„Yamal“ sitzt in der ersten Reihe. Mit seinen zehn Jahren ist er für einen Fußballstar zwar noch etwas jung. Aber das Barcelona-Trikot von seinem großen Vorbild Lamine Yamal trägt er schon. Wenn auch an einem Ort, an dem Fußball keine Rolle spielt – und an dem auch der junge Trikotträger zum ersten Mal ist: im richtigen Theater. „Wolf“ heißt das Stück für Kinder ab zehn Jahren, Bestsellerautor Sasa Stanisic hat es geschrieben, das seit ein paar Monaten vom Jungen Schauspiel aufgeführt wird.
Darin geht es so zu wie kurz vor der Aufführung auf dem Vorplatz des Theaters an der Münsterstraße: mit dem üblichen Rumschubsen, Gerenne. Manche stehen am Rand, andere sind mittendrin. Ein bisschen Schulhof auch vor dem Theater. Wobei es in dem Stück „Wolf“ gleich eine Spur härter zugeht, fieser auch als an diesem Sonnentag. Erzählt wird die Geschichte einer Ferienfreizeit, mitten im Wald, was manche extrem doof finden, anderen ist es egal. Nur Jörg (Leon Schamlott) findet alles super, ist gut vorbereitet, freut sich sogar aufs Wandern. Wenn da nicht Marko und Dreschke wären, die ihn dauernd piesacken und ihm die Freizeit zur kleinen Hölle machen. Und die anderen? Schauen schnell lieber weg, bevor auch sie zur Zielscheibe werden.
Der Besuch der Schüler an diesem Morgen ist quasi eine Herzensangelegenheit. „Theater.herzen“ heißt das Projekt, das von der Stiftung Herzensdienste gefördert wird. Das Ziel: Kinder und Jugendliche – nicht selten aus benachteiligten Familien – mit Theater in Kontakt zu bringen. Seit Februar gibt es mit Alexandra Herger dafür eine neue Theaterpädagogin am Schauspielhaus. Sie schreibt Schulen an, nimmt Kontakt auf, besucht Schulklassen, bietet Workshops an, mit denen spielerisch aufs Stück eingestimmt wird. Über 1700 Schüler sind so im vergangenen Jahr ins Theater gekommen – die meisten zum ersten Mal.
Das ist auch an diesem Vormittag spürbar. Viel Unruhe also im Saal und Plätzetausch noch bis kurz vor Beginn. Dann geht erst einmal das Licht aus, ein paar klatschen unsicher, dann klatschen fast alle. Macht man wohl so im Theater. Die erste Aufregung legt sich schnell, und mit zunehmender Dauer wird das Zuhören für viele anstrengend. Die Aufmerksamkeit lässt hör- und sichtbar nach, dabei geht es für viele exakt darum, was sie Tag für Tag erleben. Ein großes Hallo aber erst, als der Wolf mit funkelnden Augen seinen Auftritt hat.
Aller Anfang ist schwer, möglicherweise aber sehr hilfreich. Laut einer New Yorker Studie helfen Theaterbesuche Kindern unter anderem, ihre Identität zu finden, Konflikte zu meistern, hoffnungsvoller in eine vielleicht wenig hoffnungsvolle Zukunft zu schauen. Am Vortag hatte sich auch eine Sechste der katholischen St. Benedikt Schule aus Düsseldorf vorbereitet. Spannend finden sie es, der Wolf hat Eindruck hinterlassen. Und natürlich kennen sie auch die Konflikte, die untereinander so ausgetragen werden. All die Ungerechtigkeiten, die Not der oftmals Schwächeren. Wer hilft ihnen? „Ich“, sagt die 13-jährige Melek sofort. „Ich bin mutig und helfe jedem.“ Die anderen nicken. Man glaubt es ihr.
Vielleicht hilft junges Theater auch, mutiger zu werden, einen wacheren Blick zu bekommen. Das Projekt „Theater.herzen“ am Düsseldorfer Schauspielhaus geht weiter, auch mit „Theater auf Rezept“. Dabei können Ärzte benachteiligten Kindern Gutscheine für kostenlose Theaterbesuche ausstellen.
Kann sein, dass auf diesem Weg auch „Yamal“ zurückkehren wird. In der Pause ist er im Gewusel all der anderen erst einmal untergetaucht.