1. Startseite
  2. Politik

DruckenTeilen

Ein Dronenpilot der litauischen Armee haelt eine Aufklärungsdrohne vor den Körper.Neuer Hightech-Hype im Baltikum: Ein litauischer Drohnenpilot während der Übung Steadfast Defender 2024 in Pabrade, Litauen. Zusammen mit den Esten wollten die Litauer Fördergelder der EU für einen Drohnenwall für Grenzschutz und Polizei beantragen – und sind damit gescheitert. Dennoch will Estland an dem ehrgeizigen Projekt festhalten (Archivfoto). © IMAGO/Juliane Sonntag

Mit einem ehrgeizigen Projekt will ein Nato-Land seine Grenze gegen Russland abdichten – die EU hat da einen Riegel vorgeschoben, und die Balten sind sauer.

Tallin – „Es handelt sich nicht um eine physische Drohnenmauer“, sagt Rene Ehasalu. Gegenüber dem National Defense Magazine erklärt der Manager des „Defense Estonia Cluster“, dass Estland jetzt dicht macht. Aufgrund der Erfahrungen des Ukraine-Kriegs wird sich das baltische Land schnellstmöglich gegen Wladimir Putins Invasionsarmee abschotten, berichtet beispielsweise das Magazin Defense Express: „Angesichts hybrider Angriffe und Bedrohungen aus Russland beschließt Estland, seine Ostgrenze mit einem umfassenden Anti-Drohnen-Netzwerk zu verstärken.“

Estland hatte sich bereits mit fünf anderen Staaten zusammengeschlossen, um einen Drohnen-Wall gegen Russlands mögliche Angriffe aufzuschütten. „Im Jahr 2027 soll es an der Grenze eine sogenannte Drohnenmauer geben. Sie besteht aus verschiedenen Geräten, die diese tieffliegenden Objekte erkennen können. Wenn wir dann wissen, wo sich die Drohnen befinden, können wir sie einsetzen und ausschalten“, sagte ein Grenzschützer gegenüber dem Magazin DefenseScoop.

Estlands Grenze zu Putin: Im Idealfall kombiniere sie „Soft Kill“ mit „Hard Kill“-Fähigkeiten

Bis 2027 will das Nato-Land das Projekt umgesetzt und 20 Millionen Euro investiert haben; zum Teil aus EU-Mitteln, wie der estnische öffentlich-rechtliche Sender ERR berichtet. In Friedenszeiten soll die Mauer auch vor Schmuggel schützen, wie ERR aufgrund von Mitteilungen der Polizei- und Grenzschutzbehörde (PPA) meldet. Mit der Drohnenmauer will Estland die 333 Kilometer Grenze zwischen der Russischen Föderation und sich abdecken sowie die wichtigsten Städte einbeziehen – beispielsweise den Übergang bei Narva.

„Europa ist groß, die Interessen sind unterschiedlich, und manchmal ist das, was uns schadet oder uns wichtig ist, für Europa unwichtig.“

„East Shield“ werde die Ost-Grenze der Nato verstärken, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Als „Drohnen-Wall“ bezeichnet die Times das Projekt, etwas differenzierter schreibt das Magazin Breaking Defense von einer Mischung aus physischen Barrieren gegen anrückende Landstreitkräfte und modernen Überwachungssystemen, „darunter einige mit künstlicher Intelligenz“. Breaking Defense sieht vorgeschobene Operationsbasen kommen, logistische Hubs und Systeme zur Drohnen-Abwehr „East Shield“ ist das Gemeinschaftsprojekt.

Der estnische Vorstoß scheint parallel zu laufen und speziell die regionale Infrastruktur zu schützen im Rahmen von Polizei und Grenzschützern, also auch parallel zum eigenen Militär. „Die Mauer würde im Wesentlichen aus verschiedenen Fähigkeitsebenen bestehen“, sagt Rene Ehasalu. Laut dem National Defense Magazine bedeutete das: Sensoren, Radar, optischen Kamerasystemen, Funkfrequenzerkennung und Zielerfassung. Im Idealfall kombiniere sie demnach „Soft Kill“ mit „Hard Kill“-Fähigkeiten, also das Abdrängen von Drohnen durch Störsender und das physische Zerstören.

Drohnen-Wall an Nato-Ostgrenze: So einleuchtend das Konzept, so unausgegoren die Finanzierung

So einleuchtend das Konzept ist, desto unausgegoren scheint die Finanzierung zu sein. Entgegen der Meldung des ERR, dass Brüssel Geld zuschießen würde, hatte der estnische Sender LRT Anfang April gemeldet, dass die hochfliegenden Pläne der Litauer und der Esten in Brüssel eiskalt abgeschmiert seien: „Die estnischen und litauischen Grenzbehörden hatten einen gemeinsamen Antrag auf EU-Finanzierung gestellt, um eine sogenannte Drohnenmauer entlang der Grenze zu errichten, aber das Projekt erhielt keine Finanzierung“, erklärte das litauische Innenministerium gegenüber dem Baltic News Service (BNS) in einem Kommentar, wie LRT berichtete.

Dem zufolge schloss der litauische Innenminister Vladislav Kondratovič auch nicht aus, erneut EU-Mittel für das Drohnenwand-Projekt zu beantragen. Der Minister habe Reportern zudem versichert, dass das Projekt „nicht tot“ sei, wie er sich ausgedrückt haben soll. Auch Estland betont offenbar, sich an der Ukraine ein Beispiel nehmen zu wollen – ohne allerdings auszuführen, wie das aussehen könnte. Aber einen Drohnen-Wall wird ohnehin auch in den Nato-Ländern eifrig diskutiert – quasi als Gebot der Stunde.

