Wölfe dürfen in Europa jetzt leichter abgeschossen werden, zumindest theoretisch. Sie sind nicht mehr „streng geschützt“, sondern nur noch „geschützte“ Tiere. Weil sie immer mehr Schafe und Ziegen reißen, würden viele am liebsten Jäger auf sie ansetzen. Ist das der richtige Weg?
Von den Tieren im Märchen hat wohl keines ein so schlechtes Image wie der „böse“ Wolf. Isegrimm frisst kleine Mädchen, Großmütter und Zicklein. Märchen und Mythen haben zur Angst vor dem Wolf beigetragen. Jahrhundertelang war er das am meisten verbreitete Raubtier in Deutschland. Er wurde dann aber so stark gejagt, dass Wölfe Mitte des 19. Jahrhunderts komplett ausgerottet waren.
Jetzt sind sie zurück: Seit 25 Jahren breiten sich Wölfe wieder aus. Besonders viele Tiere gibt es in Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. In Deutschland sind im Beobachtungszeitraum 2023/2024 mindestens 1600 Wölfe gezählt worden, rund 260 mehr als im vorigen Zeitraum 2022/2023. Insgesamt sind 209 Rudel, also Wolfsfamilien, 46 Paare und 19 Einzeltiere nachgewiesen worden.
Ein emotionales Thema, bei dem nicht nur alte diffuse Ängste zurückkommen: Immer mehr Nutztiere werden von Wölfen gerissen. Landwirte sorgen sich um ihre Schafe und Rinder.
„Man kann Wölfe nicht in der Breite bejagen“
Jetzt wird es leichter, Wölfe abzuschießen: Die EU hat Anfang Juni final grünes Licht gegeben für eine Gesetzesänderung. Sie sind nun nicht mehr „streng geschützt“, sondern nur noch „geschützt“. Die europäische Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) wird dementsprechend angepasst. Beschlossen wurde die Gesetzesänderung vom EU-Parlament im Mai. Manche munkeln, die EU hat deshalb den Schutzstatus gesenkt, weil sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dafür eingesetzt hat. Im September 2022 hat ein Wolf in ihrer niedersächsischen Heimat ihr Pony Dolly gerissen. Danach hat sie von einer „Gefahr für Nutztiere und möglicherweise auch für Menschen“ gesprochen.
Torsten Richter ist Senior Researcher an der Universität Hildesheim und beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Menschen zu problematischen Tierarten.
Jetzt sind die Mitgliedsländer am Zug: Die einzelnen Regierungen können selbst entscheiden, ob sie den Schutzstatus von Wölfen in ihren Ländern absenken und erlauben, dass sie leichter abgeschossen werden dürfen – ohne den Schutz ganz aufzuheben. Der Erhalt der Art werde aber weiterhin sichergestellt, heißt es im Änderungstext.
Der Beschluss weckt falsche Erwartungen, sagt der Biologe Thorsten Richter von der Universität Hildesheim im ntv-Podcast „Wieder was gelernt“. „Es stimmt nicht, dass der Wolf zum Abschuss freigegeben ist. Man kann leichter Tiere oder ganze Rudel entnehmen, die für Nutztierschäden verantwortlich sind. Aber man kann jetzt nicht in der Breite Wölfe bejagen oder gar wieder zurückdrängen, weil sich am Ziel des guten Erhaltungszustandes der Tierart nichts ändert.“
Problemwölfe dürfen abgeschossen werden
Wölfe haben international und in Europa einen hohen Schutzstatus. In Deutschland bedeutet das: Wer ein Tier vorsätzlich tötet, muss mit einer hohen Geldstrafe oder bis zu fünf Jahren Haft rechnen.
Das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) wird hierzulande voraussichtlich dementsprechend angepasst, und der Schutzstatus von Wölfen auf „geschützt“ gesenkt. So zumindest haben es CDU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart. Damit wird es einfacher, Problemwölfe abzuschießen, sagt Richter. Das sind Tiere, die immer wieder wolfssichere Weidezäune überwinden. In den wolfsreichen Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen gibt es bereits eine entsprechende Ausnahmeregelung – seit vergangenem Jahr.
„Wenn diese wolfsabweisende Zäunung mehrfach überwunden wurde, ist es dem Tierhalter nicht zuzumuten, weiter aufzurüsten. Dann kann man über DNA-Tests feststellen, welches Tier das ist – und dann gibt es eine Abschussgenehmigung“, erklärt Richter. Die Schwierigkeit mit den Problemwölfen: Sie müssen entdeckt – und dann auch noch identifiziert werden. Das verursache viele Arbeitsstunden und hohe Kosten, so der Experte. Und häufig würden dann auch noch die falschen Wölfe getötet.
Ein Ausnahmefall wäre es auch, wenn Wölfe Menschen gefährden oder anfallen, auch dann dürfte man diese Tiere abschießen. Sie sind Raubtiere und deshalb gefährlich – trotzdem passiert das extrem selten. Am ehesten dann, wenn die Tiere von Menschen gefüttert werden.
