Als einzige Atommacht der Welt verfügt Grossbritannien bis anhin nur über ein Trägersystem zum Einsatz von Nuklearwaffen. Nun investiert London in Flugzeuge, die taktische Atomwaffen aus der Luft einsetzen können.

Premierminister Keir Starmer gibt am Nato-Gipfel in Den Haag eine Stärkung der britischen Abschreckung bekannt. Premierminister Keir Starmer gibt am Nato-Gipfel in Den Haag eine Stärkung der britischen Abschreckung bekannt.

Simon Dawson / Imago

Grossbritannien will künftig in der Lage sein, seine Atomwaffen nicht nur von U-Booten aus einzusetzen, sondern auch aus der Luft. Dies gab Premierminister Keir Starmer zum Auftakt des Nato-Gipfels in Den Haag bekannt, wobei er von der «grössten Stärkung der britischen nuklearen Abschreckung seit einer Generation» sprach. Konkret beschafft London zwölf neue F-35-A-Kampfjets aus den USA, die in der Lage sind, konventionelle, aber auch nukleare Bomben mitzuführen.

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Die neuen Jets werden explizit in das Abschreckungsdispositiv der Nato integriert und sollen Atombomben vom Typ B-61 mitführen, welche die USA an verschiedenen Standorten in Europa gelagert haben. Bereits unter der Präsidentschaft von Joe Biden gab es in Washington Pläne, auch in Grossbritannien wieder solche Bomben zu stationieren, um die Abschreckung gegenüber Russland zu verstärken.

Taktischer Gegenschlag als Option

Auch wenn die britische Regierung selber vorderhand nur die Flugzeuge und keine eigenen neuen Atombomben beschafft, ist der Schritt bedeutsam. Seit 1998 war die Royal Air Force nicht mehr in der Lage, taktische Atomwaffen mitzuführen. Grossbritannien ist vielmehr die einzige Nuklearmacht der Welt, die nur über ein einziges Trägersystem verfügt.

Das Land hat weder landbasierte Atomraketen noch atomare Bomber, sondern bloss vier ballistische Atom-U-Boote, die im schottischen Faslane-on-Clyde stationiert sind und maximal sechzehn interkontinentale Trident-Raketen mitführen können. Eines der U-Boote ist in der Regel irgendwo in den Weltmeeren unterwegs. Zusätzlich zu diesen strategischen Waffen, mit denen ganze Städte zerstört werden können, will sich das Land nun also wieder die Fähigkeit zum Einsatz taktischer Atomwaffen verschaffen.

Diese würden etwa gegen militärische Ziele wie Panzerverbände auf dem Schlachtfeld abgeworfen und haben ein geringeres Eskalationspotenzial als strategische Atomwaffen. Propagandisten des Kremls haben in den letzten Jahren immer wieder mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen gedroht – auch spezifisch gegenüber Grossbritannien. Die Möglichkeit, mit einem taktischen Gegenschlag zu drohen, stärkt daher die britische Abschreckung.

Die Abhängigkeit von den USA nimmt zu

Die Aufrüstung Grossbritanniens reiht sich ein in die Bemühungen der Nato-Staaten, die Abschreckung gegen Russland zu stärken. Der amerikanische Präsident Donald Trump fordert die Europäer zudem mit neuem Nachdruck auf, mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen. Dies hat in Europa Diskussionen ausgelöst um einen von den USA unabhängigen atomaren Schutzschirm, basierend auf den Nuklearwaffen Grossbritanniens und Frankreichs.

Faktisch allerdings erhöht Grossbritannien mit dem Ausbau der nuklearen Abschreckung seine Abhängigkeit von den USA. Auch die seegestützten Trident-Raketen werden in den USA produziert, doch ist Grossbritannien selber für die Herstellung und Wartung der Sprengköpfe zuständig. Daher gelten die heutigen britischen Atomwaffen als «unabhängige Abschreckung».

Die taktischen Atomwaffen hingegen sollen ganz im Besitz der USA bleiben. Ihr Einsatz würde sowohl die Zustimmung des britischen Premierministers wie auch jene des amerikanischen Präsidenten bedingen, weshalb unter Sicherheitsexperten auch von einem «Zwei-Schlüssel-System» die Rede ist. Die Vertiefung der Kooperation mit Washington ist auch Ausdruck des Willens der Regierung Starmer, die USA weiterhin möglichst eng in die Nato einzubinden.

Grundlage für den Entscheid ist eine neue verteidigungspolitische Strategie, welche die Labour-Regierung Anfang Juni veröffentlicht hat. Darin stellt die Regierung fest, dass die nuklearen Risiken zunähmen, da andere Staaten ihre Atomwaffen ausbauten und diversifizierten.