Bereits vergangenes Jahr sorgte Vera Buck mit ihrem Thriller „Das Baumhaus“ für Spannung und Gänsehaut. Nun hat sie mit „Der dunkle Sommer“ nachgelegt, und wieder gelingt es ihr, verschiedene Personen, Zeit- und Handlungsebenen so geschickt miteinander zu verweben, dass sich viele Fragen der Leser erst ganz zum Ende klären.
Erzählt wird die Geschichte abwechselnd aus drei Perspektiven: Architektin Tilda, eine 40-jährige Deutsch-Italienerin, hat für einen Euro ein altes Haus im (fiktiven) Geisterdorf Botigalli auf Sardinien gekauft. Die Häuser hier werden gerade verscherbelt, um die Stadt, in der seit einem dramatischen Massaker im Jahr 1982 (fast) niemand mehr wohnt, wiederzubeleben. Für Tilda die ideale Möglichkeit, nach einer persönlichen Tragödie in aller Abgeschiedenheit zur Ruhe zu kommen. Doch sie wird alles andere als freundlich auf der Insel in Empfang genommen.
Die zweite Perspektive ist die des Journalisten Enzos, der seit Ewigkeiten versucht, die Umstände des damaligen Massakers aufzuklären. Es gibt einen Überlebenden von damals, Silvio, der – heute ein alter, gebrechlicher und griesgrämiger Mann – als einziger mit seiner Pflegerin noch in Botigalli haust. Silvios Frau und seine Tochter sind bei dem Blutbad, das zu allem Überfluss auch noch während einer Hochzeitsfeier stattfand, ums Leben gekommen. Doch Enzo ist sich sicher, dass Silvio nicht nur Opfer war. Denn auch das Dorf Botigalli lebte einst – wie viele andere Orte auf Sardinien – von Entführungen und damit verbundenen Lösegeldzahlungen. Meist wurden die Entführten in den Höhlen der Bergregion versteckt und nach der Zahlung freigelassen. Steht dieses zweifelhafte Business in Zusammenhang mit dem Massaker?
Einblicke in die Vergangenheit
Und schließlich wäre da noch Franca, die in den 80er-Jahren als junge Frau in Botigalli lebte und den Leser mit in die Vergangenheit nimmt. Stück für Stück bringen ihre Erzählungen und Erlebnisse ans Licht, wie und warum 1982 so viele Menschen ums Leben kamen. Durch sie lernt der Leser die Bewohner Botigallis kennen. Ebenso begleitet er Frankas ganz persönlichen Kampf um Gerechtigkeit – für sich selbst und eines der damaligen Entführungsopfer.
„Der dunkle Sommer“ ist ein spannender, schlau konstruierter und überraschender Roman, der ganz nebenbei noch Einblicke in ein düsteres Kapitel italienischer Geschichte und das Leben der sardinischen Frauen vor einigen Jahrzehnten gibt und der einmal mehr beweist, was für eine grandiose Geschichtenerzählerin Vera Buck ist.
Sie gibt ihrem Buch und ihren Figuren viel Zeit, sich entwickeln zu können. Langweilig wird der Roman dadurch aber nie. Viel zu aufregend sind die einzelnen Handlungsstränge. Seite für Seite will man mehr über die Geschichte des Hauses erfahren, in das Tilda gezogen ist, darüber, warum sie vor ihrer Vergangenheit fliegt. Darüber, was Silvio verbirgt. Über Francas tragische Coming-of-Age-Geschichte und darüber, was Enzo antreibt, sich all die Jahre nur mit diesem einen Thema zu beschäftigen.
Auch wenn sich all diese persönlichen Schicksale teils langsam entfalten, passiert in diesem Roman einfach so viel, dass er von der ersten bis zur letzten Seite das reinste Lesevergnügen ist – es sei denn, man befindet sich gerade ganz alleine in einem italienischen Geisterdorf. Dann sollte man sich vielleicht für eine andere Lektüre entscheiden.
Info
Vera Buck: Der dunkle Sommer. Rowohlt Polaris, Hamburg. 384 Seiten, 17 €. Unser nächster Krimisommer-Tipp spielt in Dänemark.