Laut einem Expertenbericht hat das britische Establishment den kulturellen Hintergrund von Pädophilenringen verschleiert. Nun setzt die Regierung eine nationale Untersuchungskommission ein.

Innenministerin Yvette Cooper entschuldigte sich im Namen der Regierung bei den Opfern des Missbrauchskandals. Innenministerin Yvette Cooper entschuldigte sich im Namen der Regierung bei den Opfern des Missbrauchskandals.

Andy Rain / EPA

Ein alter Missbrauchsskandal rund um Pädophilenringe von zumeist pakistanischstämmigen Männern beschäftigt die britische Öffentlichkeit schon seit langem. Die Übeltäter hatten in verschiedenen Städten Englands ab zirka 1990 jahrelang Tausende vorwiegend weisse Mädchen aus sozial benachteiligten Verhältnissen gefügig gemacht und missbraucht.

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Viele der Opfer lebten in Kinderheimen, die jüngsten waren bloss zehn Jahre alt. Sie wurden von Gruppen von Tätern oft mit Alkohol betäubt und teilweise auf brutalste Weise vergewaltigt. Die Täter blieben jahrelang straflos, weil Sozialdienste aus übertriebener politischer Korrektheit und die Polizei nicht gegen sie vorgingen oder den Mädchen nicht glaubten.

Inzwischen gab es etliche Verurteilungen, und das Thema war Gegenstand mehrerer Parlaments- und Expertenberichte. Dennoch hat die Labour-Regierung von Keir Starmer am Montag nun die Einsetzung einer nationalen Untersuchungskommission angekündigt, die Zeugen vorladen kann und den Skandal von Grund auf aufarbeiten soll.

Verheerender Bericht

Im Januar hatte Elon Musk Starmer als ehemaligem Generalstaatsanwalt Komplizenschaft beim Missbrauch vorgeworfen – und den Skandal zurück ins Scheinwerferlicht katapultiert. Damals hatte Starmer eine nationale Untersuchung noch abgelehnt und stattdessen die angesehene Sozialarbeiterin und Oberhausabgeordnete Louise Casey mit der Ausarbeitung eines Berichts zu den kulturellen Aspekten des Skandals beauftragt. Dieser ist nun derart verheerend ausgefallen, dass Starmer nichts anderes übrig blieb, als doch eine Kommission einzusetzen.

Casey kritisiert, die Behörden hätten vor dem kulturellen Hintergrund der Angehörigen dieser «Grooming Gangs» die Augen verschlossen. Auf lokaler Ebene gebe es «klare Hinweise» für eine Überrepräsentation pakistanischstämmiger Täter. Doch auf nationaler Ebene sei die ethnische Zugehörigkeit von Sexualstraftätern nicht systematisch erfasst worden, weshalb in zwei Drittel der Fälle gar keine Daten vorlägen.

Stattdessen hätten die Behörden Berichte von einer Häufung pakistanischstämmiger Täter als «reisserisch, verfälscht oder unwahr» zurückgewiesen, schreibt Casey. «Das tut niemandem einen Gefallen, am wenigsten den asiatischen, pakistanischen oder muslimischen Gemeinschaften, die darunter leiden, dass Leute mit übler Absicht diese Verschleierungstaktik nutzen, um Hass zu verbreiten und zu säen.»

Casey kritisiert auch Polizei und Staatsanwälte: Diese hätten zu oft aus Angst vor Rassismusvorwürfen die Ermittlungen gegen die Täter eingestellt oder die minderjährigen Opfer nicht wie Kinder behandelt, sondern wie konsensfähige junge Frauen.

Formelle Entschuldigung

Innenministerin Yvette Cooper entschuldigte sich im Unterhaus im Namen des Staates in aller Form bei den Opfern: «Die Institutionen, die Sie hätten beschützen sollen, haben Ihnen zusätzlichen Schaden zugefügt.»

Die Regierung übernahm alle Empfehlungen Caseys. Cooper kündigte etwa eine neue Polizeioperation an, die rund tausend ad acta gelegte Fälle von Opfern von Grooming Gangs neu aufrollen soll. Zudem soll der ethnische Hintergrund der Täter künftig erfasst werden müssen.

Grundlegend neue Erkenntnisse brachte Caseys Bericht nicht ans Licht. Doch scheint es nun erstmals einen politischen Willen zu geben, die Geschehnisse systematisch aufzurollen. Die Untersuchungskommission wird grosse mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen, kann aber keine neuen Strafverfahren einleiten. Doch erhoffen sich viele Opfer eine Anerkennung des erlittenen Unrechts.

Zudem dürfte die Kommission das Augenmerk auf Beamte und Sozialarbeiter legen, die vor dem Skandal die Augen verschlossen. Die konservative Opposition argwöhnt, dass sich vor allem Labour-Beamte und womöglich auch die Staatsanwaltschaft der Verschleierung schuldig gemacht haben – womit das Thema Starmer politisch schaden könnte. Allerdings hatte es auch die Tory-Partei in vierzehn Jahren an der Macht unterlassen, dem Skandal die nötige Beachtung zu schenken.