Mannheim / Metropolregion Rhein-Neckar(red/ak) – Nachdem der gesetzliche Rahmen auf Bundesebene dafür geschaffen wurde, wird die Bezahlkarte für Menschen im Asylbewerberleistungsbezug seit Ende 2024 in BadenWürttemberg schrittweise in allen Kommunen verpflichtend eingeführt – auch in Mannheim. Mit einer Informationsvorlage (V251/2025) hat die Stadtverwaltung nun über den aktuellen Stand der Einführung sowie die Ausgestaltung und Funktionen der Bezahlkarte informiert. Der Migrationsbeirat hat die Entwicklungen und Diskussionen im Zusammenhang mit der Einführung der Bezahlkarte in den vergangenen Monaten mit Besorgnis verfolgt und sich bereits als Mitunterzeichner eines Offenen Briefes (an den Gemeinderat, die Stadtverwaltung und die Landesregierung im September 2024) gegen die Bezahlkarte positioniert und für eine möglichst diskriminierungsarme Umsetzung ausgesprochen. Nach intensiven Diskussionen im (seit Anfang des Jahres zum größten Teil neu besetzten) Gremium und zahlreichen Rückmeldungen aus Migrantenselbstorganisationen zu diesem Thema nehmen wir zum aktuellen Stand wie folgt Stellung:
Nach wie vor sprechen wir uns grundsätzlich gegen die Bezahlkarte aus. Wir schließen uns dabei den bereits von vielen Seiten genannten Kritikpunkten an, die verdeutlichen, dass die Bezahlkarte anstelle der erhofften Verwaltungsvorteile vor allem eines mit sich bringt: Stigmatisierung, Diskriminierung und gesellschaftliche Ausgrenzung der Menschen, die sie nutzen müssen. Aus unserer Sicht enthält sie diskriminierende Elemente und schränkt die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe der Betroffenen ein. Außerdem sendet sie ein politisch falsches Signal der Ausgrenzung statt der vielbeschworenen Integration. Zugleich erkennen wir an, dass die Einführung der Bezahlkarte als Regelzahlungsmittel auf rechtlichen Vorgaben des Landes Baden-Württemberg beruht und die Stadt Mannheim somit verpflichtet ist, diesen Vorgaben nachzukommen. Um politisch ein Zeichen zu setzen, würden wir es jedoch sehr begrüßen, wenn Mannheim sich (analog zu Heidelberg) bei der Landesregierung dafür einsetzen würde, den Kommunen über die sogenannte „Opt-OutRegelung“ die Freiheit zu gewähren, sich (auch nachträglich noch) gegen die Einführung der Bezahlkarte zu entscheiden – auch wenn dies zunächst aussichtslos und nicht mehr als ein symbolischer Akt erscheinen mag. Die Einführung der Bezahlkarte ist in Mannheim für August/September geplant. In der Informationsvorlage zur konkreten Ausgestaltung und Funktion der Bezahlkarte wird an vielen Stellen deutlich, dass die Stadtverwaltung im Rahmen der verpflichtenden Vorgaben bestrebt
ist, der Bitte um eine möglichst faire, diskriminierungsarme, menschenwürdige und integrationsfördernde Umsetzung, die von vielen Akteur*innen in der Stadt geäußert wurde, nachzukommen. Wir begrüßen dabei u. a. folgende Aspekte:
• Neutrale Gestaltung der Karte: sog. „Visa-Debitkarte“ mit PIN-Funktion
• Alltagstauglichkeit: keine regionale oder branchenspezifische Beschränkung
• Möglichkeit der ad-hoc-Aufladung in Notfällen und bei akuter Mittellosigkeit
• Datenschutz: keine technische Möglichkeit zur Einsichtnahme des Kontostandes durch
die Leistungsbehörden
Dennoch bleibt eine (sicherlich nicht abschließende) Reihe an offenen Fragen und kritischen Punkten, die uns an der grundsätzlichen Ablehnung der Bezahlkarte festhalten lassen und die
in der weiteren Debatte Berücksichtigung finden sollten:
• Alltagstauglichkeit: Nicht alle Händler*innen akzeptieren VISA-Zahlungskarten.
