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Verteidigungsminister Boris Pistorius steht auf einem Truppenübungsplatz zusammen mit der Besatzung eines Leopard-Panzers.Was braucht die eigene Truppe, was braucht die Nato? Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) informiert sich über die Leistungsfähigkeit des Kampfpanzer Leopard 2 beim Panzerbataillon 203 in Augustdorf. Durch den Europäischen Verteidigungsfonds gefördert, suchen jetzt zeitgleich zwei internationale Projekte nach dem Panzer der Zukunft (Archivfoto). © IMAGO/Chris Emil Janssen

Europa sucht den Superpanzer: Mit viel Geld forschen zwei Konsortien gleichzeitig am Kampfpanzer, der allen nützt und auch nationale Interessen schützt.

Brüssel – „Wir schaffen ein neues Schwergewicht im europäischen Panzerbau“, sagte Armin Papperger dem Tagesspiegel. Der Geschäftsführer der deutschen Rüstungsschmiede Rheinmetall hatte sich bezogen auf sein neues Modell Panther KF51, mit dem er auf dem europäischen Markt dem deutsch-französischen Zukunftspanzer MGCS das Wasser abgraben will. Die Drohung durch Wladimir Putins Invasionstruppen, den Ukraine-Krieg auch auf Europa überschwappen zu lassen, versetzt die Entscheider in der westlichen Welt in Aktionismus: Jetzt scheint sich die Europäische Union sogar auf ein drittes Modell für einen europäischen Kampfpanzer einigen zu wollen. Ein Mammutprojekt. Das Magazin Europäische Sicherheit & Technik (ESuT) spricht von einer „europäischen Verzettelung“.

Laut einer Ankündigung von Rheinmetall, habe ein europäisches Konsortium „eine neue Initiative zur Entwicklung eines europäischen Kampfpanzers der nächsten Generation gestartet“, wie das Defense Blog schreibt. Das Entwicklungsprojekt Main Armoured Tank of Europe (MARTE) wird angeschoben über die EU-Kommission mittels 20 Millionen Euro aus dem Europäischen Verteidigungsfonds. „Mit MARTE will ein von der MARTE ARGE geführtes Konsortium mit 51 Akteuren aus elf EU-Mitgliedstaaten und Norwegen Beiträge liefern zur Entwicklung der nächsten Generation des Kampfpanzers der Zukunft“ schreibt ESuT-Autor Gerhard Heiming. Mit dabei KNDS Deutschland GmbH & Co. KG und Rheinmetall Landsysteme GmbH. Ein Ergebnis wird für Ende 2026 erwartet.

Ukraine-Krieg macht deutlich: Die Nato braucht ein Zukunftsfahrzeug

Ziel ist die Entwicklung eines Kampfpanzers der nächsten und damit der fünften Generation – ein Zukunftsfahrzeug. Neben der Entwicklung des deutsch-französischen Main Ground Combat System. Von einer rüstungspolitischen Union beziehungsweise sogar von einer einheitlichen Armee ganz weit entfernt, erscheint Europa aktuell dem Politikwissenschaftler Hans Kundnani: „Trotz des Hypes um ein ‚geopolitisches Europa‘ bleibt die Rolle der EU in Sachen Verteidigung hauptsächlich eine wirtschaftliche, sei es durch die Koordinierung von Sanktionen oder durch die Förderung der Rüstungsindustrie in den EU-Mitgliedstaaten“, schreibt er für den Thinktank Friedrich-Ebert-Stiftung.

„Was als Innovationswettbewerb erscheinen mag, entpuppt sich bei näherem Hinsehen oft als Ausdruck nationaler Eifersüchteleien – der Kampf um Marktanteile überlagert den sicherheitspolitischen Bedarf nach Einheitlichkeit.“

Tatsächlich mutet das Projekt seltsam an. In Deutschland wird die nächste Generation des Leopard 2A auf die Ketten gestellt, Rheinmetall entwickelt zusammen mit Italien den KF51 Panther – beide Fahrzeuge sollen die Lücke füllen bis zur Indienststellung des Panzers der nächsten Generation; schätzungsweise in den 2040er-Jahren. Polen kauft indes bisweilen südkoreanische Black Panther-Panzer. Frankreich baut auf den leichten Panzer Leclerc. Großbritannien hält fest am Challenger, der als Modell 3 weiter verwendet werden soll. Von einer Struktur innerhalb des europäischen Verteidigungsbündnisses keine Spur.

