Die Stadt Halle (Saale) bebte am Samstagnachmittag unter wummernden Technobeats und klaren politischen Botschaften: Rund 800 Menschen haben laut Polizei an der diesjährigen „Klangkarawane“ teilgenommen. Sechs bunt gestaltete Wagen und versehen mit fetten Lautsprechern zogen begleitet von tanzenden Demonstrierenden durch die hallesche Innenstadt – laut, kreativ und kämpferisch. Unter dem Motto „Kultur ist systemrelevant“ demonstrierten sie für bessere Rahmenbedingungen für die freie Musik- und Veranstaltungsszene in Halle. Vom Hallmarkt aus ging es über Glauchaer Platz, Franckeplatz, Marktplatz, Steintor und Berliner Brücke bis hin nach Diemitz. Dort fand eine Partei unter freiem Himmel auf dem Tedox-Parkplatz statt.

Mit dabei waren auch in diesem Jahr Kollektive wie Sammelsurium, DJversity, zweiWelten, Wachsalon, Blendwerk, Tarmac, L300, Digity, Unerhört, Drehkreuz, Station Endlos und Querbass. Sie alle engagieren sich nicht nur für elektronische Musik, sondern für kulturelle Vielfalt und soziale Teilhabe – und stellen Forderungen an Politik und Stadtverwaltung. Auch die Stadträte Dörte Jacobi, Philipp Pieloth und Katharina Kohl sowie die Landtagsabgeordneten Sebastian Striegel und Wolfgang Aldag reihten sich ein. Auch Bauunternehmerin Angela Papenburg war mit dabei,

Mehr als Party – eine Stimme für die Szene

Verena von der IG Musikveranstaltende sprach gleich zu Beginn Klartext: „Wir verstehen uns als Sprachrohr zwischen Stadtverwaltung, Politik und Szene. Wir sorgen dafür, dass unsere Interessen überhaupt gehört werden.“ Ihre Worte treffen einen Nerv, denn es geht längst nicht mehr nur um Musikveranstaltungen oder Clubnächte – es geht um strukturelle Probleme: zu wenig Förderung, unzureichende Anerkennung, massive bürokratische Hürden.

„Wir setzen uns für eine nachhaltige und resiliente Entwicklung der Szene ein“, so Verena weiter. „Unsere Kulturarbeit ist nicht bloß Freizeitangebot – sie ist Teil des urbanen Lebensgefühls dieser Stadt. Wir wollen, dass das auch von Verwaltung und Politik so verstanden wird.“

Kürzungen treffen mitten in die Saison

Ein besonders eindrückliches Bild der Schwierigkeiten zeichnete Svenja Kluge vom Peißnitzhaus – einer zentralen Kulturinstitution in Halle. Ihre Kritik: Die bestehenden Förderstrukturen seien nicht nur unzureichend, sondern auch extrem träge. „Im September schreibe ich meine Anträge – im März bekomme ich vielleicht eine vage Rückmeldung“, erklärte sie. „Wir planen in der Hochsaison ohne zu wissen, ob wir überhaupt Unterstützung erhalten. Das ist absurd.“

Kluge berichtete auch von erschreckender Bürokratie: „Ich habe unser Sommerfest im November beantragt – genehmigt wurde es vor zweieinhalb Wochen. Wie soll ich da Verträge mit Künstler:innen schließen oder Technik buchen?“ Dass Kultur nicht ernst genommen werde, zeige sich auch daran, dass es keinen Rechtsweg gegen solche Missstände gebe. „Wir werden behandelt, als leben wir von Luft und Liebe.“

Trotz finanzieller Engpässe halte man an fairen Eintrittspreisen fest, betonte Kluge. „Kultur muss für alle zugänglich bleiben. Aber ohne verlässliche Förderung, vernünftige Löhne und Planungssicherheit wird das immer schwieriger.“

Vom Protest zur Verwaltung: Nadia Schmidts Perspektivwechsel

Nadia Schmidt hat in den vergangenen Jahren selbst Klangkarawanen mitorganisiert. Nun arbeitet sie auf der anderen Seite – als Koordinatorin für kulturelle Bildung und Soziokultur in der Stadtverwaltung Halle. In ihrem Redebeitrag sprach sie sich deutlich für den Erhalt und Ausbau der Nachtkultur aus.

