Bringt Olympia einen Wirtschaftsboom und dringend notwendige Investitionen nach Berlin? Im Sportausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses zieht ein Ökonom diese Rechnung in Zweifel. Die Bürgerbeteiligung bleibt derweil vage. Von Sebastian Schöbel
Den ersten großen Schluck Wasser in den Olympia-Wein kippt Ökonom Oliver Holtemöller. Der Präsident des Leibniz Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle ist in den Sportausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses eingeladen worden, um die wirtschaftlichen Effekte von Großveranstaltungen darzulegen.
Die wissenschaftliche Studienlage dazu sei sehr gut, sagt Holtemöller, vor allem zu Olympischen Spielen. Und das Fazit sei ernüchternd. „Die Literatur kommt zu dem Ergebnis, dass es insgesamt keine positiven ökonomischen Effekte auf die Wertschöpfung der austragenden Länder oder Regionen gibt.“
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Spranger: „Ich brenne dafür“
Es ist der erste – aber nicht der letzte – Dämpfer, den die Olympia-Befürworter in der Berliner Politik im Sportausschuss an diesem Freitag hinnehmen müssen. Zweifel an den wirtschaftlichen Versprechen werden ebenso laut wie am Beteiligungsverfahren, das der Landessportbund vorbereitet. Klar ist am Ende vor allem, wie auf beiden Seiten dieser Debatte in den kommenden Monaten argumentiert werden wird: Die Unterstützer der Bewerbung setzen voll auf positive Emotionen, die Gegner auf finanzielle Risiken.
Dabei bemüht sich Sportsenatorin Iris Spranger (SPD) merklich, im Ausschuss für Olympiabegeisterung zu werben. „Ich brenne dafür, der Regierende Bürgermeister brennt dafür, der Senat brennt dafür“, so Spranger. Mitgebracht hat sie eine Präsentation zum Konzept, mit dem sich Berlin beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) Ende Mai beworben hat.
Darin ist viel vom Nutzen der Spiele für die ganze Stadt die Rede, von „Legacy“-Effekten, die nachhaltig wirken sollen, von besserer Infrastruktur bis zum Breitensport. Auch die Wirtschaft werde profitieren. Und so müssten sich alle hinter die Aussage stellen können, so Spranger: „Berlin ist genau die passende Stadt für Olympische und Paralympische Spiele.“
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Holtemöller: Keine Evidenz für positive ökonomische Effekte
Ökonom Holtemöller wiederum präsentiert Zahlen: In London habe das Delta zwischen Ausgaben und Einnahmen bei acht Milliarden US-Dollar gelegen – zu Ungunsten der Spiele-Veranstalter, wohlgemerkt. Das erhoffte Mehr an Wertschöpfung durch Olympia müsse mit den Vorleistungen vor allem von staatlicher Seite gegengerechnet werden. Zudem würden Unternehmen, die an den Spielen verdienen, ihre Einnahmen oft im Ausland versteuern.
Und Großveranstaltungen können Verdrängungseffekte haben, sagt Holtemöller. Ein starker Zustrom von Olympia-Touristen, für die dann auch die Hotelpreise ansteigen, könnten andere Berlin-Besucher vergraulen. Ein Effekt, der sich zum Teil auch bei der Europameisterschaft 2024 zeigte, als Berlins Hotels während des Turniers nicht mehr ausgelastet waren als sonst.
„Man kann keine Evidenz dafür finden, dass Sportgroßveranstaltungen wie Fußballweltmeisterschaften, Fußball, Europameisterschaften oder Olympische Spiele positive ökonomische Effekte im Sinne von Wertschöpfungs- oder Beschäftigungseffekten hätten“, so Holtemöller.
IOC-Kritiker Weinreich: „Begeisterung von oben nach unten“
Noch fundamentaler fällt die Kritik des bekannten Sportjournalisten Jens Weinreich aus. Seit Jahren begleitet er das Internationale Olympische Komitee (IOC) kritisch und investigativ. Er bringt die Skepsis im Raum auf den Punkt: „Ich habe heute schon gelernt, dass Berlin keine Schwimmbäder kann, aber Olympische Spiele.“ Weinreich nennt es „Olympiaideologie“, die derzeit eine Begeisterung für die Berliner Bewerbung „von oben nach unten verordnet“.
