Konzert | Neil Young in Berlin
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Der Godfather of Grunge redet wenig, sagt aber viel
Fr 04.07.25 | 08:16 Uhr | Von Jule Kaden
PA Wire
Audio: rbb24 Inforadio | 04.07.2025 | Jule Kaden | Bild: PA Wire
Bereits zum sechsten Mal und mit fast 80 Jahren steht Neil Young am Donnerstagabend auf der Berliner Waldbühne. Von seiner Jamsession ist Jule Kaden berührt – und lässt sie nur mit einer kleinen Kritik zurück.
Von über 20.000 ungeduldig klatschenden Händen, pünktlich um 20 Uhr werden Neil Young and The Chrome Hearts auf die Bühne getragen. Die Waldbühne wirkt durch Youngs viele, dunkelbraune Instrumente – Hammond-Orgel, Klavier, Verstärker und Gitarren – wie ein Studio auf seiner über 100 Jahre alten Farm in Kanada. Gemütlich und hippiesk. Ohne Gerede geht sie los, die Jamsession.
Wie bei einer Session üblich, wackelt erstmal ein bisschen der Sound und Young und seine neue Begleitband brauchen zwei, drei Songs, um warm zu werden. Aber dann: Hui. Die Fans haben immer wieder die Handys oben, da ein Klassiker dem nächsten folgt: „Harvest Moon“, „Hey Hey, My My“, „Old Man“. Seine Stimme klingt, wenn er „Old man, look at my life. I’m a lot like you were“ singt, dabei so wie früher, wie auf Platte und man merke, „dass er es immer noch drauf hat“, sagt der 20-jährige Kim, der extra aus Flensburg angereist ist.
Neil Young ist Neil Young, der Godfather of Grunge, der Typ, der wenig redet außer mal – nach einigen Songs – ein „Hey, how are you doing?“ ausspuckt. Dass er die Waldbühne sehr schön finde, grummelt, nuschelt er dann auch irgendwie noch ins Mikrofon. Natürlich gibts es dafür Applaus.
Obwohl der 79-jährige Kanadier wenig redet, sagt er viel – durch die Wahl seiner Songs. Am Donnerstagabend geht es in ihnen um die Wichtigkeit von Familie, verlorene und wiederaufflammende Liebe und immer wieder um die Umwelt, Mutter Erde, und dass wir für sie etwas tun müssen: „Save the planet for another day. (…) Don’t care what the governments say“, wie in Song drei „Be The Rain“.
Gen Z und sechsköpfige Familien
Ich bin kein Neil-Young-Ultra, wie es viele an dem Abend gibt. Und dennoch ist es für mich faszinierend und berührend, wie dieser Mann, der 48 Studioalben, etliche Livealben und über 60 Jahre Musikbusiness auf dem Buckel hat, mitreißt.
Kids von vielleicht sieben Jahren, die seine Urenkel sein könnten, stehen in der ersten Reihe, die Gen Z geht im Nirvana-Shirt oder der Stevie-Nicks-Gedächtnisklamotte ab. „Gute Show auch in dem Alter! Fand ich total krass, wie er seine Soli rausgehauen hat“, sagt Zoe, 20 Jahre, aus Göttingen, nach der Show ganz begeistert. Sören, der Neil Young mit seinen Anfang Dreißig schon drei, vier Mal gesehen habe, hält es sogar für sein bestes Konzert von Young bisher.
Eine sechsköpfige Familie aus Wien treffe ich auch. Die ältesten Kinder sind Anfang 20. Auch sie: alle begeistert; von seiner Authentizität, von den hin und wieder übersteuernden Boxen, von seinen wenigen Worten. So ihre Aufzählung. Aviv, 19 Jahre, glaube, „dass Young die Musik dadurch viel besser gespürt hat.“
Während Neil Young frickelt, laufe ich rum. Der schunkelnd-tanzende Innenraum wirkt seelig. Eine mittelalte Frau vor mir weint ergriffen, ein grauhaariger, hagerer Typ mit Zopf hinter mir verliert sich im Luftgitarre spielen. Er verliert sich mindestens genauso sehr in der Musik, wie Neil Young und Gitarrist Micah Nelson (ja, einer der musizierenden Söhne von Country- und Folk-Legende Willie Nelson), wenn ihre beiden Gitarrenhälse fast verschmelzen, während die beiden jammen, schrammeln, Solis spielen, grinsen und eine gute Zeit haben.
Ob die auch eine gute Zeit haben, hier oben? Mittlerweile stehe ich in der oberen Hälfte der Tribüne. Hier ist es wesentlich ruhiger als im Innenraum, und auch älter. Da die großen Leinwände an diesem Abend ausbleiben, sehen sie Young and die Chrome Hearts lediglich als kleine Männchen. Schade, für die Stimmung, denk ich. Spüre ich. Aber vermutlich ist selbst die fehlende Leinwand von Young gewollt. Fokus!
„Keep on rockin‘ in the free world“
Bevor Neil Young uns mit einer Zugabe nach Hause schickt, findet er für uns doch noch ein paar mehr Worte. Es scheint ihm wichtig: „The world is a crazy place right now. So we have to look for eachother everywhere!“ Natürlich, muss darauf „Rocking in The Free World“ folgen. Die ganze Waldbühne steht. Tanzt und singt lauthals mit: „Keep on rockin‘ in the free world“.
Nach ziemlich genau zwei Stunden und 16 Songs packt Young die Gitarren und Mundharmonika wieder ein: „Thanks for being here. We appreciate this. I love this place.“
Sechs Mal hat Young schon die Waldbühne bespielt. Und mir scheint, auch wenn er Ende des Jahres 80 wird und letztes Jahr ordentlich mit seiner Gesundheit zu tun hatte, als gäbe es auf jeden Fall wieder das Vergnügen. Ich wäre schwer dafür, nur bitte dann nicht für 180 Euro für einen Stehplatz. Wäre zumindest zwischenmenschlich fair.
Sendung: rbb24 Inforadio, 04.07.205, 6:55 Uhr