Israel zerschlägt binnen Tagen große Teile der iranischen strategischen Infrastruktur, doch Teherans engster Partner Moskau bleibt auffällig zurückhaltend. Wenige Monate nach der Unterzeichnung eines „strategischen Partnerschaftsabkommens“ mit Wladimir Putin steht das Regime in Teheran unter massivem militärischem Druck. Doch abgesehen von diplomatischen Leerformeln und symbolischen Telefonaten ist aus Moskau keine substanzielle Hilfe zu erwarten. Warum?
Die Antwort liegt nicht nur in rationalem Kalkül, sondern in einem hybriden Machtansatz des Kremls, der geopolitische Zweckmäßigkeit mit autoritärer Inszenierungslogik verbindet. Russlands Schweigen ist keine Schwäche – es ist Methode. Moskau agiert nicht im Zeichen von Bündnistreue, sondern entlang situativer Nützlichkeit. Und mehr noch: Es folgt einer postrationalen Logik der Macht, in der Loyalität, Partnerschaft und sogar strategische Planung jederzeit dem Primat symbolischer Selbstbehauptung und taktischer Unvorhersehbarkeit untergeordnet werden können. Das macht Russland nicht nur unzuverlässig, sondern gefährlich.
Partnerschaft auf Distanz
Am Beginn von Russlands Invasion gegen die Ukraine war Teheran für Moskau ein unverzichtbarer Partner: Drohnenlieferungen, Technologietransfer, Logistik. Iran unterstützten den Kreml im Kalkül antiwestlicher Interessenkonvergenz. Moskau wiederum belohnte das iranische Regime mit Investitionen, bilateraler Aufwertung und demonstrativem Schulterschluss. Doch Russlands Hilfe blieb stets begrenzt – zwar wurde 2016 ein älteres S-300-System geliefert, doch moderne Luftabwehr wie die S-400, Kampfflugzeuge wie die Su-35 oder gar echte Sicherheitsgarantien blieben aus. Putin hielt die taktische Partnerschaftsleine kurz. „Iran hat Russland in den letzten Jahren immer wieder um Waffen gebeten“, sagt Nikita Smagin, Experte für russisch-iranische Beziehungen gegenüber New York Times. „Es hat nach Flugzeugen und Luftabwehrsystemen gefragt. Russland hat so gut wie nichts geliefert.“
In der aktuellen Eskalation zeigt sich, wie limitiert das russisch-iranische Bündnis ist, wenn es ernst wird. Im Unterschied zu 2015, als Russland das Assad-Regime mit Luftschlägen und Stützpunkten militärisch absicherte, fehlt heute jede Bereitschaft zur direkten Intervention und womöglich auch die Fähigkeit dazu. Der Grund: Russlands Kräfte sind in der Ukraine gebunden. Auch wären die geopolitischen Kosten einer Intervention zu hoch, der strategische Nutzen aber zu ungewiss. „Russland muss im Falle Irans die Möglichkeit einer Konfrontation mit Israel und den USA in Betracht ziehen – und da ist es schlicht nicht wert, Teheran zu retten“, so Smagin.
Selbstschutz als Russlands Priorität
Russland steckt tief im Abnutzungskrieg gegen die Ukraine. Die militärischen Kapazitäten sind limitiert, die wirtschaftliche Resilienz angeschlagen. Parallel versucht Putin, sein internationales Umfeld neu auszurichten – mit wachsender Rücksicht auf Akteure wie Saudi-Arabien sowie die Vereinigten Arabischen Emirate. Diese Staaten sind zwar keine Verbündeten, jedoch entscheidend für Russlands Sanktionsumgehung, Energiepolitik und regionales Standing. Ein über die rhetorische Ebene hinausgehender offener Schulterschluss mit Teheran würde diese fragilen Balancen gefährden.
