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Der ewige Geheimfavorit trumpft in Zürich gegen Europameister England auf. Kann dieses Team sogar Europameister werden?
Zürich – Mitunter kann die Stadionregie wirklich den Ton treffen. Als im Letzigrund von Zürich die französischen Fußballerinnen gerade die Sicherheitsleute überliefen, weil sie sich bei ihren Fans hinter der Laufbahn bedanken wollte, dröhnte „Magic in The Air“ aus den Lautsprechern. Trotz des englischen Titels ist der Text des Liedes, das rund um die Männer-WM 2014 in Brasilien weltbekannt wurde, fast ausschließlich auf Französisch. Das ergab bei dieser Frauen-EM eine klangvolle Symbiose, die nach einem packenden Fußballspiel in einem zeitlos schönen Leichtathletikstadion zu einem stimmigen Schlussakkord geriet.
Mit feinsten Zutaten hatten „Les Bleues“ zwar knapp, aber verdient die hoch gehandelten Engländerinnen mit 2:1 niedergerungen. Um die Tragweite des Auftaktsieges im Duell möglicher deutscher Viertelfinalgegner zu illustrieren: Vor der rechten Trainerbank mit Blick auf die von der Abendsonne angestrahlten Hochhäuser stand die dekorierte Sarina Wiegman, die erst mit Niederlande 2017, dann mit England 2022 sämtliche EM-Partien als Trainerin bislang gewonnen hatte.
Fußball-Europameisterschaft der Frauen – alle Titelträger im ÜberblickFotostrecke ansehenGanz viel Tempo
Der 13. Anlauf der 55-Jährigen ging schief. „Natürlich sind wir enttäuscht. Wir hatten gehofft, besser zu spielen. Wenn sie den Ball gewinnen, sind sie sehr schnell. Frankreich war sehr gefährlich“, sagte die gebürtige Niederländerin. Das Kardinalproblem war auch für Männer-Nationalcoach Thomas Tuchel unter den 22.542 Augenzeugen leicht zu identifizieren: Die blauen Flitzerinnen lauern nur auf überfallartige Umschaltaktionen.
Mögen die Spanierinnen die beste Technik des Turniers mitbringen, besitzen die Französinnen das höchste Tempo. Dementsprechend hat ihnen der erst vor zehn Monaten installierte Nationalcoach Laurent Bonadei eingetrichtert: „Wir müssen nicht 75 Prozent Ballbesitz haben.“
Mühelos: Marie-Antoinette Katoto erzielt das 1:0. © Michael Buholzer/EPAMit Bonadei zum Titel?
Der 55-Jährige hat in der Kürze viel Würze reingebracht: Mit solcher Stringenz und Konsequenz hat dieses Ensemble die letzten anderthalb Jahrzehnte nie verteidigt. Dazu verhinderten über viele Jahre interne Eifersüchteleien, dass Frankreichs Frauen auch nur einmal bei einem großen Turnier ins Endspiel kamen. Ob die EM 2025 in der Schweiz die ewige Titellosigkeit beendet, kann niemand seriös vorhersagen.
„Wir haben erst ein Spiel gemacht und können noch vieles besser machen“, beteuerte Bonadei. Sein Plan sei auf jeden Fall aufgegangen – und das Reservoir an Angreiferinnen mit Geschwindigkeitsvorteilen ist reichlich. Sein Lächeln auf der Pressekonferenz gegen Mitternacht verriet: Der Monsieur aus Marseille will gegen Wales in St. Gallen (Mittwoch 21 Uhr/ZDF) den Grundstein fürs Weiterkommen legen.
England muss nachlegen
Wiegman hingegen muss zusehen, dass der Aufenthalt im feinen Zürich nicht zum großen Reinfall wird. Bei einer Niederlage gegen ihr Heimatland Niederlande an selber Stelle (Mittwoch 18 Uhr/ZDF) wäre die Titelmission für die Vize-Weltmeisterinnen schon vorbei, ehe sie angefangen hat.
Vor allem ihre Außenverteidigerinnen müssen sich steigern. Links wirkte Jess Carter schlicht überfordert, und rechts spielte Lucy Bronze merkwürdig fahrig: Die offenen Flanken bestraften Frankreichs Torjägerin Marie-Antoinette Katoto (36.) und die Flügelstürmerin Sandy Baltimore (39.), deren Solo an der Außenlinie eine der dreisteten Täuschungsversuche nahe der Außenlinie in der EM-Geschichte sein könnte.
Lionesses wachen zu spät auf
Vermutlich wird die beim englischen Meister FC Chelsea spielende Torschützin diese freche Aktion so kaum mehr wiederholen können. Der Titelverteidiger trauerte zu lange dem nach einer Millimeterentscheidung vom deutschen Videoassistenten Christian Dingert aberkannten Führungstor von Alessia Russo hinterher (16.).
Erst nach dem Anschlusstreffer von Keira Walsh wirkten die „Lionesses“ wirklich bissig – aber da war es irgendwie schon zu spät (87.). Magische Momente hatte nur der von glücklichen Landsleuten unterstützte Gegner zu bieten.