Interview | Transfermarkt-Experte

„Hertha muss den Anspruch haben, aufzusteigen“

Diego Demme, Stefan Leitl von Hertha BSCBild: IMAGO/Nordphoto

Die Transferperiode nimmt Fahrt auf. Am Kräfteverhältnis dürfte das nichts ändern: Hertha ist Aufstiegsfavorit Nummer eins, sagt Transfermarkt-Experte Tobias Kröger. Trotzdem überraschen ihn die bisherigen Geschäfte der Berliner.

rbb|24: Herr Kröger, wie in jedem Sommer tüfteln zahlreiche Zweitligisten an einem aufstiegsfähigen Kader. Aber was läuft in dieser Transferperiode anders?

Tobias Kröger: Es kommen in diesem Jahr besonders hohe Transfersummen zusammen. Das sieht man bei Vereinen wie Hannover 96, wo jetzt schon ein Transferplus von knapp sieben Millionen Euro erwirtschaftet wurde, vor allem durch den Verkauf von Nicolo Tresoldi (wechselte zum FC Brügge, Anm. d. Red.). Auch der 1. FC Nürnberg verdient gerade viel Geld durch den Verkauf seiner Talente.

Und Hertha BSC gab Ibrahim Maza für schätzungsweise zwölf Millionen Euro an Bayer Leverkusen ab…

Dementsprechend wird es, glaube ich, für Zweitliga-Verhältnisse auch noch relativ große Investitionen geben.

Die 2. Bundesliga ist mit den Aufstiegen des 1. FC Köln und Hamburger SV um zwei Schwergewichte leichter geworden. Was bedeutet das für das Kräfteverhältnis?

Die Liga ist noch mal näher zusammengerückt. Natürlich gab es auch in den vergangenen Spielzeiten oft knappe Aufstiege. Aber Köln und Hamburg schwebten im Vorjahr im Gesamtkontext über den anderen Mannschaften. Und dadurch, dass mit dem VfL Bochum und Holstein Kiel zwei kleinere Erstligisten runterkommen, ist das Feld noch mal breiter aufgestellt.

Mit Köln und Hamburg sind in der abgelaufenen Saison die beiden Klubs mit den am teuersten eingeschätzten Kadern aufgestiegen. Und in diesem Jahr?

Von den Kaderwerten her muss Hertha den Anspruch haben, aufzusteigen. Aber wenn es nur danach gehen würde, hätten sie auch in der abgelaufenen Saison besser abgeschnitten als Platz elf.

Zur Person

Tobias Kröger arbeitet beim News-Portal transfermarkt.de und ist dort Marktwertkoordinator für die fünf europäischen Top-Ligen. Er ist 34 Jahre alt und wohnt in Hamburg.

Hertha scheint tatsächlich bereits einen schlagkräftigen Zweitliga-Kader beisammenzuhaben.

Mit Fabian Reese konnte der Klub natürlich den Schlüsselspieler schlechthin halten. Wenn er fit bleibt, wird Hertha definitiv ganz oben mitspielen. Seine Vertragsverlängerung war wirklich ein Meilenstein für den Verein. Wenn man sich dazu andere Spieler vor Augen führt: Michal Karbownik, Michael Cuisance, Diego Demme – all das sind Namen, mit denen du eigentlich aufsteigen musst. Trotzdem überraschen mich die bisherigen Transfers.

Warum?

In der ganzen Liga setzt man auf junge Spieler. Und Hertha holt Paul Seguin, 30 Jahre alt, dazu Niklas Kolbe, Leon Jensen und Sebastian Grönning, die allesamt immerhin 28 Jahre alt sind. Ich finde, die bisherigen Transfers deuten darauf hin, dass Hertha gerade vom Weg abkommt, wirklich junge Spieler zu entwickeln, während ein Großteil der Liga genau diesen Weg geht. Das irritiert mich, denn gerade in dem Moment, wo in Berlin die Stärken aus der Vergangenheit gut zum Tragen kommen könnten, scheint man die Strategie zu wechseln.

Die Vereine, die man herausheben muss, sind Hertha BSC und Schalke 04. Aber das Gesamtpaket spricht eindeutig für die Berliner.

Tobias Kröger

Vielleicht, weil Hertha nun alles auf die Karte Bundesliga-Aufstieg setzt?

Das kann man so behaupten, definitiv. Gut möglich, dass man Fabian Reese im Vorfeld seiner Vertragsverlängerung auch gesagt hat: ‚Wir wollen jetzt endlich hoch, du bist dafür unser Mann und wir wollen es irgendwie erzwingen‘.

Mit Ralf Rangnick und Oliver Kahn waren schillernde Figuren des europäischen Fußballs als Hertha-Chefs immerhin im Gespräch. Zudem scheint sich ein Wechsel von Nachwuchsspieler Maurice Krattenmacher anzubahnen, der aktuell mit dem FC Bayern in den USA bei der Klub-WM weilt. Ist Hertha die neue Hauptattraktion der zweiten Liga?

Ja, das würde ich sagen. Die Vereine, die man herausheben muss, sind Hertha BSC und Schalke 04. Aber das Gesamtpaket spricht eindeutig für die Berliner.

Wen sollte man in der kommenden Spielzeit noch auf dem Zettel haben?

Die Entwicklungen bei Hannover 96 sind interessant. Christian Titz kann ein richtig guter Trainerwechsel für den Klub sein, daran habe ich eigentlich wenig Zweifel. Viele weitere Zugänge sind vielversprechend: Hendry Blank wurde aus Salzburg geliehen, er ist ein junger deutscher Verteidiger, der schon viel Potenzial gezeigt hat, Maurice Neubauer spielte eine starke Saison in Elversberg, die Stürmer-Verpflichtung Benjamin Källman erzielte 18 Tore in der polnischen Liga, und dann kommt Marius Wörl zurück, einer der stärksten Spieler der DFB-Pokal-Saison. Aber auch der 1. FC Nürnberg ist spannend, wo man viele Talente gewinnen konnte. Außerdem hat Eintracht Braunschweig, in der Vorsaison noch knapp dem Abstieg entkommen, gute Transfers getätigt.

Zum Start der Zweitliga-Saison sprechen Vermarkter gerne von der „besten zweiten Liga aller Zeiten“. Dieser Slogan funktioniert nun ohne den HSV und Köln wohl nicht mehr. Was wäre in diesem Jahr der passende Superlativ?

Schwierig. Vielleicht: die ausgeglichenste Liga aller Zeiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview wurde geführt von Shea Westhoff.