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Porträt Artem Klyga, russischer Jurist und KriegsdienstverweigererArtem Klyga, russischer Menschenrechtsanwalt © Rolf Oeser/Rolf Oeser

Der Menschenrechtsanwalt Artem Klyga hilft von Deutschland aus Russen, die nicht in der Ukraine kämpfen möchten. Ein Porträt von Pitt von Bebenburg.

Frankfurt – Seit mehr als drei Jahren werden Menschen im Krieg Russlands gegen die Ukraine getötet. Artem Klyga gehört zu denjenigen, die sich diesem Krieg entgegenstellen und dafür in Deutschland Schutz erhalten haben. Der 27-jährige Jurist hilft Russen, sich der Einberufung zu entziehen und dem Kriegsdienst zu entgehen – mittlerweile von Deutschland aus. Hierher ist er 2023 geflohen.

Artem Klyga: Unterstützung für russische Kriegsdienstverweigerer aus Offenbach

Der hoch aufgeschossene Blonde berichtet nüchtern von seiner Lebenssituation und seiner Arbeit, für die er in Russland Repressionen ausgesetzt wäre. Er war als „ausländischer Agent“ gebrandmarkt worden. Und doch beschreibt er, dass es – zumindest zu Beginn des Ukraine-Krieges im Jahr 2022 – Möglichkeiten gab, sich in Russland juristisch gegen Einberufungen zu wehren. „Ich habe erfolgreich gegen die Moskauer Regierung, Wehrersatzämter und das russische Verteidigungsministerium geklagt“, schildert er im Gespräch.

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So hätten er und seine Kollegen aus der Menschenrechtsarbeit junge Männer erfolgreich vor Gericht vertreten, die eingezogen werden sollten, obwohl sie ein Studium aufnehmen wollten. Bis vor kurzem waren Studierende freigestellt worden, und so habe es auch im Gesetz gestanden. Das sollte aber nach Klygas Darstellung jetzt nur noch gelten, wenn sie direkt nach dem Schulabschluss das Studium begannen. „Wir haben diese illegale Praxis beendet“, sagt Klyga. Er klingt dabei weder selbstzufrieden noch triumphierend, sondern ganz sachlich – als habe er nicht mehr als seine Arbeit gemacht.

Seit dem Frühjahr lebt Klyga in Offenbach und arbeitet von dort für den Verein Connection, der sich für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung weltweit engagiert. Finanziert wird seine Stelle mit Spenden von Unterstützerinnen und Unterstützern.

Ukraine-Krieg: Russischer Jurist unterstützt Kriegsdienstverweigerer

Klyga berichtet gerührt darüber. Im jüngsten Connection-Newsletter bedankt er sich und schreibt: „Euer Geld fließt in hunderte Beratungen, in die Unterstützung von jungen Männern und Frauen vor Gericht, in Lobbyarbeit und in die stetige und unermüdliche Förderung des Pazifismus und der Friedensbildung als Gegenpol zum uns aufgezwungenen Militarismus.“ Einen Deutschkurs hat der 27-Jährige absolviert, fühlt sich aber im Englischen sicherer. Als Vertreter der russischen Kriegsdienstverweigerer-Bewegung war er bei europäischen Institutionen unterwegs, bei der OSZE, dem Europarat und den Vereinten Nationen.

In Russland inzwischen als „Agent“ gebrandmarkt: Artem Klyga. In Russland inzwischen als „Agent“ gebrandmarkt: Artem Klyga. © Rolf Oeser

Artem Klyga hat in Moskau den Jura-Bachelor und Jura-Master gemacht. Seit 2021 war der junge Jurist als Anwalt für öffentliches Recht tätig. Außerdem unterstützte er im lokalen Wahlkampf unabhängige Kandidat:innen und Vertreter:innen der liberalen Jabloko-Partei. Für diese saß er im Gemeinderat des Moskauer Bezirks Lomonossowski im Südwesten der Hauptstadt. Auch unabhängige Kandidierende beriet er juristisch – „auf kommunaler Ebene gibt es sie noch“, berichtet er.

Doch als angeblicher „ausländischer Agent“ fühlte sich Klyga in Russland nicht mehr sicher, nachdem der Krieg gegen die Ukraine begonnen hatte. Ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn entschied er sich, vorläufig nach Usbekistan zu gehen, in der Hoffnung, dass der Waffengang bald enden würde. Doch daraus wurde nichts, und Klyga zog weiter nach Deutschland. Hier erhielt er den Status als verfolgter politischer Aktivist, der ihm Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zumindest für drei Jahre sichert.

Einsatz für Asylrecht: Täglich erfahre ich von Menschen, die getötet wurden“

Von Deutschland aus berät er russische und belarussische Staatsbürger sowohl zu Fragen des Wehrrechts als auch beim Beantragen humanitärer Aufnahme in Deutschland. Klyga betreute mehr als 30 solcher Fälle. Gemeinsam mit Kolleg:innen aus Deutschland und Kasachstan beteiligte er sich an der Unterstützung der ersten sechs russischen Deserteure, denen die Ausreise und Asylantragstellung in Frankreich gelang.

Ständig kommen neue Anfragen hinzu. Klyga zeigt die neueste Meldung auf seinem Telegram-Kanal – wieder sucht jemand seinen juristischen Rat. Emotionalität merkt man ihm kaum an. Doch Klyga sagt: „Das ist kein Acht-Stunden-Job. Es ist schwer. Täglich erfahre ich von Menschen, die zwangsrekrutiert wurden und von Menschen, die getötet wurden.“ Umso mehr wundert er sich über die Anerkennungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Es tue bis heute so, als drohten Männern im wehrfähigen Alter keine Zwangsrekrutierungen oder als könnten sie einfach in eine andere Region des Landes ziehen, sagt Klyga fassungslos.

Wie lang er in Deutschland bleiben wird? Klyga macht keine Pläne, solange der Krieg ihn aus der Entfernung fordert. „Ich hoffe, dass dieser Krieg in diesem Jahr endet und es Frieden gibt“, sagt der russische Anwalt. Nach Donald Trumps Versprechen, auf einen raschen Waffenstillstand zu drängen, hatte Klyga Hoffnung auf den US-Präsidenten gesetzt. Bisher vergebens. So bleibt viel für ihn zu tun.