Berlin. Innerhalb des S-Bahn-Rings sollen kaum noch Autos fahren. Eine Bürgerinitiative will jetzt diese Pläne per Volksentscheid umsetzen.
Die Initiative „Volksentscheid Berlin autofrei“ kann ihr Gesetzesvorhaben weiter verfolgen. Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat den Antrag zur Einleitung des Volksbegehrens für zulässig erklärt. „Wir haben gewonnen und zwar auf ganzer Linie: Die Zukunft Berlins gehört der Sicherheit, dem Klimaschutz und der Gesundheit aller Berlinerinnen und Berliner – und nicht dem hemmungslosen Autoverkehr“, sagt Marie Wagner, Sprecherin der Initiative, in einer Mitteilung des Volksbegehren zum Gerichtsurteil.
Berlins höchstes Gericht widersprach damit der Einschätzung des Senats. Dieser hielt das in einem Gesetzentwurf formulierte Ziel für verfassungsrechtlich bedenklich und hatte daher die Richter bereits 2022 um eine Prüfung gebeten, ob ein solcher Volksentscheid überhaupt zulässig wäre.
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Das ist aus Sicht des Verfassungsgerichtshofs der Fall. Der Gesetzesentwurf ist demnach vereinbar mit der Berliner Verfassung, dem Grundgesetz sowie Bundesrecht. Der Landesgesetzgeber habe nach dem Straßenrecht einen Gestaltungsfreiraum, sagte Gerichtspräsidentin Ludgera Selting. Es bestehe kein Anspruch darauf, dass eine bestimmte Nutzung des Straßenraums aufrechterhalten werde. „Das Straßennetz steht den Menschen weiter zur Verfügung“, sagte Selting.
Gesetzesentwurf zulässig: „Jetzt kommt der Verkehrsentscheid wieder ins Rollen“
Die Präsidentin betonte, dass das Gericht nicht darüber entschieden habe, ob Berlin autofrei werde. Die Richterinnen und Richter hätten lediglich zu beurteilen gehabt, ob sich der Gesetzentwurf in rechtlichen Grenzen bewege. Die Entscheidung fiel mit acht zu einer Stimme deutlich aus. Ein Richter hat ein Sondervotum verfasst.
Der Anwalt der Initiative, Philipp Schulte, zeigt sich zufrieden: „Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat den Gesetzentwurf umfassend rechtlich geprüft und unsere Auffassung bestätigt: Es gibt nach der Verfassung natürlich kein Grundrecht auf hemmungsloses Autofahren. Jetzt kommt der Verkehrsentscheid endlich wieder ins Rollen.“
Faktisches Autoverbot innerhalb des S-Bahn-Ringes
Nach den Plänen der Initiative sollen nach einer Übergangszeit von vier Jahren fast alle Straßen innerhalb des S-Bahn-Rings mit Ausnahme der Bundesstraßen zu „autoreduzierten Straßen“ erklärt werden. Private Autofahrten sollen pro Person nur bis zu zwölfmal im Jahr möglich sein.
Ausnahmen von dem faktischen Autoverbot soll es demnach für Menschen mit Behinderung, Polizei, Rettungsdienst, Feuerwehr, Müllabfuhr, Taxen sowie Wirtschafts- und Lieferverkehr geben. Das gilt auch für Busse.
Initiative kann nächsten Schritt einleiten
Mit der Entscheidung ist die Initiative einen wesentlichen Schritt weiter. Sie kann die nächste Phase des Volksbegehrens einleiten. Innerhalb von vier Monaten müssen die Unterschriften von mindestens sieben Prozent der Berliner Wahlberechtigten gesammelt werden. Das sind derzeit rund 170.000 Menschen.
Gelingt das, würde ein Volksentscheid folgen, bei dem wie bei einer Wahl über den Gesetzentwurf abgestimmt wird. Der Volksentscheid wäre erfolgreich und würde das Gesetz in Kraft setzen, wenn eine Mehrheit der Wähler und zugleich mindestens ein Viertel aller Wahlberechtigten zugestimmt haben.
„Berlin autofrei“: 50.000 Unterschriften für das Anliegen
Die Initiative hatte im Sommer 2021 mehr als 50.000 Unterschriften für die Einleitung eines entsprechenden Volksbegehrens zur Verkehrswende gesammelt. Nötig waren in dieser ersten Phase des Volksbegehrens 20.000 gültige Stimmen. Doch zum nächsten Sammelschritt kam es nicht: Der Senat schaltete das Verfassungsgericht ein.
Berliner Grüne sehen Chance und Risiko im Volksentscheid „Berlin autofrei“
Die Berliner Grünen begrüßten das Urteil grundsätzlich, äußerten aber auch Kritik an der Stoßrichtung des Begehrens. „Wir teilen einerseits das Ziel, Berlin lebenswerter zu machen, sehen aber andererseits den Weg der Initiative kritisch“, erklärten die Landesvorsitzenden Nina Stahr und Philmon Ghirmai. Man wolle eine „zukunftsfähige Verkehrswende, die alle mitnimmt“, statt einer möglichen Polarisierung zwischen Innen- und Außenstadt.
Der nun mögliche Volksentscheid sei eine Chance für CDU und SPD, „zu zeigen, ob sie eine Verkehrspolitik für alle Berliner*innen“ wollten. Die Grünen fordern ein überparteiliches Maßnahmenpaket, das die Ziele des Volksentscheids aufgreift und ein neues Gesetz überflüssig machen könnte. Statt Rückschritten brauche es jetzt „eine zukunftsfähige Verkehrspolitik“ und eine konsequente Umsetzung des Mobilitätsgesetzes.
„Verlässliche Alternativen fehlen“: ADAC und Wirtschaft schlagen Alarm
Der ADAC Berlin-Brandenburg warnte nach dem Urteil vor den gesellschaftlichen und praktischen Folgen des geplanten Gesetzes. „Das Auto hat in den vergangenen Jahren nicht an Relevanz verloren – viele Menschen sind weiterhin darauf angewiesen, weil verlässliche Alternativen fehlen“, sagte Martin Koller, Vorstand Verkehr beim ADAC Berlin-Brandenburg in einer Mitteilung.
Das Vorhaben der Initiative „Berlin autofrei“ sei ein Beispiel dafür, „wie man an Menschen vorbeiplant, Auswirkungen nicht berücksichtigt und die Gesellschaft weiter spaltet“. Koller betont, man brauche keine pauschalen Verbote, sondern integrierte Lösungen, die alle Verkehrsträger einbeziehen. Eine funktionierende Verkehrswende könne es nur geben, „wenn sie die individuelle Mobilität als Teil der Daseinsvorsorge wahrt“.
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Auch die Wirtschaft reagiert mit Sorge. UVB-Hauptgeschäftsführer Alexander Schirp spricht von einem „schweren Schlag für die Hauptstadtregion“. Die Einschränkungen träfen nicht nur Pendler, sondern auch Handel und Gastronomie. Zudem befürchtet er einen „Bürokratie-Wust“, sollten alltägliche Fahrten künftig genehmigungspflichtig werden.
Mit dpa