Hinzu kommt die Hoffnung auf diplomatische Dividenden: Putin bietet sich gegenüber der Trump-Administration als „Vermittler“ im Iran-Konflikt an, ohne dabei Zugeständnisse im Ukrainekrieg machen zu müssen. Die Signalwirkung ist eindeutig: Russland kann nützlich sein – als Ordnungsmacht, als Verhandlungsakteur, als Puffer gegen nukleare Eskalation. In diesem Kontext kursieren sogar Angebote zur Übernahme des iranischen Uranbestandes. Laut Hanna Notte vom James Martin Center for Nonproliferation Studies gebe es das russische Bestreben, das Verhältnis zu den USA zu verbessern und sich Washington als Gesprächspartner in globalen Fragen zu präsentieren. Dabei riskiere Putin, die Iraner zu verprellen, die dem Kreml seit jeher misstrauen und befürchten, dass Russland sie fallenlassen könnte, wenn es dem eigenen Interesse diene, so Notte.
Chinas kalkuliertes Schweigen und Israels Gewinn
Auffällig ist, dass auch China bislang auffallend zurückhaltend auf die israelischen Angriffe reagiert hat. Keine klaren Stellungnahmen, keine offenen Schuldzuweisungen und erst recht kein Schulterschluss mit Teheran. Dass selbst Peking schweigt, bietet Moskau geopolitische Rückendeckung: Russland kann sich auf diplomatisches Lavieren konzentrieren, solange China keine klare Linie vorgibt. Hätte China sich entschieden auf die Seite Irans gestellt – politisch, wirtschaftlich oder gar militärisch – wäre auch Russland gezwungen gewesen, sich stärker zu positionieren.
Wie Russland hat auch China ein Interesse daran, dass die Lage in der Region instabil bleibt, doch eben nur so weit, dass sich daraus Vorteile ziehen lassen. Ein begrenzter Konflikt zwischen Iran und Israel lenkt den Westen ab, schwächt bestehende Bündnisse und verschafft Peking zusätzlichen Spielraum. Solange keine klare Blockbildung entsteht, kann China seine Beziehungen flexibel gestalten. Deshalb schweigt Peking – nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus strategischem Kalkül.
Aus israelischer Sicht wird Moskaus Schweigen als stillschweigende Billigung der Anti-Iran-Offensive gedeutet – ein stiller Gewinn an sicherheitspolitischer Bewegungsfreiheit, der den russisch-israelischen Kanal nach tiefer Entfremdung infolge der Hamas-Terroranschläge vom 7. Oktober 2023 erneut aufwertet.
Putins Dilemma in der Irankrise
Die Dissonanz in Moskaus Verhalten reicht allerdings tiefer als bloße militärische Zurückhaltung. Denn die russische Propaganda steht vor einem schwierigen Spagat: Einerseits möchte sie die Angriffe gegen den Iran als illegitime westliche Einmischung und gefährliches Präzedenzsignal brandmarken – ganz im Geiste der gegen sogenannte Farbrevolutionen gerichteten Rhetorik. Andererseits erfolgen die Angriffe gegen den Iran nicht unter Joe Biden, sondern unter Donald Trump – dem „Freund“, ja „Messias“, wie russische Medien ihn seit Monaten verklären. Und einen Freund beschimpft man nicht. Erst recht nicht, wenn man weiterhin auf Verhandlungskanäle mit ihm setzt.
Damit bleibt der Ton in russischen Medien auffällig verhalten. Moskau laviert zwischen formaler Iran-Solidarität und wohlkalkuliertem Schweigen über die Rolle der USA. Trump wird dabei entweder gar nicht erwähnt oder seine eigentlich unmissverständlichen Aussagen so interpretiert, als könnten sie in Wahrheit mehrdeutig verstanden werden. Der Aggressor für Russlands Propaganda bleibt Israel, nicht aber die USA. Und Donald Trump ist im Zweifelsfalle – Friedensvermittler.
Warnsignal für Moskaus Peripherie
Russlands Balanceakt im Iran-Konflikt wird auch in der unmittelbaren Nachbarschaft in Minsk, Bischkek oder Astana aufmerksam beobachtet. Für Moskaus Kooperationspartner im postsowjetischen Raum sendet Moskaus Verhalten ein doppeltes Signal: Der Kreml kann und will keine Garantiemacht sein. Und Loyalität in Russlands Außenpolitik existiert nicht und kann jederzeit durch geopolitische Opportunität ersetzt werden. Wer auf bedingungslose politische Unterstützung des Kremls setzt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit allein dastehen, sobald es ernst wird.
