Berlin – Berlins höchstes Gericht, der Verfassungsgerichtshof, hat das Volksbegehren „Berlin autofrei“ genehmigt. Die Antragsteller dürfen jetzt 170.000 Unterschriften sammeln, um einen Volksentscheid herbeizuführen.

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Wenn dabei mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten zustimmen, tritt ein Gesetz in Kraft, das den privaten Autoverkehr innerhalb des S-Bahnrings nahezu verbietet. Nach § 12 dieses Gesetzes ist es dann nur noch 12 Mal pro Jahr für jeweils 24 Stunden erlaubt, mit dem Privatwagen in der Innenstadt zu fahren.

Verantwortlich für „Berlin autofrei“ zeichnet ein Verein, der sich Vertrauensgesellschaft e.V.“ nennt. Die Mitglieder bestehen – wie sie selbst sagen – „sowohl aus leidenschaftlichen Radfahrer*innen als auch aus Menschen, die gerne zu Fuß gehen oder Berlins gut ausgebauten Nahverkehr nutzen“. Für die Bedürfnisse aller anderen, die ihr Auto nutzen oder auf das Auto angewiesen sind, interessieren sie sich nicht.

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Dieses Volksbegehren ist so verrückt, dass man es kaum in Worte fassen kann. Es geht auch gar nicht vom Volk aus, sondern von radikalen Grüppchen, die ihre Ideologie durchsetzen wollen.

So ähnlich verhielt es sich vor zwei Jahren mit dem Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“, der krachend scheiterte. Klima-Extremisten hatten sich im „Bündnis Klimaneustart Berlin“ versammelt, um ein Fahrverbot für Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotor zu erzwingen.

Auf diese Weise wird das Prinzip der Volksabstimmung auf den Kopf gestellt: Eigentlich soll das Volksbegehren dem Volk ermöglichen, seinen Willen gegen die Regierung außerhalb der Wahlen durchzusetzen. Bürger sollen sich im Protest vereinen und eine Abstimmung herbeiführen dürfen – den Volksentscheid.

In Wahrheit aber nutzen Extremisten und Lobbygruppen die Instrumente des Volksbegehrens und des Volksentscheides dazu aus, dem Volk ihren Willen aufzuzwingen. Wenn sie ahnen, dass das Volk ihrem Willen nicht folgen wird, bauen sie eine Droh-Kulisse für die Politik auf: Den Abgeordneten sagen sie: Macht lieber gleich, was wir wollen, sonst riskiert ihr einen Volksentscheid. 

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So war es schon mit dem „Volksentscheid Fahrrad“ von 2015, dessen Forderungen 2018 in das „Mobilitätsgesetz“ von Rot-Rot-Grün eingingen. Dahinter standen die großen Lobbygruppen ADFC und BUND. Als ihnen der Senat weit genug entgegengekommen war, bliesen sie die Kampagne ab und wollten das Volk nun gar nicht mehr befragen. 

Das Mittel der Volksgesetzgebung wurde 2006 beschlossen – durch eine Volksabstimmung (Referendum). Seitdem ist es möglich, über das Volksbegehren und den Volksentscheid Gesetze am Parlament vorbei in Kraft zu setzen. Auf diese Weise trat zum Beispiel im Mai 2014 das „Gesetz zur Erhaltung des Tempelhofer Feldes“, das den Senat dazu zwingt, auf jede Form der Nutzung oder Bebauung des ehemaligen Flugfeldes zu verzichten.

Die Volksgesetzgebung wirft Fragen auf, die bisher nicht beantwortet wurden. Erstens: Ein Volksentscheid muss zwar vom Senat genehmigt werden – oder im Streitfall vom Verfassungsgerichtshof – die Antragsteller müssen aber nicht nachweisen, ob ihr Gesetz Schaden anrichtet. Es gibt gar keine Güterabwägung. Soll das so bleiben?

Zweitens: Ein Gesetz tritt schon dann in Kraft, wenn im Volksentscheid nur mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten dafür gestimmt haben. Warum soll diese Minderheit ausreichen, um ein Gesetz in Kraft zu setzen, das weitreichende Folgen für alle hat?

Die Volksgesetzgebung ist zur Spielwiese von linken und grünen Aktivisten geworden. Dafür war sie nicht gedacht und damit muss es ein Ende haben.

Hat Gunnar Schupelius recht? Schreiben Sie an: gunnar.schupelius@axelspringer.de