Berlin/Stuttgart. Stillgelegte Bahn-Grundstücke sollen künftig wieder leichter bebaut werden können. Dieses Ziel verfolgt eine Gesetzesänderung, die der Bundestag vergangene Woche verabschiedet hat. Darin wird klargestellt, dass der Erhalt dieser Flächen nicht von „überragendem öffentlichem Interesse“ ist, wenn eine Nutzung der Infrastruktur langfristig nicht mehr zu erwarten ist.

Seit einer Verschärfung von Paragraf 23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) war es kaum noch möglich, ungenutzte Bahnflächen für den Wohnungsbau zu nutzen. Von „überragendem öffentlichen Interesse“ waren nur noch Projekte für die Landesverteidigung oder Erneuerbare Energien, nicht aber für den Wohnbau. Die damalige Ampel-Koalition wollte damit die Grundstücke für einen eventuellen Ausbau des Bahnverkehrs erhalten. Diese Regelung wird gelockert – vorausgesetzt, dass auch der Bundesrat zustimmt. Dort wird am 11. Juli abgestimmt.

Bundesweit mehr als 170 kommunale Projekte blockiert

Bundesweit wurden rund 170 kommunale Projekte blockiert , darunter Bauprojekte in Nürtingen, Ulm sowie Stuttgart. In der Landeshauptstadt war der Bau des Rosenstein-Quartiers auf dem heutigen Gleisvorfeld nicht möglich. Hier sollen 5700 Wohnungen für über 10 000 Menschen entstehen. Lob für die Gesetzesänderung kommt von der Landtags-FDP, von Bauministerin Nicole Razavi und Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (beide CDU).

Kritik üben die Grünen im Bundestag. Sie hatten einen eigenen Vorschlag zur Änderung des AEG vorgelegt. Damit die Bahn genügend Entwicklungsspielraum erhält, hatten sie neun Kernziele vorgeschlagen, um Gleisflächen langfristig zu sichern.

Die Gegner von Stuttgart 21 sehen in der Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes daher keinen Grund zu feiern. Die Fraktion „Linke SÖS Plus“ im Stuttgarter Gemeinderat fordert einen Planungsstopp für Rosenstein-Quartier. Der Klimaschutz, der Artenschutz und die Klimaanpassung stünden einer Bebauung des Gleisvorfelds entgegen. Dafür bestehe auch weiterhin ein Verkehrsbedürfnis.

Gastel: Eine Freistellung erscheint damit nicht möglich

Die Begründung dafür lieferte der Grünen-Politiker Matthias Gastel nach der Bundestagsentscheidung. Der Abgeordnete sieht trotz der Gesetzesänderung ein Problem für die Stadt Stuttgart: Denn künftig dürfen die Flächen nur dann entwidmet werden, wenn kein Verkehrsbedürfnis mehr bestehe oder eine Ersatzinfrastruktur vorhanden sei. Diese „spannende Aussage“ sei durch einen Änderungsantrag der Koalition ins Gesetz aufgenommen worden. Der Großteil dürfe dann sicher entwidmet werden, so Gastel.

Für die Gäubahnzüge an den Hauptbahnhof sieht der Politiker aber weiter ein Verkehrsbedürfnis. Das Land habe den Regionalverkehr für das Fahrplanjahr 2026 bis zum Hauptbahnhof bestellt. Der Anschluss der Ersatzinfrastruktur für die Strecke von Zürich an den künftigen Tiefbahnhof müsse erst noch gebaut werden. Der Pfaffensteigtunnel sei nicht vor den 2030er-Jahren verfügbar. „Eine Freistellung der für die Züge der Gäubahn benötigten Flächen erscheint damit nicht möglich“, schreibt er auf seiner Homepage.

„Eine Gefährdung des Projekts erkennen wir daher nicht“

Die Landeshauptstadt Stuttgart teilt diese Einschätzung nicht. Das „öffentliche Interesse“, das die Umwidmung bislang blockierte, entfalle, wenn kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht oder für die Bahninfrastruktur ein Ersatz geschaffen worden ist. Von beiden Voraussetzungen muss eine erfüllt sein, teilt die Stadt auf Anfrage des Staatsanzeigers mit. Die Landeshauptstadt geht davon aus, dass der Verkehrsbedarf zu jedem Zeitpunkt gedeckt wird. Denn auch vor Fertigstellung des Pfaffensteigtunnels könne mit einem Ersatzverkehrskonzept der Hauptbahnhof ohne die bestehende Anbindung der Gäubahn angebunden werden, etwa mit den S-Bahnverbindung zwischen Stuttgart-Vaihingen und dem Hauptbahnhof.

In den Bundestagslesungen betonten die Regierungsfraktionen, dass die Änderung des AEG auch den Weg für das Rosenstein-Quartier ebnet. „Eine Gefährdung des Projekts erkennen wir daher nicht“, so eine Sprecherin. Die Landeshauptstadt setzte die Planungen konsequent fort.

Derzeit berät der Gemeinderat über den Aufstellungsbeschluss des Bebauungsplans für das Teilprojekt Europaquartier, das direkt an den Stuttgarter Hauptbahnhof angrenzen wird. Zwischen Schlossgarten und Europaviertel sollen Wohnungen entstehen.

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