Die Entscheidung von Berlins oberstem Gericht, das Volksbegehren „Berlin autofrei“ zuzulassen, kommt überraschend. Und sie ist falsch. Und das gleich aus mehreren Gründen. Gesetzt den Fall, das Vorhaben würde bei einem späteren Volksentscheid erfolgreich sein und die Innenstadt sollte weitgehend autofrei werden, wäre das Chaos perfekt.

Um es klar zu sagen: Das, was die Initiative will, ist ein massiver Eingriff in die persönliche Freiheit Hunderttausender. Dazu ein paar Zahlen: 1,3 Millionen Menschen wohnen innerhalb des S-Bahn-Rings, sie haben rund 300.000 Autos zugelassen. Wo sollen diese Autos hin?

Jenseits aller Polemik, vielleicht ein kleiner Blick auf die persönliche Perspektive: Unsere Familie lebt anderthalb Kilometer außerhalb des S-Bahn-Rings. Also nicht mittendrin, aber nah dran. Wir fahren meistens mit dem ÖPNV oder dem Fahrrad, weil es oft sinnvoller und sogar bequemer ist, als sich mit dem Familienauto durch die Stadt zu quälen.

So steht die Kiste meistens ungenutzt rum. Nur ab und zu wird sie bewegt: zu Einkäufen und Kleintransporten (durchaus auch innerhalb des Rings), mal zur Arbeit (fast immer innerhalb des Rings), zu Freunden und Familie (teils innerhalb des Rings), zu Veranstaltungen (meistens innerhalb des Rings, aber auch durch ihn hindurch), zum Sport (meistens innerhalb des Rings) etc. pp. – und nehmen dafür alltägliches Baustellenchaos und Parkgebühren in Kauf. Ganz normal, das ist der Preis der Großstadt.

Die Richter stehen vor der Entscheidungsverkündung des Verfassungsgerichtshofs zur Zulässigkeit der Initiative „Volksentscheid Berlin autofrei“ im Saal.

Die Richter stehen vor der Entscheidungsverkündung des Verfassungsgerichtshofs zur Zulässigkeit der Initiative „Volksentscheid Berlin autofrei“ im Saal.Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Keiner von uns hat je gezählt, wie viele Fahrten pro Jahr wir derzeit in die womöglich demnächst verbotene Zone unternehmen. Und ich empfinde es als Zumutung, künftig vielleicht eine Strichliste darüber führen zu müssen. Komplett absurd ist die Vorstellung, wir müssten bei irgendeiner Stelle Fahrten anmelden – auf die Gefahr hin, dann nicht fahren zu dürfen, wenn eine bestimmte Anzahl an Fahrten überschritten ist. Diese Form von staatlichem Dirigismus ist inakzeptabel.

Was Berlins Verkehr wirklich braucht

Das bedeutet aber nicht, dass für Berlins Verkehr nicht dringend Veränderungen notwendig wären. So braucht Berlin endlich eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung in der Innenstadt. Denn natürlich ist es richtig, dass das knappe Gut Raum in einer Großstadt bares Geld ist. Das hätte in jedem Fall lenkenden Charakter und würde womöglich dazu führen, über die eine oder andere Fahrt noch ein bisschen länger nachzudenken. Muss es diesmal wirklich das Auto sein?

Außerdem müssen die seit zwei Jahrzehnten lächerlich niedrigen Anwohnerparkgebühren natürlich endlich steigen. 10,20 Euro pro Jahr sind peinlich – und es ist ein unverzeihlicher Skandal, dass damit vom ersten Tag an nicht einmal annähernd die Verwaltungskosten dafür gedeckt wurden. Natürlich müsste es bei all diesen Parkgebührenerhöhungen Ausnahmen für bestimmte Personengruppen wie Handwerker oder Schichtarbeiter geben.

Alles okay! Aber Verbote, die Menschen auf die Barrikaden treiben, sind schädlich. Käme es dennoch zustande, würde sich wieder die halbe Stadt in die verkehrspolitischen Schützengräben begeben.

Und noch etwas: Solche radikalen Forderungen, die massiv in die Lebensgewohnheiten von Millionen Menschen eingreifen, führen Volksabstimmungen ad absurdum. Denn der Berliner Senat – und wahrscheinlich auch seine Nachfolger – werden alles dafür tun, dass ein womöglich positives Votum nicht in praktische Politik umgesetzt würde.  Der gesellschafts- und wirtschaftspolitische Schaden wäre größer als sein Nutzen. In jeder Hinsicht. Wer all das nicht will, sollte am Tag der Abstimmung mit Nein stimmen.

Das gilt im Besonderen auch für die Berliner Grünen. Als das Volksbegehren 2022 startete, lehnte es die damalige Verkehrs- und Umweltsenatorin Bettina Jarasch als zu radikal ab. Gilt das noch? Wenn nicht, erfolgt die Quittung bei der nächsten Wahl.