Ein grauhaariger Mann mit Brille und Anzug blickt nach vorn

Stand: 27.06.2025 16:04 Uhr

Nach zehn Jahren geht die Ära von Kent Nagano als Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper mit zwei Abschiedskonzerten am Sonntag und Montag zu Ende. Wie blickt der amerikanische Dirigent japanischer Abstammung selbst auf diese Dekade zurück? Ein Gespräch.

Herr Nagano, wenn Sie an Ihre erste Zeit hier denken, was hat Sie an dieser Stadt am meisten überrascht?

Kent Nagano: Für mich war die größte Überraschung das Wetter. Ich komme aus San Francisco und hatte sofort das Gefühl zu Hause zu sein: konstanter Nebel, ziemlich kalt, viel Wind, etwas Salz in der Luft, viel Regen, nicht so viel Sonne – genau wie in San Francisco. Die Überraschung war, wie sehr sich die Dynamiken in Hafenstädten ähneln.

Wenn wir auf die Musik blicken, welche Projekte bleiben Ihnen in Erinnerung?

Nagano: Das waren so viele Projekte, die unvergesslich sind. Die Elbphilharmonie bleibt unvergesslich für mich, weil ich zu einem Zeitpunkt gekommen bin, als es keinen Fortschritt gab. Und es ist schön zu sehen, wie die Stadt Hamburg darauf reagiert, was wir erreicht haben. Und jetzt ist es eine der stärksten Konzerthallen der Welt.

Es gab viele Produktionen wie „Stilles Meer“. Alban Bergs „Lulu“ oder Dmitri Tcherniakovs Strauss-Zyklus. Das sind alles gute Beispiele dafür, dass Tradition nicht nur so etwas Museumsmäßiges ist. Nicht nur Vergangenheit, sondern Tradition ist etwas, das noch lebt und uns hilft, in die Zukunft zu gehen.

Gibt es Dinge, die Sie gerne anders gemacht hätten?

Nagano: Das ist eine gute Frage. Hamburg hat eine sehr lebendiges und historisches Zentrum, aber Hamburg ist viel mehr: Es ist eine sehr große Stadt, wenn man die Region dazurechnet. Wir haben viele internationale Tourneen gemacht, aber mein Wunsch war es immer, dass das Orchester eine stärkere Bedeutung in der Region hat. Wir haben diese Tour zwar begonnen, aber leider ist uns die Corona-Pandemie in die Quere gekommen, und wir konnten das nicht realisieren. Das hätte ich viel früher machen sollen.

Konzertszene: Das NDR Elbphilharmonie Orchester mit Alan Gilbert beim Schlussapplaus auf der Bühne der Elbphilharmonie Hamburg

Das international renommierte Flaggschiff der NDR Ensembles ist das Residenzorchester der Elbphilharmonie Hamburg.

Es geht jetzt nach Madrid und Parma. Was nehmen Sie aus Hamburg mit in die neuen Wirkungsorte?

Nagano: Wir Künstler sollten niemals versuchen, etwas zu kopieren. Nach dem Motto: Man nimmt etwas von hier, etwas von da und versucht daraus etwas Neues in einer anderen Stadt zu machen. Das hilft der Kunst nicht. Vielleicht nehme ich aus Hamburg eine ganz neue Beziehung zu verschiedenen Komponisten mit. Carl Philipp Emanuel Bach und Johannes Brahms waren sehr präsent in meinem Repertoire. In den zehn Jahren in Hamburg konnte ich die Kontexte der beiden zu verstehen. Brahms war hier aufgewachsen, Carl Philipp Emanuel Bach hat viele Jahre hier gelebt. Dieser Hamburger Kulturkontext hat einen sehr starken Einfluss auf meine Beziehung zu Brahms, C.P. E. Bach und Mendelssohn gehabt. Das werde ich überall hin mitnehmen.

Natürlich werde ich niemals die Zusammenarbeit mit dem Philharmonischen Staatsorchester und unserem Opernchor vergessen. Für mich besteht ein Opernhaus aus den Gästen, den Stars, der Glamour und den Events. Auf der anderen Seite erinnert man sich bei einem Opernhaus an die Komponisten, die mit dem Haus verbunden sind, und an die festen Elemente wie das Orchester oder den Chor. Intendanten, Gastkünstler, die kommen und gehen, aber die mit dem Haus verbundenen Komponisten, das Orchester und der Chor, die sind das Fundament. Und das werde ich als Erinnerung mitnehmen.

Ich habe auch die wunderbare Chance gehabt, viele neue Freunde zu finden und starke Beziehungen mit den Hamburger Institutionen zu pflegen. Das wird weiterleben, da bin ich mir sicher. Das werde ich niemals vergessen.

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.

Stimmgabel und Noten

Die Verleihung des mit 10.000 Euro dotierten Brahms-Preises findet im September in Wesselburen statt.

Kent Nagano

Wer das Opernrepertoire weiterentwickeln will, brauche ein modernes Opernhaus, findet Dirigent Kent Nagano.