Interview | Sport bei extremer Hitze

„Bei solchen Temperaturen ist eigentlich jeder Sport verboten“

Ein Jogger rennt am frühen Morgen des 30.06.2025 vor dem Berliner Fernsehturm und dem Dom. (Quelle: dpa-Bildfunk/Christoph Soeder)Bild: dpa-Bildfunk/Christoph Soeder

Eine Hitzewelle mit weit über 30 Grad erwartet die Region. Ob Sport da noch ratsam ist und warum man nicht nur auf das Thermometer schauen sollte, erklärt Hanns-Christian Gunga, Seniorprofessor für die Physiologie in extremen Umwelten an der Charite.

Der rbb sendet um 20:15 Uhr ein rbb spezial: „Hitzewelle in Berlin und Brandenburg“


rbb|24: Herr Gunga, wissen Sie anhand des Wetterberichts immer schon, wann Ihnen als Experte für Extreme Umwelten besonders arbeitsreiche Tage bevorstehen?

Hanns-Christian Gunga: (lacht) Ja, immer dann, wenn die Umgebungstemperaturen über 25 Grad gehen. Aber es ist genauso wichtig, dass wir wissen, wie hoch die Luftfeuchtigkeit ist und es kommt auch darauf an, wie die Temperaturen in der Nacht sind. Als Physiologe sind das die meteorologischen Rahmenbedingungen, die uns interessieren, um vorauszusehen, ob die Belastung erträglich wird oder sehr beschwerlich für bestimmte Bevölkerungsgruppen.


Sie haben jetzt die Luftfeuchtigkeit hervorgehoben. Warum ist die so wichtig?

Ich will mal ein Beispiel geben. Bei 30 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von zehn Prozent, fühlt sich das an wie 23 Grad, also gar nicht so schlimm. Bei 30 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent, was wir häufig haben, ist man schon im roten Bereich der Wet Bulb Globe Temperature (WBGT). Das ist diese zusammengesetzte Temperatur unter anderem aus Luftfeuchtigkeit und Lufttemperatur. Da ändert sich sehr viel in unserer Wahrnehmung, wenn die Luftfeuchtigkeit zehn bis 20 Prozent höher ist. Und das kann gerade in der Stadt der Fall sein aufgrund der dichten Bebauung. Man muss das sehr regional betrachten und deshalb finde ich als Physiologe solche Verallgemeinerungen bezüglich der Verhaltensweisen gefährlich.

Zur Person

Prof. Dr. Dipl.-Geol. Hanns-Christian Gunga ist Experte für Weltraummedizin und Extreme Umwelten an der Charité in Berlin. Als Mediziner und Geologe betrachtet er den Menschen in seiner Gesamtheit und im Zusammenspiel mit der Umwelt, auch in Anpassung an den Klimawandel.


Schon mit Beginn der Hitzewelle wird es für den Körper anstrengend – die eigentliche Herausforderung wartet da aber noch auf uns.

Die richtige Forderung kommt erst am zweiten Tag der Hitzewelle, nicht am ersten. Der Körper hat eine Kompensationsmöglichkeit, das kurzfristig zu blocken. Aber am zweiten Tag, wenn dann auch die Nachtruhe aufgrund warmer Temperaturen ausfällt, dann ist das Herz-Kreislauf-System überfordert, die Niere und der Darm werden nicht mehr richtig durchblutet und es kommt da zu Störungen. Das weiß man aus den letzten Hitzewellen, die Europa seit 2003 erwischt haben.


Uns erwarten in der Region Temperaturen von weit über 30 Grad. Da schwitzt man schon bei einem kurzen Spaziergang. Ist Sport gefährlich bei diesem Wetter?

Bei diesen Temperaturen verschlimmert physischer Sport die Situation, weil es ein zusätzlicher Stressfaktor für das Herz-Kreislauf-System ist. Wir sehen das aktuell bei den Fußballspielen der Klub-WM in den USA, wo sogar die Trainer davon beeinflusst sind. Alles, was über 28 Grad von der zusammengesetzten Temperatur ist, die eben auch sehr von der Feuchtigkeit abhängt, da beginnt der gelbe Bereich. Wenn Sie dann bei 31 Grad sind, ist eigentlich jeder Sport verboten, schwarze Zone. Denn dadurch gibt man noch mehr Schweiß ab, man fördert seine Hautdurchblutung. Die Leute unterschätzen, wie schnell ein Hitzekollaps in einen Erschöpfungszustand gehen kann.