Umweltminister wollen Wolf zur Jagd freigeben
Mit der neuen EU-Regelung dürften Wölfe jetzt zwar nicht wahllos abgeschossen werden, aber der Abschuss wird leichter. Aufwendige DNA-Analysen zur Identifizierung von Problemwölfen würden in ganz Deutschland wegfallen.
Wölfe dürfen bisher nicht wie Rotwild, Waschbären oder Füchse gejagt. Sie stehen zwar im Jagdrecht mehrerer Bundesländer, hier gilt aber eine ganzjährige Schonzeit. Damit wird es ebenfalls leichter, auffällige Wölfe abzuschießen.
Damit das auch in ganz Deutschland möglich ist, wollen die Umweltminister den Wolf ins Bundesjagdgesetz (BJagdG) aufnehmen. Auch das haben Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart.
Umweltschützer kritisieren aber, durch Abschussquoten werden nicht weniger Weidetiere gerissen. „Auch ein einzelner Wolf kann großen Schaden anrichten, wenn die Weidetiere nicht geschützt sind. Selbst wenn man Wölfe bejagen oder regulieren würde, fällt der Herdenschutz dadurch nicht weg“, sagt Marie Neuwald vom Naturschutzbund Nabu.
„Viele Halter schützen ihre Tiere nicht“
Wölfe fressen hauptsächlich Wildtiere, sagt Richter. Nutztiere machten nur etwa einen Prozent aus. 2023 haben Wölfe über 5000 Nutztiere verletzt oder getötet, vor allem Schafe und Ziegen – seltener auch Rinder oder Pferde.
Die Raubtiere decken sich vor allem da mit Fleisch ein, wo sich die Tierhalter noch nicht auf sie eingestellt haben. Ohne Zäune drumherum sind kleine Nutztiere eine sehr einfache Beute. Wenn die Weiden nicht oder schlecht gegen Wolfsangriffe geschützt sind, lernen Wölfe, dass Weidetiere leicht zu erbeuten sind – und versuchen sich auch an größeren Hindernissen. „Viele Halter schützen ihre Tiere nicht wolfsabweisend, sie machen es den Wölfen sehr leicht, an Nutztiere heranzukommen. Dadurch ermöglichen sie, dass sich diese Muster bei den Wölfen etablieren“, sagt Biologe Richter im „Wieder was gelernt“-Podcast.
Die Halter müssen für den Schutz natürlich mehr Aufwand betreiben. Die Dokumentations- und Beratungsstelle Wolf des Bundes empfiehlt 1,20 Meter hohe Stromzäune, bei größeren Herden zusätzlich auch noch Hunde.
In fast allen Bundesländern gibt es dafür Geld vom Staat – wie viel, das ist unterschiedlich geregelt, teilweise bekommen die Halter ihre Kosten komplett erstattet. 2023 haben Nutztierhalter für Zäune, Herdenschutzhunde und Co. insgesamt rund 21 Millionen Euro bekommen; für ihre gerissenen Tiere als Ausgleichszahlung knapp 640.000 Euro.
Diese staatliche Unterstützung sollte auch in Zukunft nicht gestrichen werden, findet Richter. „Selbst wenn die Wölfe einer Bejagung unterliegen, wenn problematische Tiere oder Rudel entnommen werden können, heißt es nicht, dass wir mit dem Herdenschutz aufhören können.“
Wolfsbestand teils „ungünstig-schlecht“
Seit der Wolf wieder in Deutschland zu Hause ist, sorgen vor allem die Angriffe auf Schafe, Ziegen oder Rinder für Streit. Ein existenzielles Problem für die Weidetierhalter, meint der Deutsche Bauernverband. Der Wolf sei „überschützt“, der Erhaltungszustand sei mehr als günstig, sagt Generalsekretär Bernhard Krüsken. Die EU-Entscheidung bezeichnet er als „überfälligen und richtigen Kurswechsel“.
Einen Ausblick gibt ein neues Urteil vom Europäischen Gerichtshof von Mitte Juni. Demnach darf der Wolf zur Jagd freigegeben werden, auch wenn er als „gefährdet“ eingestuft ist. Voraussetzung ist aber sein Bestand: Die Population muss in einem günstigen Erhaltungszustand sein – das bedeutet, dass er langfristig nicht aussterben wird. In Deutschland ist das momentan nicht der Fall.
Das könnte sich aber noch ändern: Bis Juli will das Bundesamt für Naturschutz (BfN) den neuen FFH-Bericht 2025 fertig haben. Im Entwurf wird der Wolfsbestand nur in Niedersachsen als „günstig“ eingestuft. In Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wird der Erhaltungszustand dagegen als „ungünstig schlecht“ bewertet – dieser würde dann für ganz Deutschland gelten. Und damit dürfte er auch nicht gejagt werden.
„Wieder was gelernt“-Podcast
„Wieder was gelernt“ ist ein Podcast für Neugierige: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Wann werden die deutschen Strompreise sinken? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland? Welche europäische Landwirtschafts-Bastion trocknet aus? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.
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