• Sind mit der Bezahlkarte auch ohne weiteres Online-Zahlungen möglich?
• Zusatzkosten: Das an Geldautomaten in der Regel fällige Entgelt bei einer
Bargeldabhebung stellt eine erhebliche finanzielle Zusatzbelastung für die Betroffenen
dar. Auch die Möglichkeit, bei Händler*innen kostenlos Bargeld abheben zu können,
kann an einen Einkauf mit Mindesteinkaufswert geknüpft sein.
• Erhöhter Verwaltungsaufwand (und Kontrolle): Für Überweisungen an Dritte ist eine
Prüfung und Freischaltung einzelner IBANs notwendig.
• Ad-hoc-Aufladung in Notfällen und bei akuter Mittellosigkeit: Wie ist dies außerhalb der
regulären Arbeitszeiten der Verwaltung gewährleistet?
• Beschränkung auf 50 Euro Bargeld monatlich (bundesweite Rahmenvorgabe):
Inwieweit hat die Kommune hier Entscheidungsspielraum was den Betrag betrifft?
• Individuelle Bedarfsanpassung bzw. Härtefallregelungen: Ist eine einzelfallbasierte
Erweiterung der Nutzungsfreiheit aus gesundheitlichen, familiären oder beruflichen
Gründen möglich?
• Mehrsprachige Information und technische Begleitung: Werden den Betroffenen mehrsprachige Informationen zur Kartenverwendung zur Verfügung gestellt? Inwieweit wird hier mit Beratungsstellen, Wohlfahrtsverbänden oder weiteren Akteur*innen bzw.

Initiativen der Geflüchtetenhilfe zusammengearbeitet?
• Evaluation & Nachsteuerung: Ist eine kritische Begleitung und Evaluation der Karteneinführung im Hinblick auf die Auswirkungen auf Teilhabe und Integration geplant (z. B. nach 12 Monaten)? Falls ja, sollte diese unter Einbezug von Betroffenen, Fachorganisationen sowie zivilgesellschaftlichen Akteur*innen/Initiativen erfolgen. Vertrauen, reale Teilhabemöglichkeiten und eine würdevolle Behandlung sind grundlegende Voraussetzungen für gelingende Integrationsprozesse und ein solidarisches Miteinander. Wenn diese Prinzipien durch technokratische Einschränkungen und ein Klima institutionellen Misstrauens untergraben werden, drohen Integrationsprozesse nicht nur ins Stocken zu geraten, sondern dauerhaft geschwächt zu werden. Eine angestrebte Reduktion bürokratischer Aufwände darf nicht zu Lasten geflüchteter Menschen gehen. Kurzfristige Vereinfachungen im Verwaltungsapparat können langfristig erhebliche soziale und ökonomische Folgekosten verursachen – insbesondere dann, wenn sie die gesellschaftliche Teilhabe einschränken oder soziale Ausgrenzung begünstigen. Hinter dem Begriff „Sozialleistungsempfänger*innen“ stehen Menschen mit individuellen Geschichten, oft geprägt von Vertreibung, Krieg und existenzieller Not. Die Würde des Menschen ist unantastbar – doch ob diese Würde auch erfahrbar ist, hängt wesentlich davon ab, ob gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht oder erschwert wird. Als politische Interessensvertretung aller Mannheimer*innen mit Migrationsbiografie appellieren wir daher an alle Verantwortlichen, dies bei der Einführung der Bezahlkarte stets im Blick zu behalten und eine möglichst faire, diskriminierungsarme, menschenwürdige und integrationsfördernde Umsetzung sicherzustellen.

Quelle: Geschäftsstelle des Migrationsbeirates