„Musik- und Clubkultur sind kein Selbstzweck. Sie sind ein Motor für Kreativität, Vielfalt und gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Sie betonte, dass Halle als moderne und offene Stadt wahrgenommen werde – auch durch seine subkulturellen Initiativen. In einem charmanten Vergleich verwies sie auf den bekanntesten Sohn der Stadt: „Vielleicht hätte Händel die Nachtkultur gebraucht, als er mit 18 nach London ging. Vielleicht wäre er geblieben, hätte es damals euch gegeben.“

Schmidt kündigte an, aktuell an einem Konzept für Spontanpartys zu arbeiten. Ziel sei es, eine Regelung zu finden, die alle Interessen berücksichtigt – ein sensibles Thema, bei dem viele Augen auf die Stadt schauen.

“Kultur ist systemrelevant” – Politik muss handeln

Dörte Jacobi, Stadträtin für Die PARTEI, stellte in ihrer Rede den Wert kultureller Freiräume ins Zentrum. „Sie sind die Spielwiese für kreative Ideen, für inspirierende Begegnungen und gemeinsam realisierte Projekte“, sagte sie. „Wer will in einer Stadt leben, die nur aus sanierten Luxuswohnungen, Bürogebäuden und Parkplätzen besteht?“ Für Jacobi ist klar: Die Stadt müsse sich entscheiden, ob sie Orte des Austauschs und der Inspiration fördere – oder die Verdrängung kulturschaffender Initiativen hinnehme.

Sie erinnerte an die Einführung von Spontanpartys unter dem damaligen Oberbürgermeister Wiegand – ein Projekt, das bundesweit für Aufsehen sorgte. Heute aber, so Jacobi, sei davon nicht mehr viel übrig: „Was einst als mutiges Signal für eine offene Stadtgesellschaft galt, ist heute durch Lärmschutz, Auflagen und fehlende Mittel fast vollständig ausgehöhlt.“ Die Folge: Viele Projekte stünden vor dem Aus. Und damit drohe der Verlust eines zentralen Teils der städtischen Identität.

Diversität braucht mehr als Applaus

Auch feministische Stimmen fanden bei der Klangkarawane Gehör. Das Kollektiv un:mute fordert eine gezielte Förderung und Sichtbarmachung von Flinta-Personen (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) in der Veranstaltungswelt. „Noch immer werden Flinta-Personen seltener gebucht. Die Szene ist weiterhin männlich dominiert“, so eine Rednerin.

Mit un:mute wolle man Räume schaffen, in denen Wissen geteilt, Fähigkeiten gestärkt und Netzwerke aufgebaut werden können – ganz konkret, fernab von Symbolpolitik. DJversity schloss sich dieser Kritik an. „Das Lineup muss diverser werden – nicht nur weniger männlich, sondern auch weniger weiß.“ Inter-, trans- und non-binäre Personen seien in vielen Bereichen der Szene nahezu unsichtbar. Die Forderung: strukturelle Veränderungen und echte Entscheidungsmacht.

Safer Spaces und Drogenpolitik: Nightline klärt auf

Ein weiterer wichtiger Beitrag kam von der Initiative Nightline, die sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit Drogen auf Veranstaltungen einsetzt. Das Projekt, das vor neun Jahren aus der drobs Drogenberatungsstelle entstanden ist, verfolgt einen aufklärenden Ansatz: „Die Schäden entstehen nicht durch Drogen, sondern durch schlechte Politik – durch Abschreckung, Sanktionen und Stigmatisierung“, sagte ein Sprecher.

Ein besonderes Problem sei die Verunreinigung von Substanzen – gepanschte oder falsch deklarierte Drogen könnten tödlich sein. Nightline setzt auf Beratung, Aufklärung und niedrigschwellige Hilfsangebote – und fordert: „Freie Menschen sollten informierte Entscheidungen über ihre Gesundheit treffen dürfen.“

Auch Oberbürgermeister Dr. Alexander Vogt hat sich bei der Klangkarawane zu Wort gemeldet. Mehr dazu hier.