Die IOC-Bewerbungsverfahren seien ein „rechtsfreier Raum“, so Weinreich, in dem nur der mächtige Verband die Regeln bestimmt und auch während der Bewerbung ändert. Damit spricht er an, was bei den Verantwortlichen in Berlin schon seit Wochen Thema ist, allerdings nur hinter vorgehaltener Hand: Der DOSB hatte die Kriterien für die Olympia-Bewerber während des Wettbewerbs verändert, unter anderem mit Blick auf kurze Wege zwischen Olympiadorf und Sportstätten, was Bewerbungen mehrere Bundesländer gemeinsam plötzlich in Frage stellte und hinter den Kulissen für einige Irritationen gesorgt hatte. Am Ende kam ein Wettbewerb zwischen mehreren Städten und Regionen heraus, den Kritiker als Geldverschwendung bezeichnen.
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SPD: Olympia als Lockmittel für Investitionen
CDU und SPD wiederum werben geschlossen für eine Bewerbung, wobei der sportpolitische Experte der Sozialdemokraten, Dennis Buchner, eher pragmatisch argumentiert: „Wir müssen auch darüber sprechen, welche Chancen Olympische und Paralympische Spiele für bezirkliche Sportanlagen bieten“, so Buchner. Der Sanierungsstau bei Berlins Sportinfrastruktur beträgt je nach Perspektive zwischen 400 Millionen und 1,2 Milliarden Euro. Summen, die im Haushalt nicht darstellbar sind, betont Buchner. „Ich sehe im Moment nicht, wie wir ohne eine Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele die in Berlin benötigten Mengen zusammenbekommen.“
Zumal es neben den zahlreichen bestehenden Sportstätten, die genutzt werden sollen, durchaus auch Neubaupläne gibt. So soll das Sportforum erweitert werden, um die IOC-Ansprüche bei Schwimmwettbewerben zu erfüllen. Geprüft wird laut Sportverwaltung auch, im Olympiapark am Standort des Schwimmstadions eine ganzjährig nutzbare Schwimmhalle aufzubauen. Im Mellowpark soll eine BMX-Cross-Strecke entstehen, die möglicherweise über die Spiele hinaus genutzt werden kann, und neben dem Autobahndreieck Funkturm, unweit der Messe, soll das Olympische Dorf für mehr als 70 Prozent der Athletinnen und Athleten gebaut werden. Dazu kommen zahlreiche temporäre Sportstätten, von der Beachvolleyballarena am Brandenburger Tor bis zum Kletterpark im ehemaligen Flughafen Tempelhof.
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Soll Berlin auch Nein sagen können?
Dass laut aktuellem BerlinTrend vor allem jüngere Menschen pro-olympisch sind, erfüllt Thomas Härtel, Präsidenten des Landessportbundes Berlin (LSB), mit Zuversicht: „Gebt die Spiele den Kindern“, lautet sein Motto für die anstehende Werbekampagne, bei der vor allem der Breitensport mit seinen vielen Vereinen mobilisiert werden soll. Die Kampagne soll am Ende laut Senat „eine Vereinbarung mit der Stadtgesellschaft“ hervorbringen, in der die Interessen der Bürgerinnen und Bürger abbildet – und den DOSB für Berlin entscheiden lässt. Der Landessportbund flankiert das Ganze mit einer Volksinitiative, so Härtel, „mit der das Abgeordnetenhaus aufgefordert werden soll, die Olympiabewerbung zu unterstützen“.
Welche Rolle kritische Stimmen in diesem ganzen Verfahren spielen sollen, will Kristian Ronneburg, der sportpolitische Sprecher der Linken, noch wissen. Ob nicht eventuell sogar ein richtiger Volksentscheid denkbar wäre, bei dem die Berlinerinnen und Berliner nicht nur Ja zu Olympia sagen können, sondern auch Nein.
Beantwortet wird die Frage im Ausschuss dann allerdings nicht – aus Zeitgründen.
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