Und ähnlich wie der Opernball bereits mit dem Eintreffen der Stargäste am roten Teppich beginnt, fängt Royal Ascot nicht mit dem ersten Rennen, sondern mit der königlichen Prozession am Paradering an. Kurz nach 14 Uhr werden Smartphones gezückt und Zylinder gelüpft, wenn König Charles mit Königin Camilla in einem glänzenden Landauer, gezogen von vier Pferden, vorfährt.
Royal Enclosure
Auch wenn Pferderennen in England allgemein als „Sport der Könige und Königinnen“ bezeichnet werden, erinnert die Universitätsprofessorin Melanie Sully – gebürtige Britin und inzwischen Wahlwienerin – wird diese Sportart von der ganzen Nation genossen.
Bei Royal Ascot kommt man nur auf Einladung und mit strengem Dresscode in die Boxen der Royal Enclosure – knielanges Kleid oder Hosenanzug und mindestens 2,5 cm breite Schulträger für Damen, Stresemann mit Zylinder für den Herren sind Pflicht. Doch das Village Enclosure erwartet mit Livemusik, Picknick und Street Food alle zahlenden Gäste – das Pendant zur Stehkarte beim Opernball.
Melanie Sully ergänzt: „Nun ist Österreich keine so klassenorientierte Gesellschaft, aber der Walzer erstreckt sich doch vom großen Opernball bis zum örtlichen Tanzklub. Er ist etwas, das die Menschen vereint und Teil ihrer Identität ist.“
Einmal im Leben nach Ascot
Das britische Ehepaar Dee und Steve Whitehouse sitzt am frühen Nachmittag bei einer Flasche Prosecco an einem der Tische im Hauptgebäude. Sie sind für das Event rund vier Stunden aus Yorkshire angereist. „Wir arbeiten unsere Bucket List ab“, sagt Dee. Ihr Ehemann Steve hatte im vergangenen Jahr eine Krebsdiagnose. Mittlerweile habe er zum Glück das „all clear“ erhalten, doch ihre Prioritäten hätten sich dennoch verschoben. „Man darf die Dinge, die man tun möchte, nicht aufschieben“, sagt Dee.
Auch das verbindet die beiden Großevents: Selbst wer sie schon oft im Fernsehen verfolgt hat, zumindest einmal möchte man sie gerne mit eigenen Augen sehen und selbst mit dabei sein.
Doch nur bei einem Mal soll es bei den Whitehouses nicht bleiben, verrät Steve mit Augenzwinkern. Sie hätten bereits Tickets für das kommende Jahr organisiert.
Unterdessen strömen Besucher wieder auf die Tribünen: Der Startschuss für die nächste Runde, fällt: Der Gold Cup geht gleich los.
Mitfiebern
Anastasija Bailey, mit dem pfirsichfarbenen Rosen-Hut, stellt sich auf die Zehenspitzen, um an den Federn, den Blumen, den Zylindern vorbeizusehen. „…Illinois hat sich auf den zweiten Platz vorgekämpft…“, dringt die Stimme des Kommentators durch die Lautsprecher. „Yes“, murmelt Anastasija.
Ein paar Meter weiter steht Waltraud Dennhardt-Herzog, die Direktorin des österreichischen Kulturinstituts, an den weißen Zaun gelehnt. Die Aufregung um sie herum erinnert sie an einen anderen Fixpunkt im österreichischen Society-Kalender erinnern: „Ein bisschen fühlt es sich an wie bei der Streif.“ Denn auch wenn die dicken Winterhauben wenig mit den eleganten Hüten gemein haben: Das lang andauernde Mitfiebern über mehrere Rennen bzw. mehrere Fahrer hinweg ist sehr ähnlich.
Das Donnern der Hufe lässt nun den Boden vibrieren, die Rufe der Gäste schwellen an, Anastasija Bailey reckt sich noch etwas weiter. „…sie sind im letzten Furlong“, kommt die Stimme des Kommentators aufgeregter durch die Lautsprecher, „und Trawlerman gewinnt den Gold Cup!“ Anastasija Bailey lässt enttäuscht die Schultern sinken.
Doch lange hält die Enttäuschung nicht an. Ein Fotograf klopft ihr auf die Schultern. Darf er ein Foto machen?