppen des Militärs derzeit für das wahrscheinlichste Szenario. Gerade die Garde ist der am besten organisierte bewaffnete Verband und außerdem wirtschaftlich stark. Eine Diktatur unter ihrer Führung wäre möglicherweise weniger islamisch-konservativ als Chameneis Regime, aber wahrscheinlich nicht weniger repressiv.
Die Revolutionsgarde ist schon heute ein Machtfaktor.
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Zu dieser Einschätzung kommt auch Sara Bazoobandi. Angesichts der Tatsache, dass durch Israels Offensive mehrere hochrangige Armeekommandeure und Anführer der Revolutionsgarde getötet worden seien, wäre es denkbar, „dass überlebende Offiziere der Eliteeinheit die Kontrolle übernehmen und argumentieren, sie seien die einzige Institution, die Iran verteidigen könne“, sagt die Forscherin vom German Institute for Global and Area Studies (Giga).
Sara Bazoobandi ist Research Fellow am German Institute for Global and Area Studies (Giga) und Iran-Expertin.
Zudem könnten die Probleme des Westens mit dem Iran nach einer Machtübernahme der Militärs in Teheran die gleichen bleiben oder sogar noch massiver werden: Ein neues Regime könnte aus den israelischen Angriffen den Schluss ziehen, dass zu einer wirksamen Abschreckung künftiger Aggressionen eine Atombombe unverzichtbar sei.
Auch Iran-Expertin Bazoobandi warnt, dass eine Militärdiktatur womöglich das Ende aller diplomatischen Lösungen bedeute und somit die jetzige Konfrontation möglicherweise zu einem breiteren regionalen Krieg führe.
2 Der Iran versinkt im Chaos
Für die meisten Iranerinnen und Iraner steht wohl fest: Der Wandel hin zu einem Iran in Freiheit kann nur gelingen, wenn er von innen heraus gestaltet wird. Friedensnobelpreisträgerin Mohammadi sagte jüngst der BBC, Demokratie und Bürgerrechte könnten nicht durch Gewalt und Krieg erzwungen werden.
Damit spielt die prominente inhaftierte Oppositionelle auf Erfahrungen mit anderen, von außen erzwungenen Regimewechseln an. Es gibt im Iran durchaus Befürchtungen, das Land könnte ein ähnliches Schicksal erleiden wie zum Beispiel der Irak nach Saddam Hussein. Der wurde 2003 von den US-Truppen gestürzt – sogleich versank der Irak in einem Bürgerkrieg.
Was Iran und Libyen gemeinsam haben, ist, dass in beiden Ländern jahrzehntelang autoritär jede Form organisierter politischer Opposition zerschlagen wurde.
Sara Bazoobandi, Research Fellow am German Institute for Global and Area Studies
Völlig abwegig sei eine solche Entwicklung auch für den Iran nicht, sagt Sara Bazoobandi. Sollte das Aus für das jetzige Willkürsystem kommen, würden womöglich mehrere Gruppen um die Macht kämpfen, wie es in Libyen der Fall war, nachdem Diktator Muammar al Gaddafi 2011 abgesetzt und später getötet worden war. Seitdem bekämpfen sich Clans und Warlords. Staatliche Strukturen sind nicht mehr existent.
„Was Iran und Libyen gemeinsam haben, ist, dass in beiden Ländern jahrzehntelang autoritär jede Form organisierter politischer Opposition zerschlagen wurde“, analysiert Bazoobandi. Das Fehlen jeder Alternative sei generell nützlich für Diktatoren, aber katastrophal für ein Land, sobald deren Herrschaft ende.
Der Sturz und Tod von Diktator Gaddafi brachte Libyen einen Bürgerkrieg, der bis heute andauert.
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Analyst David Jalilvand verweist in diesem Zusammenhang auf Israels Interessen. Das Ziel könnte ihm zufolge sein, Irans militärisches Potenzial weitgehend zu zerschlagen – vergleichbar mit dem Vorgehen in Syrien nach Assads Sturz.
Das könnte mit dem Versuch einhergehen, die öffentliche Ordnung gezielt zu destabilisieren, in Anlehnung an das Vorgehen im Gaza-Krieg. „Ein geschwächter, instabiler Iran dürfte für Israel jedenfalls allemal das willkommenste Szenario sein, verglichen mit dem bisherigen Status quo“, sagt Jalilvand.