Das sind die Forderungen:

  • langfristige und unbürokratische Förderungen
    Die Abhängigkeit von Fördermitteln und die damit verbundene Unsicherheit gefährden unsere Arbeit und lähmen die Kreativität. Wir brauchen stabile, verlässliche Finanzierungsmodelle für die freie Szene!
  • Schutz und Erhalt der Clubszene!
    Unsere Clubs und Veranstaltungsorte sind mehr als nur Locations – sie sind gesellschaftliche Orte des Austauschs, der Vielfalt, der Begegnung und der politischen Auseinandersetzung. Wir fordern die Sicherung dieser Räume und die Schaffung von Mietmodellen, die Kulturarbeit auch langfristig ermöglichen.
  • Unterstützung der freien Kulturräume
    Viele Kultur- und Veranstaltungsräume haben mit finanziellen Engpässen, unzureichender Infrastruktur und steigenden Betriebskosten zu kämpfen. Wir fordern eine langfristige Sicherstellung und Förderung dieser freien Räume, um den kreativen Austausch und die kulturelle Vielfalt auch in Zukunft zu gewährleisten.
    Wir fordern gezielte und dauerhaft angelegte Unterstützungsstrukturen für freie Musikspielstätten und soziokulturelle Orte, um die Auswirkungen der kommenden Mindestlohnerhöhung auffangen zu können – etwa durch die Ausweitung bestehender Förderprogramme, gezielte Personalkostenförderung und Anpassung der Förderrichtlinien an reale Betriebskosten. Eine nachhaltige Sicherung dieser Orte ist ohne eine strukturelle Anpassung kulturpolitischer Maßnahmen nicht realisierbar.
    Freie Musikorte arbeiten bereits jetzt oft unter prekären Bedingungen und leisten dabei einen unverzichtbaren Beitrag für kulturelle Vielfalt, Jugendkultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt.Die Mindestlohnerhöhung ist ein notwendiger Schritt zur fairen Entlohnung – sie darf jedoch nicht auf Kosten der kulturellen Infrastruktur durchgesetzt werden.
    Auch als Besucher:innen sind wir gefragt: Um die Existenz dieser Freiräume langfristig zu sichern, müssen wir uns der gestiegenen Kosten bewusst sein und bereit sein, einen angemessenen Beitrag für den Erhalt kultureller Vielfalt zu leisten. Nur so kann die Musikszene weiterhin bestehen und wachsen.
  • Angemessene Freiraumflächen und realistische Dezibelregelungen
    Halle war deutschlandweit bekannt und wurde für die Flexibilität und Umsetzbarkeit bei der Regulierung von Spontan- und Open-Air-Partys gefeiert. Leider wurden diese Regelungen zuletzt so verändert, dass eine einfache und praktikable Lösung für alle Beteiligten nicht mehr existiert. Wir fordern daher eine Rückkehr zu realistischen, umsetzbaren Dezibelregelungen und den Erhalt von Freiraumflächen für spontane und kreative Veranstaltungen, die die kulturelle Vielfalt und Lebendigkeit unserer Stadt fördern. Wir fordern keine einheitliche Lösung, sondern flexible Modelle, die je nach Lage und Bezirk an die Gegebenheiten angepasst sind.
  • Barrierefreiheit und Inklusion für alle: Kultur muss für alle zugänglich sein – für Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, für diverse soziale Gruppen und für Menschen aus marginalisierten Communities. Wir fordern den barrierefreien Ausbau von Veranstaltungsorten und mehr kulturelle Teilhabe.
  • Schaffung und Ermöglichung neuer Räume und Orte für Kultur
    Die Stadt braucht nicht nur den Erhalt bestehender Freiräume, sondern auch die aktive Schaffung neuer Räume für kulturelle Veranstaltungen, künstlerische Initiativen und kreative Begegnungen. Wir fordern die Bereitstellung ungenutzter oder brachliegender städtischer Flächen für kulturelle Projekte, um eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Kulturszene zu gewährleisten und den Zugang zu kreativen Freiräumen für alle zu fördern.