Die Staatsanwaltschaft Bonn hatte US-Millionär Daniel Starr festnehmen lassen. Das war rechtswidrig, stellten Gerichte später fest. Die Ermittlungen sind aber nicht beendet. Wird der Fall nun zum Politikum zwischen den USA und Deutschland?
Ein US-amerikanischer Tech-Millionär, Philanthrop und Donald-Trump-Unterstützer sitzt noch in seinem Privatjet, als schwer bewaffnete Einsatzkräfte die Maschine auf dem Rollfeld in Paris stürmen. Wenige Minuten später liegt er auf dem Asphalt des Flughafens, verhaftet aufgrund eines europäischen Haftbefehls aus Deutschland. So schildert das Handelsblatt die Festnahme von Daniel Starr am 12. November 2022. Gegen eine Kaution von zwei Millionen Euro war er nach zwei Tagen wieder auf freiem Fuß. Nachwirkungen hat der Fall bis heute.
Denn in der Zwischenzeit haben deutsche Gerichte festgestellt: Der Haftbefehl war rechtswidrig. Bereits im Dezember 2022 hob das Landgericht (LG) Bonn den Haftbefehl auf, im März 2023 bestätigte das Oberlandesgericht (OLG) Köln die Entscheidung: kein Auslieferungsgrund, kein dringender Tatverdacht. Doch das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bonn gegen Starr wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung läuft immer noch – und es wird jetzt zum Politikum gemacht.
Eingeschaltet hat sich unter anderem der Ex-US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, er spricht gar von „politisch motivierter Strafverfolgung“. Auch der einflussreiche republikanische US-Senator Lindsey Graham fordert, laut Handelsblatt, Aufklärung. Starr selbst geht es darum, das Verfahren beendet zu wissen, egal in welche Richtung: „Die deutsche Staatsanwaltschaft soll mich entweder anklagen oder das Verfahren einstellen. Ich will einfach nur mein Leben leben“, so zitiert ihn das Magazin.
„Der Fall wurde gestern mit dem Weißen Haus erörtert“
Starr scheint es gelungen zu sein, auf höchster Ebene Unterstützung für seinen Fall zu gewinnen. „Der Fall wurde gestern mit dem Weißen Haus erörtert. Das US-Außenministerium und die US-Botschaft in Berlin wurden informiert und beide arbeiten mit Hochdruck an der Lösung des Problems“, so Starrs Medienanwalt, der Rechtsanwalt Ralf Höcker von der gleichnamigen Kölner Kanzlei am Donnerstag zu LTO.
„Ein deutscher Staatsanwalt könnte für außenpolitische Spannungen zwischen Deutschland und den USA verantwortlich werden“, so Höcker. Wenn Staatsanwälte zu politischen Akteuren werden, stehe der Rechtsstaat zur Disposition. Der Fall habe inzwischen auch die Aufmerksamkeit von US-Vizepräsident JD Vance erregt, sagt Höcker.
Die politischen Schwergewichte des Trump-Lagers üben Druck aus auf einen Staatsanwalt für Steuerstrafsachen aus Bonn? Was steckt hinter diesem Fall und seinen Vorwürfen? Handelt es sich gar um einen Fall „politisch motivierter Strafverfolgung“?
Zwei Jahre Ungewissheit?
Starr, geboren 1980 im US-Bundesstaat Pennsylvania, gründete früh erfolgreiche Start-ups, war unter anderem bei Myspace aktiv und verkaufte 2016 sein Bezahldienst-Unternehmen für 40 Millionen US-Dollar. Mit Gamemine, einem Mobile-Games-Streamingdienst, gewann er Millionen Nutzer. Während der Corona-Pandemie stieg er in den Immobilienhandel ein, kaufte ein Anwesen im kalifornischen Montecito – später verkauft er es für 25 Millionen Dollar. Der US-Tech-Millionär gilt als hervorragend vernetzt. Er hat mal eine Villa in Beverly Hills an die Sängerin Rihanna verkauft und wohnte selbst im Haus von Schauspieler Kevin Costner. Eine schillernde Unternehmerpersönlichkeit, die viel auf der Welt unterwegs sein will.
Starr lebe seit dem Vorfall in Paris in ständiger Unsicherheit, so sein Anwalt. Aus Angst vor erneuter Festnahme wage er keine EU-Reisen. Starr ist als Global Affairs-Chef beim Tech-Konzern Applovin tätig, und der arbeitet an einer potenziell historischen Übernahme des internationalen Tik-Tok-Geschäfts. „Erklären Sie mal jemandem in diesem Geschäft, dass Sie nicht reisen wollen, weil Sie Angst vor einer Festnahme der deutschen Behörden haben“, so Starr zum Handelsblatt.
Ein Haftbefehl liegt gegen Starr aktuell nicht vor, erklärt die Staatsanwaltschaft Bonn auf LTO-Anfrage.
Den Unterstützern Starrs geht es aber um die Drohkulisse. Die prominente rechte US-Influencerin Laura Loomer schrieb auf X von einer faktischen „Geiselnahme“ Starrs. Ein „abtrünniger Staatsanwalt“ aus der Staatsanwaltschaft Bonn soll das Verfahren gegen Starr ohne Grund fortführen.