Das werden ambitionierte Hobbysportler nicht gerne hören.

Man kann das ganze Jahr über Sport treiben und solche Hitzewelle dauern in der Regel nur ein paar Tage an. Deshalb muss man einen klaren Kopf bewahren und vernünftig handeln. Vor allem genug trinken und das Gewicht kontrollieren. Wenn man drei Kilo abgenommen hat am Abend, hat man 2,9 Liter Flüssigkeit verloren und muss die ersetzen. Anders kann der Hobbysportler gar nicht quantifizieren, wie viel Wasser er braucht. Die Waage ist da sehr hilfreich. Auch für Eltern, denn keiner kann kontrollieren, wie viel die Kinder am Tag getrunken haben. Essen sollte man möglichst leicht, wenig Fett, dafür mehr Kohlenhydrate.


Wenn man Sport treibt: Bei welchen Signalen des Körpers sollte man eine Pause einlegen?

Als erstes muss man sehen, dass man einen hohen UV-Schutz hat. Wenn man eine Unruhe verspürt, Kopfschmerzen bekommt oder leicht verwirrt ist, ist das ein Zeichen dafür, dass man in einen Flüssigkeitsverlust erlitten hat und unter anderem Hitzekrämpfe möglich sind. Bei einem Hitzekollaps verliert man möglicherweise sogar kurz das Bewusstsein. Da kann man nur hoffen, dass man gesehen wird und jemand die Beine hochlegt, damit man wieder zu Bewusstsein kommt. Bei einem Hitzschlag ist man bewusstlos und muss sofort gekühlt werden, das ist eine lebensbedrohliche Situation. Wenn man eine deutlich erhöhte Herzfrequenz hat im Vergleich zur Ruhefrequenz und die geht nicht herunter, ist das ein erstes Signal, dass ich mit der Hitzebelastung überfordert bin.


Im klimatisierten Fitnessstudio entgeht man den äußeren Bedingungen. Darf man da trotz Hitze Sport treiben?

Das kann man machen, sollte aber seine Bekleidung darauf einrichten, damit man nicht anfängt, zu frieren. Weil dann die Gefahr ist, dass man sich erkältet. Es kommt insbesondere im Rachen- und Halsbereich zur Unterkühlung der Schleimhäute, was wiederum dazu führt, dass bestimmte Bakterien sich vermehren. Dann hat man leicht eine Mandelentzündung.


Kann sich der Körper an so hohe Temperaturen anpassen und wie lange dauert das?

Man kann die Anpassung für bestimmte Bereiche trainieren. Ich kann beispielsweise die Schweißproduktion von 1,5 auf drei Liter pro Stunde erhöhen. Das dauert aber 14 Tage. Man muss dafür sich mindestens zwei Stunden pro Tag einer Hitzesituation aussetzen und diese erhöhte Temperatur mit einer sportlichen Tätigkeit verbinden. Und man sollte zwischendurch Ruheperioden einplanen, um wieder vollständig zu hydrieren. Also jetzt damit anzufangen und zu erwarten, dass man morgen angepasst ist, das läuft so nicht. Aber physische Fitness, also regelmäßiger Sport, erhöht die Hitzetoleranz, weil sie genau diese Systeme dabei trainieren.


Nach der Laufrunde in den kalten See springen oder zu Hause direkt unter die eiskalte Dusche springen. Klingt verlockend – aber ist das ratsam?

Wenn ich überhitzt bin und das vorsichtig dosiert mache, ist das ratsam, sich langsam von den Beinen aufwärts abkühlt. Auf keinen Fall sollte man in einen kühlen See springen. Das ist eine maximale Stresssituation für den Körper. Das kann unter Umständen zu Herz-Rhythmus-Störungen führen. Die sicherere Variante ist, zu Hause zu duschen.


Durch den Klimawandel wird es zukünftig immer heißere Sommer geben. Welche Herausforderungen werden in den kommenden Jahren auf Hobbysportler zukommen?

Das wird den Breitensport sicher noch erheblich beeinflussen. Man müsste zum Beispiel größere Läufe wie einen Marathon eher in nördlichere Bereiche verlegen. Da sind wir wieder beim Kopf und der Vernunft. Dann läuft man eben nicht in Italien oder Spanien, sondern in Schweden.


Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Lisa Surkamp-Erler. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.

Sendung: Der Tag, 30.06.2025, 18:00 Uhr