Weder kurz- noch mittelfristig. Wie der Bau des europäischen Kampfjets Eurofighter Typhoon bewiesen hat, scheitern Rüstungsprojekte oft an nationalen Egoismen. „Den europäischen Staaten wird immer wieder vorgeworfen, zu viel unterschiedliche Waffensysteme zu betreiben. Allein im Bereich der Kampfpanzer kursiert eine zweistellige Zahl unterschiedlicher Typen. Und dennoch: Aktuell entwickeln europäische Staaten parallel in mindestens drei voneinander unabhängigen Projekten neue Technologien für moderne Kampfpanzer“, schreibt ESuT-Autor Heiming.

Nato-Ziel: „Den harmonisierten Bedürfnissen der beteiligten europäischen Mitgliedstaaten gerecht werden“

Wie Rheinmetall klarstellt, baut MARTE (noch) keinen Panzer. Ziel der Arbeitsgemeinschaft ist die Realisierung von Studien und Entwürfen für ein Kampfpanzersystem der Zukunft. Dabei muss dieses System einerseits externen Faktoren standhalten, wie einer Bedrohung möglicherweise russischer Panzerdivisionen oder deren Drohnen; andererseits soll der künftige Panzer in der Binnenwirkung „den harmonisierten Bedürfnissen der beteiligten europäischen Mitgliedstaaten gerecht werden“. Der neue Kampfpanzer soll „auf die sich entwickelnden Herausforderungen der modernen Kriegsführung zugeschnitten“ sein und „die Lehren aus aktuellen Konflikten berücksichtigen“, so Rheinmetalls offizielle Mitteilung. Ein übermächtiges Unterfangen, wobei einem klar zu identifizierenden Feind von außen weit besser beizukommen sein wird als den individuellen nationalen Interessen.

Selbst das bilaterale deutsch-französische Kampfpanzer-Projekt ist ein Wackelkandidat. Deutschland und Frankreich können sich wirtschaftlich gegenseitig wenig, der Bau ist eine Zweckgemeinschaft – quasi aus der Not geboren. Genauso wie das aktuelle Forschungsvorhaben. Nichtsdestotrotz spart ein gemeinsames europäisches Rüstungsprojekt Ressourcen – finanzielle wie personelle. Grundsätzlich erlaubt ein einheitliches Panzermodell einen russischen Weg der Kriegsführung: Wenn ein Panzer neutralisiert würde, könnte dessen Besatzung in den nächsten verfügbaren Panzer umsteigen – vom Leopard in einen Challenger, Leclerc oder Black Panther umzusteigen und den Feuerkampf sofort wieder aufzunehmen, ist da schon schwieriger.

Von gemeinsamen Rüstungsgütern ausgehend, wäre der Schritt zu einer Vereinheitlichung der europäischen Streitkräfte deutlich kleiner. Zumindest das Kaliber für ihre Waffen hat die Nato harmonisiert, die Waffen bleiben unterschiedlich; sowohl die Handfeuerwaffen als auch leichte bis schwere Artillerie. Von den Drohnen, die kommen werden, ganz zu schweigen. Die Idee einer einheitlichen europäischen Idee ist uralt und wurde noch nie ernsthaft angegangen. Vor zehn Jahren hatte Armin Papperger gemutmaßt, dass er in den kommenden 20 Jahren weder eine einheitliche Armee noch eine einheitliche Rüstungsindustrie realisiert sehen würde, wie der Vorstandsvorsitzende der deutschen Waffenschmiede Rheinmetall gegenüber dem Bundeswehr Journal geäußert hat. Jetzt, nach der Halbzeit dieser Periode, ist Europa tatsächlich kaum weiter aufeinander zu gekommen.