Putins Schweigen zu Teheran unterstreicht einmal mehr die Asymmetrie russischer Bündnisse: Sie beruhen nicht auf Ideologie, nicht auf bindenden Sicherheitsgarantien, sondern auf situativer Nützlichkeit. Die Botschaft Moskaus an seine Partner lautet: Die Rettung der Ertrinkenden ist Sache der Ertrinkenden.
Russlands Vorgehen während des Kollaps des Assad-Regimes kann auch auf Iran übertragen werden: Taktische Flexibilität statt ideologischer Treue – keine Rettung um jeden Preis, sondern vorsorgliche Anpassung an mögliche Nachfolgestrukturen. Was zählt, ist nicht das Überleben des Partnerregimes, sondern die Sicherung strategischer Einflussräume. Denn auch wirtschaftlich zeigt sich, dass Moskau vom Iran-Konflikt jedenfalls kurzfristig profitiert. Ein Blick auf den Ölmarkt genügt.
Profit ohne Verantwortungsübernahme
Russland gehört zu den stillen Profiteuren der Eskalation. Seit Beginn der israelischen Angriffe ist der Ölpreis sprunghaft gestiegen, mit unmittelbaren Vorteilen für den krisengeschüttelten russischen Haushalt. Jeder US-Dollar mehr pro Barrel lindert den fiskalischen Druck und finanziert Putins Krieg gegen die Ukraine mit. Anders als der Iran, dessen Exportkapazitäten durch Angriffe geschwächt sind, bleibt Russland operativ handlungsfähig. Damit enthält Moskaus Schweigen auch ein Element kalkulierter Passivität: Je länger der Iran-Konflikt anhält, desto stärker steigen die Energiepreise. Ohne selbst zu eskalieren, kann Russland geopolitisch mitverdienen – an der Instabilität seiner eigenen Partner. Die geopolitische Krise des Partners wird so zu wirtschaftspolitischer Ressource des Kremls.
Zwischen Nutzenkalkül und Unberechenbarkeit: Russlands gefährliche Rolle
Für Teheran markiert Russlands Zurückhaltung nicht nur eine strategische Enttäuschung, sondern eine fundamentale Entzauberung. Die seit Jahren latente Sorge, Moskau könne sich im Ernstfall abwenden, erweist sich nun als Realität – kühl, kalkuliert, weitgehend kommentarlos.
Während der Iran um militärische Handlungsfähigkeit, internationale Unterstützung und innenpolitisches Überleben des Regimes ringt, profitiert Russland vom Ölpreisanstieg und inszeniert sich zugleich als potenzieller Gesprächspartner Washingtons. Dieses Verhalten ist Ausdruck einer doppelten Logik: einerseits klassisch-rationaler Interessenpolitik, andererseits eines postrationalen Systems, das seine Prioritäten nicht mehr ausschließlich aus materiellen Kosten-Nutzen-Rechnungen ableitet, sondern zunehmend aus symbolischer Selbstvergewisserung, autoritärem Selbsterhalt und taktisch-inszenatorischer Widersprüchlichkeit.
Russland agiert nicht als Ordnungsmacht im Sinne stabilitätsorientierter Bündnispolitik, sondern als selektiver Akteur: Partnerschaften sind für den Kreml kein Ausdruck von Loyalität, sondern Instrumente situativer Nützlichkeit – jederzeit widerrufbar, wenn die Situation es erfordert. Gerade diese Mischung aus strategischer Rationalität und symbolisch-ideologischer Postrationalität macht das russische Regime gefährlich: Es verfolgt keinen vorhersehbaren Pfad stabiler Machtbalance, sondern nutzt Unberechenbarkeit als Machtressource.
Für den Westen – und insbesondere für die Trump-Administration – bedeutet das: Wer Russland als „ordnungspolitischen Faktor“ rehabilitieren möchte, sollte sich weniger an vermeintlicher Nützlichkeit orientieren, sondern fragen, welche Ordnung damit eigentlich gestärkt wird und auf wessen Kosten. Denn Putins Regime ist kein Garant für Stabilität, sondern ein Akteur kontrollierter Instabilität im Dienste der eigenen Selbsterhaltung.
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