Russlands hat es mit zunehmend selbstbewussten Nachbarstaaten zu tun. Insbesondere Aserbaidschan probt den Aufstand. Nun gibt es eine Chance, dass Russland seine Vormacht im Südkaukasus verliert.
Die Präsidenten schweigen. In den sozialen Medien wird spekuliert. Die neuen Spannungen im Verhältnis zwischen Russland und Aserbaidschan dienen als Anlass für allerlei Erklärungen und Warnungen.
Es begann am 27. Juni mit dem Tod zweier aserbaidschanischer Brüder in der sibirischen Stadt Jekaterinburg. Sie wurden bei einer Razzia des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erschossen. Weitere Aserbaidschaner wurden verletzt und mehrere in Haft genommen. Anlass der Durchsuchungen sollen Ermittlungen wegen Mordes gegen eine kriminelle Gruppe sein, der Drogenhandel, Korruption und weitere organisierte Verbrechen vorgeworfen werden.
Aserbaidschan reagierte harsch. Das Außenministerium in Baku warf Russland „demonstrative, gezielte und außergerichtliche Tötungen und Gewalttaten aus ethnischen Gründen“ vor. Regierungsmedien brachten die Razzia in Zusammenhang mit dem Vorgehen der russischen Behörden gegen ethnische Minderheiten, um diese an die Front in der Ukraine zu zwingen. Russlands Botschafter in Baku wurde einbestellt, alle gemeinsamen Kulturveranstaltungen und gegenseitigen Besuche abgesagt.
Demütigende Aufnahmen
Am 30. Juni wurden zwei russische Journalisten in Baku festgenommen, weil sie trotz Entzugs ihrer Akkreditierung noch im Land gearbeitet beziehungsweise spioniert hätten. Am 2. Juli dann wurden acht Russen wegen angeblichen Drogenhandels und Cyberbetrugs festgenommen. Mit Wunden und Schwellungen im Gesicht wurden die Männer auf demütigende Weise den Richtern und Kameras der aserbaidschanischen Regierungssender vorgeführt.
In Jekaterinburg wiederum rissen Sicherheitskräfte am 1. Juli den örtlichen Anführer der aserbaidschanischen Diaspora aus seinem Auto und knebelten ihn auf dem Asphalt, ließen ihn aber nach einem Verhör wieder frei.
Auf dem Höhepunkt wirkte es, als wollten sich beide Seiten mit demütigenden Aufnahmen überbieten. Journalisten und Regierungsgegner kritisieren in sozialen Medien, dass die empörten Äußerungen beider Regierungen vorgetäuscht wirkten. Schließlich gingen diese gegen eigene Bürger nicht weniger brutal vor. Auch hätten jene russischen Journalisten zuerst über Vorwürfe gegen unabhängige aserbaidschanische Journalisten berichtet, die danach in Baku verhaftet wurden. Insofern wird die Frage aufgeworfen, ob beide Präsidenten, Putin und Ilham Alijew, ihr bewährtes außenpolitisches Spiel treiben: die eigene Bevölkerung gegen ausländische Feinde hinter sich scharen.
Spannungen auf persönlicher Ebene
Alijew präsentiert Aserbaidschan als aufstrebende Mittelmacht, der sich auf Augenhöhe mit Putin und anderen Staatsführern sieht. Am Tag des Sieges am 9. Mai reiste er nicht nach Moskau, schickte aber Soldaten zur Parade auf dem Roten Platz. Russland bleibt für Alijew interessant: Die Energiekonzerne Gazprom und SOCAR kooperieren beim Austausch von Gas. Russland braucht Aserbaidschan für seine Handelsrouten in den Iran.
Insofern fällt auf, dass die Spannungen von russischer Seite auch auf eine persönliche Ebene gehoben wurden: Das vom Kreml kontrollierte Online-Medium lenta.ru berichtet, die Steuerbehörde habe den 27-jährigen Sohn Alijews mehrfach wegen unbezahlter Steuern für eine Villa bei Moskau angeklagt. Der Vollstreckungsbescheid liege vor. Anders als bei der Razzia des FSB in Jekaterinburg ist in diesem Fall wahrscheinlich, dass Putin selbst im Bilde war.
Schon der wohl unbeabsichtigte Beschuss einer aserbaidschanischen Passagiermaschine Ende 2024 bei Grosny mit 29 Toten und 38 Verletzten hatte eine persönliche Note: Zur gleichen Zeit befand sich ein Flugzeug des aserbaidschanischen Präsidenten über russischem Luftraum. Alijew gibt sich bis heute unzufrieden mit Putins Reaktion. Aserbaidschanische Medien veröffentlichten nun weitere Aufnahmen, die den Abschuss durch russische Flugabwehrraketen eindeutig belegen sollen.
Bündnispartner verprellt
Für Putin ist diese Lage misslich. Einiges deutet darauf hin, dass er im Südkaukasus zum Verlierer werden könnte – falls Aserbaidschan mit seinem verfeindeten Nachbarn Armenien einer Lösung in einer geostrategisch und sicherheitspolitisch heiklen Frage zustimmen würde.
Es geht unter anderem um eine Straßenverbindung von Aserbaidschan in die Exklave Nachitschewan über das südliche Territorium Armeniens. Eine Lösung könnte darin liegen, dass eine dritte Kraft diesen „Korridor“ kontrolliert. Vorgesehen waren ursprünglich russische Grenztruppen. Das lehnen Aserbaidschan und Armenien ab, das Putin vor Langem schon verprellt hat.
Bei den Gesprächen zwischen Aserbaidschan und Armenien, unterstützt von der EU und Deutschland, wurde bereits über die Möglichkeit verhandelt, ein Unternehmen mit der Aufgabe zu betrauen. Im Fall der von Georgien abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien einigten sich die Seiten vor einigen Jahren auf einer Schweizer Sicherheitsfirma.
Trump als Friedensbringer?
Nun ist in Washington die Rede von einem US-Unternehmen – dies als Deal im Stil von US-Präsident Donald Trump, der sich als Friedensbringer feiern könnte. Sein Unterhändler Steve Witkoff machte kürzlich einen Zwischenstopp in Baku, wie Präsidentenberater Hikmet Hajiyev tagesschau.de bestätigte. Aus dem armenischen Außenministerium heißt es, es werde über Lösungen verhandelt.
Allerdings steht die große Frage im Raum, ob der südliche Nachbar Iran der Präsenz eines US-Unternehmens an seiner Grenze zustimmen würde. Denkbar wäre dies nur mit erheblichem Druck auf die Führung in Teheran.
Käme es allerdings gegen alle Widerstände zu einer Lösung, ließe sich ein Knoten von historischer Dimension durchschlagen. Es würden sich ganz neue Möglichkeiten über die Region hinaus ergeben und Russland könnte seine jahrhundertelange Vormacht im Südkaukasus verlieren.