Warnung der USA: „Kostspielige Duplizierungen“ ergäben „ein noch schwächeres europäisches Militär“

Obwohl der jetzt im vierten Jahr wütende Ukraine-Krieg die Augen öffnen müsste, beziehungsweise auch das Verhalten von US-Präsident Donald Trump dazu zwinge, dass Europa verteidigungspolitisch endlich flügge würde. Und immerhin bestünde die Gefahr, dass eine europäische Armee parallel zu den eigenen nationalen Streitkräften entwickelt würde – zumindest anfangs. Karl-Heinz Kamp hatte bereits vor zehn Jahren für die Bundesakademie für Sicherheitspolitik das Für und Wider einer gesamteuropäischen Streitmacht abgewogen.

Als Direktor Weiterentwicklung an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik hatte er deutlich gemacht, dass auch die USA schon länger gewarnt hätten vor „kostspieligen Duplizierungen“. „Wenn eine Europa-Armee parallel zu den nationalen Streitkräften geschaffen würde, ginge dies zu Lasten der ohnehin unterfinanzierten nationalen Streitkräfte. Das Ergebnis wäre ein noch schwächeres europäisches Militär“, so Kamp über die Haltung der US-Verantwortlichen. Eine „Duplizierung“, die auch jetzt schon läuft, wie Gerhard Heiming feststellt.

Wie der ESuT-Autor im April gemeldet hat, fördert der Europäische Verteidigungsfonds nämlich noch ein zweites europäisches Kampfpanzer-Projekt: „Future Main Battle Tank Technologies“ (FMBTech). Innerhalb von drei Jahren soll ein europäisches Firmenkonsortium in Studien und Konstruktionsentwürfen Technologien erarbeiten, wie Kampfpanzer für die moderne hybride Gefechtsführung fähig werden könnten; federführend ist der französischen Thales Six GTS-Konzern, Teilnehmer sind 26 Unternehmen aus 13 Mitgliedstaaten der EU und Norwegen.

Putin profitiert: Statt Innovationswettbewerb oft ein Ausdruck nationaler Eifersüchteleien

Ausschlaggebend für die Mehrgleisigkeit in der Entwicklung sind die unterschiedlichen Ängste der Nato-Partner und den sich daraus ableitenden Bedürfnissen. Keines der baltischen Länder beispielsweise verfügt über eigene Kampfpanzer; in deren Interesse liegen eher die Luftabwehr sowie die Stärkung der Infanterie. Frankreich fehlt möglicherweise immer noch der Fokus auf einem Landkrieg an der Nato-Ostflanke, weswegen ihnen an einem schweren Kampfpanzer weniger gelegen ist als beispielsweise Deutschland. Polen wiederum fehlt die Zeit für langes Abwägen oder das Geld für möglicherweise teure europäische Produkte.

Die Nato wächst und kämpft: Alle Mitgliedstaaten und Einsätze des BündnissesNato-Einsatz in AfghanistanFotostrecke ansehen

Je nach Zählweise nutzt die Nato als Verteidigungsallianz mindestens zehn unterschiedliche Typen von Kampfpanzern – wie das Magazin Europäische Sicherheit & Technik veröffentlicht hat. Für eine effektive Verteidigung möglicherweise ein noch immer zu großes Durcheinander; ganz zu schweigen von den diversen Modellen beispielsweise allein des Leopard. Das Nebeneinander von Panzer-Entwicklungsprojekten setze diesen Trend fort, wie ESuT-Autor Gerhard Heiming bedauert: „Was als Innovationswettbewerb erscheinen mag, entpuppt sich bei näherem Hinsehen oft als Ausdruck nationaler Eifersüchteleien – der Kampf um Marktanteile überlagert den sicherheitspolitischen Bedarf nach Einheitlichkeit.“