80er Jahre, das alte West-Berlin, als dort „Neue Deutsche Welle“ mit entstand. Zu deren Stars der neuen Pop-Kultur gehörte Annette Humpe (74). „Ich steh’ auf Berlin“, sang sie vor 45 Jahren mit der Band Ideal. Gemeint war das Leben im Westteil einer Stadt, die durch eine Mauer geteilt war. Doch irgendwie stand West-Star Humpe auch auf den Osten, wie sie jetzt in einem Interview erklärt. Ihre erstaunliches Bekenntnis: Die Berliner Mauer fand sie mega!

64 Jahre ist es nun her, das die DDR die Berliner Mauer am 13. August 1961 errichten ließ. Ein 155 Kilometer langes Monstrum aus Beton und Stacheldraht, das Berlin und seine Bewohner teilte. Sie stand weltweit für die gesamtdeutsche Teilung, die 28 Jahre dauerte. Mindestens 140 Menschen wurden zwischen 1961 und 1989 an der Berliner Mauer getötet oder kamen im Zusammenhang mit dem DDR-Grenzregime ums Leben.

Das scheint heute in Berlin und im gesamten Deutschland immer mehr in Vergessenheit zu geraten. Stattdessen hört man oft verklärte Ansichten über das einstige Leben in der DDR und in der alten Bundesrepublik mit West-Berlin, wenn sich Menschen an die Jahre der Teilung erinnern. Frei nach dem Motto: War ja nicht so schlimm! Es waren verrückte Jahre.

Annette Humpe mit Ideal: „Ich steh’ auf Berlin“ war einer der großen Hits der Band.

Annette Humpe mit Ideal: „Ich steh’ auf Berlin“ war einer der großen Hits der Band.Wulff Pfeiffer/dpa

Merkwürdig anmutende Bekenntniss aus der Zeit von damals kann man nun in einige Passagen eines Interviews mit Annette Humpe in Zeit-online lesen. In dem Gespräch geht es um Berlin und um den Song „Ich steh’ auf Berlin“ geht, der nun seinen 45. Geburtstag hat.

Zu dem alten Berlin-Lied sagt die Sängerin (Ideal, Ich + Ich) und Produzentin (Prinzen, Udo Lindenberg) in dem Interview: „Man würde sich heute vielleicht wundern, dass in dem Song keine Straßen im Ostteil der Stadt vorkommen, aber alles andere stimmt immer noch. Ich fand Berlin damals überhaupt nicht trostlos, ganz im Gegenteil.“

West-Star Annette Humpe: Mauer war Schutz vor westdeutscher Spießigkeit

Für Annette Humpe sei West-Berlin eine Offenbarung gewesen, „besser als New York“. „Auch die Mauer fand ich mega“, sagt Humpe. Warum? „Sie hat mich vor Westdeutschland beschützt, vor der Spießigkeit“, sagt Annette Humpe.

Diese persönliche Ansicht verwundert. Denn wie gesagt: Man darf nie vergessen, dass die Berliner Mauer weder ein Schutzwall gegen westdeutsche Spießigkeit noch ein „antifaschistischer Schutzwall“ (wie das DDR-Regime seinem Volk einreden wollte) war.

Nun, die Sängerin stammt  wie ihre Schwester Inga Humpe (69, 2raumwohnung) aus dem westfälischen Hagen. 1974 kam Annette Humpe nach West-Berlin. In den 80er-Jahren habe sie sich „damals politisch mit dem Osten identifiziert und war durchaus auch ein bisschen Kommunistin“. Sie sei „auch mal drüben“ gewesen – „aber nicht so, dass ich dort hätte leben wollen, auf keinen Fall“.

Die Berliner Mauer am Brandenburger Tor: 155 Kilometer lang war das Monstrum aus Beton und Stacheldraht, teilte 28 Jahre lang die Stadt Berlin und Deutschland. Mindestens 140 Menschen wurden an der Mauer getötet.

Die Berliner Mauer am Brandenburger Tor: 155 Kilometer lang war das Monstrum aus Beton und Stacheldraht, teilte 28 Jahre lang die Stadt Berlin und Deutschland. Mindestens 140 Menschen wurden an der Mauer getötet.stock & people/imago

Annette Humpe lebt immer noch in Berlin. Steht sie auch noch heute auf diese Stadt wie einst vor 45 Jahren? „Ich habe eine lebenslange Liebesbeziehung zu dieser Stadt, und wie das in der Liebe so ist, ging mir Berlin dann irgendwann auch mal schwer auf den Keks“, sagt Humpe.

Die Gründe: „Überall, wo man hinkam, saßen immer die gleichen Leute und sagten: ,Ich schreibe gerade ein Drehbuch, ich habe eine Band gegründet, ich will demnächst starten.‘ Und dann hast du die zwei Jahre später wieder getroffen, und sie haben immer noch das Gleiche erzählt. Berlin macht sich gern wichtig und quatscht viel, wenn der Tag lang ist.“

Doch wenn Humpe woanders hingehe, bekomme sie Liebeskummer, sagt die Sängerin. „Das Planlose an dieser Stadt macht gleichzeitig den Reiz aus.“