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Der Iran ringt nach dem Krieg mit Israel um Stabilität. Was wird aus Chamenei, den Revolutionsgarden und der Machtbalance in Teheran?

Teheran – Mit einer Waffenruhe endete der zwölf Tage andauernde Israel-Iran-Krieg. Die Fragen nach der Zukunft des Regimes in Teheran bleiben offen. Der Oberste Führer des Iran, Ali Chamenei, verteidigt seine Macht mit aller Konsequenz. Bereits seit Wochen wird in der Islamischen Republik gegen mutmaßliche Kollaborateure vorgegangen, immer wieder kommt es zu Hinrichtungen. Die Niederlage nach den US-Bombenangriffen wird zu einem Kampf der Märtyrer umgedeutet. Dennoch: Die jüngste Nahost-Eskalation befeuert Spekulationen über die Zukunft des iranischen Regimes.

Chameneis Macht nach dem Krieg mit Israel: Berichte über Komplott

In den vergangenen Wochen hat sich Chamenei aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, er blieb auch der Gedenkfeier für die getöteten Generäle der Revolutionsgarde fern. Chameneis Macht gilt nach dem Krieg als gefestigt – doch von Stärke kann kaum die Rede sein. Ein Beitrag in The Atlantic beschrieb zuletzt die Möglichkeit eines Insider-Komplotts, der zum Ziel hatte, den Ajatollah durch ein Führungskomitee zu ersetzen.

Verbündete, Feinde und Alternativen zum Mullah-Regime im IranElahe Tavakolian auf einer Demonstration gegen das Mullah Regime im IranFotostrecke ansehen

Die Berichte deuten auf tief sitzende Machtkämpfe hin. „Keine der ernsthaft um die Macht kämpfenden Fraktionen teilt Khameneis Ideologie der alten Schule. Sie handeln aus Eigeninteresse und militärischer Logik, nicht aus Doktrin“, sagte Arash Azizi, Fellow am Frederick S. Pardee Center for the Study of the Longer-Range Future der Boston University, The Atlantic. Die USA haben inzwischen eingeräumt, dass das Atomprogramm des Iran nicht vollständig zerstört, sondern nur um maximal zwei Jahre zurückgeworfen wurde.

Macht im Iran nach Krieg mit Israel: Rolle der Revolutionsgarden

Um die künftige Macht im Iran buhlen unter anderem die Militärs des Landes. Der regulären Armee, die zunehmend an Einfluss gewinnt, stehen die Revolutionsgarden (IRGC) gegenüber. Die IRGC haben während des Kriegs mit Israel zwar schwere Verluste erlitten, konnten allerdings ihre Führung in kürzester Zeit wieder aufstellen. Beobachter vermuten schon länger, dass die Revolutionsgarden nach dem Tod von Chamenei deutlich an Macht im Iran gewinnen könnten. Auch Ali Alfoneh, Senior Fellow am Arab Gulf States Institute in Washington, ist der Ansicht, dass die IRGC im Iran stetig an die Spitze rücken werde.

Der mächtigste Mann auf der anderen Seite ist Irans „Oberster Führer“ Ajatollah Ali Chamenei.Der mächtigste Mann im Iran ist der „Oberste Führer“ Ajatollah Ali Chamenei. Der Anführer des Mullah-Regimes, hier bei einer Zeremonie im Rahmen des „Festivals der Engel“ im Jahr 2023, ist seit 1989 das politische und religiöse Oberhaupt des schiitisch geprägten Iran. Diese Position macht Chamenei auch zum „Revolutionsführer“. Er ist außerdem die höchste geistliche Instanz im Range eines Ajatollah und der Oberbefehlshaber der iranischen Streitkräfte in der Islamischen Republik Iran. © imago

Angesichts des möglichen Wandels, der dem Iran bevorstehen könnte, sind offene Anzeichen für Unruhen oder Umstürze aktuell rar. Doch in den kommenden Wochen könnte sich dies ändern. Gegenüber Newsweek räumte Mostafa Najafi, ein Experte für iranische Außenpolitik, dennoch eine mögliche innenpolitische Dynamik ein. „Im Inland könnten einige politische Gruppierungen versuchen, die Nachkriegslage für Reformen, politische Veränderungen oder eine Neuordnung der institutionellen Rollen zu nutzen. Aus staatlicher Perspektive liegt die Priorität jedoch weiterhin auf der nationalen Einheit, dem Wiederaufbau der Kapazitäten und der Stärkung der strategischen Sicherheit und der politischen Doktrinen angesichts äußerer Aggression.“

