Die ukrainische Verteidigung gegen Putins Armee hängt zu einem großen Teil von US-amerikanischen Waffenlieferungen ab. Doch um die „Interessen Amerikas in den Vordergrund zu stellen“, sollen einige der noch unter dem vormaligen US-Präsidenten Joe Biden zugesagten Mittel zurückgehalten werden, wie US-Medien in der Nacht zu Mittwoch berichten.

Demnach wollen die USA erst einmal eine Bestandsaufnahme ihrer Vorräte machen, bevor über weitere Hilfen entschieden wird. Der Lieferstopp soll laut der „Financial Times“ schon seit Anfang Juni in Kraft sein. Unklar ist bisher, ob und wann der Stopp wieder enden könnte.

Die ukrainische Luftabwehr fängt eine Shahed-Drohne während eines russischen Luftangriffs auf die Hauptstadt in Kiew ab.

© dpa/Evgeniy Maloletka

US-Beamte versuchten am Mittwoch zu relativieren: Ein Pentagonsprecher sagte, dass sein Ministerium dem US-Präsidenten Donald Trump „weiterhin robuste Optionen für die militärische Unterstützung der Ukraine“ biete. Eine Außenministeriumssprecherin betonte, dass es sich nicht um eine „Beendigung der Unterstützung für die Ukraine oder der Waffenlieferungen“ handele. Trump habe zudem erklärt, dass er an seinem Engagement für eine Lieferung von Patriot-Raketen festhalte.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht aber noch Klärungsbedarf, wie er Mittwochabend in seiner Fernsehansprache sagte.

Ukraine unter Druck

Faktisch hat die Trump-Regierung damit erneut die Ukraine unter Druck gesetzt, so wie es seit Beginn der Verhandlungen über einen Waffenstillstand mehrfach der Fall war. Sicher ist: Die Auswirkungen eines Lieferstopps könnten weitreichend sein. Aber was bedeutet die Entscheidung für die Ukraine konkret?

Die wichtigen Patriot-Abwehrraketen

Der Ukraine drohen nun gleich bei mehreren Waffensystemen Engpässe. Denn neben Artilleriemunition soll unter anderem auch die Lieferung von Luftabwehrraketen gestrichen werden. Das betrifft offenbar die Geschosstypen Stinger, AIM-7 und Hellfire – sowie eben doch die wichtigen Patriots, schrieb beispielsweise Nick Schifrin, der Verteidigungs-Korrespondent des US-Senders PBS. „Dutzende“ Patriot-Abfangraketen werden nun zurückgehalten, berichtete auch „NBC.“

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Mit dem Szenario eines Lieferstopps für Munition aus den USA hatte sich schon vor einer Weile Oleg Katkow, Chefredakteur des ukrainischen Online-Portals „Defense Express“, auseinandergesetzt. „Ohne neue Lieferungen amerikanischer Raketen könnte man die Patriot-Systeme und alle anderen, die auf US-Munition ausgelegt sind, einfach in den Schuppen stellen“, schrieb Katkow. Er sprach von einer „Katastrophe für die ukrainische Luftverteidigung“.

Dazu muss man wissen: Russland greift aus der Luft unter anderem mit ballistischen Raketen an (zusätzlich zu Drohnen und Marschflugkörpern). Beispielsweise sollen im Februar sieben dieser Raketen auf die Städte Kiew und Krywyj Rih geflogen sein – von denen laut ukrainischen Angaben sechs abgefangen werden konnten. In solchen Situationen sind die Patriot-Abwehrsysteme entscheidend. „Das ist das wichtigste Langstrecken-Flugabwehrsystem der ukrainischen Luftwaffe“, erklärt Katkow.

Ein Patriot-Waffensystem auf der Messe ILA in Berlin.

© IMAGO/Bernd Elmenthaler/IMAGO/Bernd Elmenthaler

Russland wird es „brutal ausnutzen“

Insbesondere der Ausfall weiterer Lieferungen für Flugabwehrsysteme „wird von Russland brutal ausgenutzt werden“, sagte Politikberater Nico Lange von der Münchner Sicherheitskonferenz dem Tagesspiegel. „Offen ist bisher die Frage, ob die Ukraine selbst oder europäische Partner für die Ukraine solche Munition in den USA kaufen können.“

Auch der britische Militärhistoriker Phillips O‘Brien kritisierte die US-Entscheidung in deutlichen Worten. „Wenn Putin eine Wunschliste schreiben könnte, welche Waffen Trump der Ukraine vorenthalten soll – das wäre sie“, schrieb er im Hinblick auf den Lieferstopp in seinem Newsletter. Sein bitteres Fazit: „Das ist ein weiteres Beispiel, wie die Trump-Regierung aktive Schritte unternimmt, den Russen zu helfen, Ukrainer zu töten.“

Die ukrainischen Bestände sind schon jetzt dünn

Militärexperte Gustav Gressel von der Landesverteidigungsakademie in Wien verwies darauf, dass der ukrainische Bestand an Patriot-Raketen „jetzt schon dünn ist“. Sobald er aufgebraucht sei, könne Russland die ukrainische Rüstungsindustrie „ungestraft mit ballistischen Raketen angreifen“. Von deren Produktion hänge ab, ob die ukrainische Armee die Front halten könne.

Weder Europa noch Deutschland können Verlust ausgleichen

Könnte Europa den Ausfall der Amerikaner ersetzen? Nein, meint Gressel. „650 Patriot PAC3 und 200 Patriot PAC2 werden in den USA pro Jahr hergestellt. Vom europäischen Äquivalent, der Aster 30, werden etwa 100 im Jahr produziert. GMLRS-Raketen werden in Europa gar nicht hergestellt.“

Auch Deutschland könne nicht helfen. Hier werden demnach erst ab 2027 Patriot-Raketen produziert – und leider nicht in der Version, die in der Ukraine gebraucht werde.

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Die Ukraine hat nun weniger Schlagkraft

Gressel gibt außerdem zu bedenken, dass die Ukraine bei einem Lieferstopp nicht nur in ihrer Verteidigung, sondern auch bei ihren Attacken auf Russland geschwächt sei. Die Amerikaner schicken offenbar auch keine Angriffsraketen des Typs GMLRS und keine Gleitbomben mehr. „Daher können russische Reserven, Artilleriestellungen und ähnliches nicht mehr mit der heute vorhandenen Häufigkeit angegriffen werden.

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In Moskau herrschte unterdessen Freude. „Je weniger Waffen an die Ukraine geliefert werden, desto näher rückt das Ende der militärischen Spezialoperation“, behauptete Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Mittwoch. (mit dpa/AFP)