Ohnehin sei die Vorstellung, aus einem von außen militärisch herbeigeführten Zusammenbruch des Regimes könne sich ein funktionierender, womöglich gar demokratischer Nachfolgestaat entwickeln, reichlich unrealistisch. Die in Afghanistan, Irak und Libyen gemachten Erfahrungen sprächen klar dagegen.
3 Aus dem Iran wird eine Demokratie
Es ist der Traum von Millionen Iranerinnen und Iranern: Aus ihrer Heimat möge nach Jahrzehnten der Despotie ein neuer Staat werden. Doch es gibt weder eine homogene Oppositionsbewegung noch eine von allen akzeptierte Führung.
Die politischen Kräfte und Gruppen unterscheiden sich in ihren Methoden, Zielsetzungen und ihrer sozialen Zusammensetzung. In zentralen Fragen sind sie sogar zerstritten.
Weil sie angeblich die Kopfbedeckung „unislamisch“ trug, wurde Masha Amini festgenommen. Als ihr Tod bekannt wurde, begann der Aufstand gegen das Regime.
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Die Monarchisten wollen die Zeit des Schahs wieder aufleben lassen. Doch viele im Iran erinnern sich noch mit Schrecken an Unterdrückung und Ungleichheit unter Mohammad Reza Pahlavi, der von 1941 bis zur Islamischen Revolution 1979 mit harter Hand regierte.
Auch die Volksmudschaheddin sind erklärte Feinde der Mullahs. Doch sie gelten als sektiererisch und unterstützten im Krieg von 1980 bis 1988 den Feind Irak. Die verschiedenen ethnischen Minderheiten wie Kurden und Belutschen wiederum lehnen als Sunniten einen von Schiiten dominierten Staat ab.
David Jalilvand ist Leiter des Beratungsunternehmens Orient Matters und ein Kenner des Iran.
Die breiteste Anhängerschaft dürfte jene Protestbewegung haben, die schon seit langer Zeit vor allem mithilfe von Massendemonstrationen die Mullahs loswerden will. Doch ihre Proteste wurden in der Vergangenheit mit massiver Gewalt niedergeschlagen. Sogar die Aufstände unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ überstand das Regime 2022.
Der Krieg liefert einen willkommenen Vorwand, um Kritik und Protest im Innern nun auch mit Verweis auf die nationale Bedrohungslage zu kriminalisieren.
David Jalilvand, Leiter des Beratungsunternehmens Orient Matters
Hinzu kommt laut David Jalilvand vom Beratungsunternehmen Orient Matters noch eine andere Schwierigkeit, die mit dem Krieg gegen Israel einhergeht: Das Regime sei militärisch zwar schwer getroffen, doch auf politischer Ebene spielten ihm die Angriffe in die Hände. „Der Krieg liefert einen willkommenen Vorwand, um Kritik und Protest im Innern nun auch mit Verweis auf die nationale Bedrohungslage zu kriminalisieren.“
Im Herbst 2022 protestierten Millionen Menschen im Iran gegen das Regime.
© AFP/ Twitter
Dass Netanjahu sich in seiner Ansprache an das iranische Volk explizit auf die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung bezogen habe, sei eine Steilvorlage für die Machthaber gewesen, die den Aufstand vor knapp drei Jahren von Beginn an als von außen gesteuert diffamiert hätten.
Ohnehin setze ein demokratischer Übergang den vollständigen Zusammenbruch des jetzigen Systems voraus, sagt Iran-Kennerin Sara Bazoobandi. Angesichts der Überlebensinstinkte des Regimes scheine das vorerst noch in weiter Ferne zu liegen. Trotz steigender Opferzahlen, Zerstörungen der Infrastruktur und Problemen bei der Versorgung mit Lebensmitteln.
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Experte Arman Mahmoudian gibt der seiner Meinung nach in sich zerstrittenen Opposition denn auch keine echte Chance, an die Macht zu kommen. Er verweist darauf, dass ein erfolgreicher Aufstand ohne eine gut vernetzte Organisation im Iran so gut wie unmöglich sei.