Iran zwischen Stabilität und Umstrukturierung: Rolle von Chamenei

„Alle Veränderungen oder Transformationen innerhalb des iranischen politischen Systems erfolgen strikt innerhalb verfassungsrechtlicher Rahmen und bewahren die Grundprinzipien der Islamischen Revolution und die Unabhängigkeit des Landes“, führte Najafi aus. Dennoch habe die Islamische Republik während dieses 12-tägigen Krieges bewiesen, dass sie über die institutionellen und strategischen Kapazitäten verfügt, um Krisen zu bewältigen, so der Experte weiter. „Ob bei der Führungsnachfolge oder militärischen Umstrukturierung – was offensichtlich bleibt, ist die Priorisierung von Stabilität, Autorität und strategischer Rationalität bei der Konfrontation mit Bedrohungen.“

Kamran Bokhari, leitender Direktor des New Lines Institute for Strategy and Policy, wagt gegenüber Newsweek einen Blick in die mögliche Zukunft des Iran und spricht von einer Art „Regime-Evolution“, die es geben könnte. „Was wir sehen werden, ist, dass vielleicht der Islamismus mit der Zeit ausstirbt, aber was das iranische Regime und die Artesh und die Offiziere und alle in der Elite nicht tun werden, ist aufhören, iranische Nationalisten zu sein.“

Nach Krieg mit Israel: Regime weiter „stark und geschlossen“

Dass das Regime im Iran nach den Verlusten durch den Krieg mit Israel den schwersten Moment der vergangenen Jahre erlebt hat, analysiert Mena-Watch. Nach dem Einflussverlust im Nahen Osten und verheerenden Wirtschaftskrisen steht das Regime vor einer Erosion der Autorität. Die Gefahr besteht: Das Regime könne zwar nach außen stabil wirken, doch von innen heraus zusammenbrechen. Dennoch sei es „stark und geschlossen“, wie der ägyptische Experte Amr al-Shobaki einordnet. Die Folge: Weder durch externe Intervention noch interne Bewegung könne Chameneis Regierungsapparat gestürzt werden.

Der türkische Wissenschaftler Ali Bakir argumentiert, dass das Regime seine Legitimität nur durch „Demut und echte Offenheit gegenüber seinen arabischen Nachbarn“ wiedererlangen könnte, aber die Arroganz und Selbstüberschätzung des Regimes verhindere den notwendigen ersten Schritt zur regionalen Versöhnung.

Regime im Iran weiter stabil: Teheran unterstellt Israel Provokation von Spannungen

Aktuell wirkt das Regime in Teheran trotz aller Spannungen weiterhin stabil. Rund eine Woche nach Inkrafttreten der Waffenruhe wirft der Iran Israel vor, das Land destabilisieren zu wollen. In der Provinz Sistan und Belutschistan nahmen Einheiten der Revolutionsgarden fünf mutmaßliche Agenten fest, wie die iranische Nachrichtenagentur Tasnim berichtete. Die Gruppe soll in direktem Kontakt mit israelischen Geheimdiensten gestanden und gezielt Aktionen sowie Sabotageakte im Landesinneren geplant haben. 

Sistan und Belutschistan zählt zu den ärmsten Provinzen des Landes – die anhaltenden Dürren verschärfen die Lage. Immer wieder kommt es dort zu Anschlägen militanter Gruppen – anders als im übrigen Iran. Die Mehrheit der Bevölkerung gehört der sunnitischen Richtung des Islam an, im Gegensatz zur schiitischen Staatsreligion.

Zukunft des Iran nach Krieg mit Israel: Fundament wackelt

Die Machtverhältnisse in Teheran wirken nach außen gefestigt – doch unter der Oberfläche beginnt das Fundament zu bröckeln. Der Iran steht womöglich nicht vor einem Umsturz, wohl aber vor einem tiefgreifenden Umbau seines Systems. Ob dieser evolutionär oder eruptiv verläuft, dürfte sich nicht zuletzt an den Spannungen zwischen Revolutionswächtern, Militär und politischen Eliten entscheiden. (fbu/dpa)