Der Strafverteidiger von Starr, der Kölner Anwalt Björn Gercke, erklärte gegenüber LTO, dass sein „Mandant von dem Geschehen traumatisiert“ ist. Es mag vielleicht aktuell kein Haftbefehl vorliegen, man könne dem Mandanten allerdings nicht versichern, dass es zu einem solchen auch in der Zukunft nicht kommt.
Haftbefehl wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung
Im Fokus der Bonner Ermittlungen steht der Vorwurf, Starr habe als Geschäftsführer mehrerer US-Firmen keine Umsatzsteuererklärungen in Deutschland in dem Zeitraum 10.10.2015 bis 31.05.2020 abgegeben, obwohl er wusste, dass diese Firmen umsatzsteuerpflichtig waren. Wer bei den Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder die Finanzbehörden über solche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Dies regelt u.a. § 370 Abs. 1 Abgabenordnung. Die Staatsanwaltschaft Bonn bestätigte gegenüber LTO Ermittlungen wegen dieses Tatvorwurfs.
Auf Grundlage des Vorwurfs hat das Amtsgericht (AG) Bonn auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl im Dezember 2020 gegen Starr erlassen. Auf den deutschen Haftbefehl stützte sich auch der europäische Haftbefehl, der in Paris zur Verhaftung führte.
Das LG Bonn hat mit Beschluss vom 15.12.2022 (Az. 64 Qs-430 Js 640/20-83/22) den Haftbefehl des AG Bonn aufgehoben. Auch der Europäische Haftbefehl geriet damit in Fortfall. Ein Haftbefehl darf dann erlassen werden, wenn der Beschuldigte der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Dies regelt § 112 Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO).
Laut Landgericht lag keine der beiden Voraussetzungen vor. Der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, sei nicht gegeben, weil nicht zu befürchten sei, dass Starr sich dem Strafverfahren nicht stellen würde, so das Gericht. Eine Wohnanschrift sei mitgeteilt worden, Starr sei seinen Meldeauflagen nachgekommen und habe sich insgesamt kooperativ gezeigt.
Auch ein dringender Tatverdacht lag laut Gericht nicht vor. Ein solcher ist dann gegeben, wenn eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist. Aus der Beschwerdebegründung ergab sich für das LG, dass Starr ab Januar 2016 nicht mehr geschäftsführend für die infrage kommenden Unternehmen tätig war und somit nicht mehr steuerpflichtig. Der Vorwurf beschränke sich somit von vornherein auf das dritte und vierte Quartal von 2015, so das Gericht. Das hat dem LG für einen dringenden Tatverdacht nicht ausgereicht.
Das sagt die zuständige Bonner Staatsanwaltschaft zu den Vorwürfen
Die Entscheidung des LG Bonn hat auch das OLG Köln mit ähnlicher Argumentation bestätigt (Beschl. v. 17.03.2023, Az. 3 Ws 6/23). Aufgrund dieser Entscheidungen musste die Staatsanwaltschaft Bonn von der Annahme eines dringenden Tatverdachts abrücken. Die Ermittlungen laufen aber weiter. Ein Verdachtsgrad – wenn auch nicht dringend – bestünde trotzdem weiterhin, das teilte die Pressestelle der Staatsanwaltschaft auf LTO-Anfrage mit.
Da das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, durfte die Staatsanwaltschaft auch die Akteneinsicht verweigern, erklärte ein Pressesprecher der Staatsanwaltschaft weiter. § 147 Abs. 2 StPO sieht vor, dass dem Verteidiger die Einsicht in die Akten versagt werden kann, wenn der Abschluss der Ermittlungen in den Akten noch nicht vermerkt ist und die Gewährung von Aktensicht den Untersuchungszweck gefährden könnte. Die Verweigerung der Akteneinsicht wurde auch vom AG Bonn und LG Bonn bestätigt. Die Entscheidung wurde also gleich zwei Mal gerichtlich überprüft und gebilligt.
Anwalt Gercke wundert sich: „Wir kriegen keine Akten. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren aber auch nicht ein. Es ist wie bei Kafka.“
Folgen eines offenen Ermittlungsverfahrens
Die Beendigung eines Ermittlungsverfahrens, beispielsweise durch Einstellung, kann in Deutschland gerichtlich nicht erzwungen werden. Die Staatsanwaltschaft kann theoretisch bis zur Verjährung der Vorwürfe weiter ermitteln. Starr befürchtet laut seiner Anwälte, dass das in Deutschland offengehaltene Ermittlungsverfahren ihm bei Investorenprojekten schade.
Rechtsanwalt Höcker will den Druck auf eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft offenbar hochhalten. Er wendet sich nun mit Schreiben einerseits direkt an den zuständigen Staatsanwalt und richtet sich auch an die NRW-Staatskanzlei. In den Schreiben stellt er die Einleitung eines Amtspflichtverletzungsverfahrens gem. § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) i.V.m. Art. 34 des Grundgesetzes (GG) in Aussicht. Und hat eine Frist gesetzt, sie läuft diese Woche ab.
Zitiervorschlag
„Politisch motivierte Strafverfolgung“?:
. In: Legal Tribune Online,
23.06.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/57472 (abgerufen am:
23.06.2025
)
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