„Russland greift die Drohnenmauer der Ukraine an“ überschreibt aktuell Mila Tanghe ihre Analyse für den US-Thinktank Center for European Policy Analysis (CEPA). Mit Beginn der russischen Sommeroffensive bleibe der Ukraine kaum eine andere Wahl, als auf Drohnentechnologie zu setzen, schreibt die Autorin. Sie zitiert General Walerii Saluschnyj, der bis Ende 2024 die ukrainischen Streitkräfte befehligt hat: Sein Land müsse über einen „Hightech-Krieg ums Überleben“ nachdenken, habe der heutige Diplomat im Vereinigten Königreich in einer Rede geäußert, „dafür werde ,ein Minimum an Humanressourcen und ein Minimum an kostengünstigen Mitteln eingesetzt, um eine maximale Wirkung zu erzielen‘“, so Saluschnyj.

Panzer, Drohnen, Luftabwehr: Waffen für die UkraineKampfflugzeug des Typs „Gripen“ aus Schweden Fotostrecke ansehenExperten verweisen skeptisch auf die Ukraine: „Mit Drohnen gewinnt man keinen Krieg“

Estlands Innenminister Lauri Läänemets sagte laut dem ERR, „Estland wolle seine gesamte Ostgrenze mit Technologie ausstatten, die Drohnen erkennen und abwehren könne. Auch Großstädte müssten diese Fähigkeit installieren.“ Finnland beispielsweise ist interessiert, bleibt aber skeptisch – obwohl das zweitjüngste Nato-Mitglied die längste Grenze zu Russland besitzt. Auf mehr als 2.500 Kilometern grenzen Russland und die Enklave Kaliningrad an das Nato-Territorium. Dass die Drohnenmauer in naher Zukunft realisiert werde, hält Mari Rantanen für unwahrscheinlich, wie die Innenministerin der Republik Finnland laut dem ERR dem finnischen Sender Yle gegenüber geäußert haben soll.

Skepsis ist angebracht: „Mit Drohnen gewinnt man keinen Krieg, aber man kann mit Drohnen und einer langfristigen Planung ihres Einsatzes definitiv zum Sieg auf dem Schlachtfeld beitragen“, sagt Mathieu Boulègue. Laut dem CEPA-Analysten seien Drohnen hilfreich als „taktische Wegbereiter im Krieg“, für eine komplette Überarbeitung einer gesamten Militärstrategie sei ihre Zeit noch lange nicht gekommen. Kommandeure von Drohneneinheiten können immensen Schaden an militärischer Infrastruktur verursachen und Panzer auf Distanz beziehungsweise Territorien von Infanterie freihalten. Für eine gewisse Zeit. Bis beispielsweise Artillerie die Drohnen-Hubs eliminiert hat.

Wenn Putins Panzer rollen: Ob solch ein Wall einen Angriff aufhalten könne, bleibt offen

„Ich habe in der Taktik-Ausbildung gelernt, Gebiete, die ich gewinne, die muss ich auch halten können“, sagt Janet Watson. Sie ist Hauptmann der Bundeswehr und thematisierte kürzlich im Podcast Nachgefragt, inwieweit im Ukraine-Krieg einer der beiden Kontrahenten überhaupt in der Lage sei, Territorium nicht nur einzunehmen, sondern vor allem zu sichern – mittelfristig zu sichern. So mag ein Drohnen-Wall sicher dazu taugen, einen Angriff zu verzögern; aber ob solch ein Wall einen Angriff aufhalten könne, bleibt offen. Und, wenn ja, wie lange könnte er einer russischen Panzerdivision mit bis zu 20.000 Soldaten und mehr als 300 Kampfpanzern standhalten können?

Russland hat Innovationen entwickelt, um die mehrschichtige Drohnenabwehr der Ukraine zu schwächen“, schreibt beispielsweise Jack Watling. So schnell wie die Ukraine Abwehrmechnismen entwickle, so schnell würde Russland wieder dagegenhalten können, so der Analyst des britischen Thinktanks Royal United Services Institute (RUSI). Die ukrainischen Abfangjäger-Drohnen, die auf der Jagd seien auf russische Aufklärungs-Drohnen würden gezielt ausgeschaltet, indem die Russen die sie steuernden Radarstationen systematisch eliminieren.

EU stoppt Pläne der Balten: „Europa ist groß, die Interessen sind unterschiedlich“

Ein weiteres zunehmendes Charakteristikum der in diesem Sommer erwarteten Offensive seien russische Angriffe auf ukrainische Drohnenpiloten. „Dabei werden Peilung, Signalaufklärung und Aufklärung eingesetzt, um die Piloten zu orten und sie anschließend mit drahtgelenkten Drohnen und Gleitbomben anzugreifen. Diese Vorgehensweise ist effektiver geworden, da Russland die Geschwindigkeit des Informationsaustauschs zwischen seinen Einheiten erhöht hat“, schreibt Watling.

Darüberhinaus scheint die Europäische Union auch hinsichtlich der Drohnentechnologie noch immer gespalten zu sein. Noch immer scheinen die Balten ein drängenderes Gefühl der Unsicherheit bekämpfen zu müssen, als der Rest von Europa. Noch immer scheinen die Ziele deutlich zu divergieren: Kern-Europa pochen eher auf Luftabwehr, die östlichen Randstaaten setzen ihre Hoffnung auf Drohnen – oder wie der litauische Premierminister Gintautas Paluckas gegenüber LRT geäußert hat – möglicherweise sogar stellvertretend für alle baltischen Staaten:

„Europa ist groß, die Interessen sind unterschiedlich, und manchmal ist das, was uns schadet oder uns wichtig ist, für Europa unwichtig.“