Ein Forschungsaufenthalt an der Elite-Universität Harvard im US-Bundesstaat Massachusetts, davon haben schon viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geträumt. Für Marlon Possard ging der Traum im Sommer des Vorjahres in Erfüllung: Für drei Monate wechselte der Rechtsphilosoph von der FH Campus Wien an die Law School der Harvard University, um seine Recherchen zum Thema Desinformation und zur Staatsverweigererszene voranzutreiben.
Einen bereits vereinbarten, neuerlichen Gastaufenthalt im kommenden Herbst hat Possard nun abgesagt: „Ich habe in der Vergangenheit kritisch zu Trump publiziert“, erklärt er seinen Entschluss: „Und ich bin mir sicher, wenn ich jetzt in die USA einreisen möchte, werde ich mit dem nächsten Flieger wieder nach Wien-Schwechat zurückgeschickt.“ Die Entscheidung zur Absage traf Possard in Absprache mit Professorenkollegen in Harvard: „Ich war erstaunt, dass die mir eigentlich auch geraten haben, nicht zu kommen.“
Auswirkungen auf Konferenzen in den USA
Die Sorge vor Problemen bei der Einreise teilt Possard mit vielen anderen Forschenden rund um den Globus – vor allem mit jenen, die zu Themen recherchieren, die der Trump-Administration ein Dorn im Auge sind. Die Vertretung kanadischer Universitätsprofessoren CAUT hatte schon im April an ihre Mitglieder eine Reisewarnung für die USA ausgegeben. Und in den USA wurden zuletzt wissenschaftliche Konferenzen in andere Länder verlegt, in denen eine ungehinderte Anreise aller Teilnehmenden gewährleistet ist.
„Es werden auch laufend Konferenzen abgesagt, weil Forschende nicht in die USA einreisen wollen“, beobachtet Alexandra Lieben, Präsidentin von ASCINA, dem Netzwerk österreichischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Nordamerika. Berichte über österreichische Forschende, die Probleme bei der Einreise in die USA hatten, hätten sie noch nicht erreicht, sagt Lieben – sehr wohl aber von Wissenschaftlern aus anderen Herkunftsländern. Ende März hatte die Nachricht über einen französischen Forscher für Aufsehen gesorgt, dem wegen kritischen Äußerungen zur US-Forschungspolitik die Einreise in die USA verweigert worden war.
Studierende müssen Social-Media-Konten offenlegen
Wer ein Studierendenvisum für die USA beantragen möchte, wird neuerdings vom US-Außenministerium dazu angewiesen, die eigenen Social-Media-Konten von „privat“ auf „öffentlich“ zu stellen, um die Überprüfung zu erleichtern, wie es heißt.
„Social Screening“ nennt sich diese Praktik, bei der die gesamte Onlinepräsenz einer Person auf unerwünschte Äußerungen gescannt wird. „Innerhalb weniger Minuten sieht man, ob sich jemand kritisch zu Trump äußert oder nicht“, sagt Possard. „Unter fadenscheinigen Argumenten ist man dann plötzlich eine unliebsame Person.“
Repressionen gefährden Image von US-Eliteunis
Als Possard im Vorjahr das erste Mal an der Uni Harvard forschte, war Donald Trump noch nicht als US-Präsident wiedergewählt. Den Unicampus erlebte der Rechtsphilosoph als internationalen Schmelztiegel an Ideen und Perspektiven: „Harvard war eine Universität wie aus dem Bilderbuch“, sagt er.
„Als ich ankam, waren da Flaggen von allen Staaten der Welt, aus denen Menschen damals in Harvard zu studieren begonnen haben. Dieses Feeling werde ich nie vergessen.“ Doch seit jenem Tag, an dem Donald Trump ins Weiße Haus einzog, ist die US-Forschungslandschaft nicht mehr dieselbe: Kürzungen in Millionenhöhe zogen zuletzt Kündigungen und Projektstopps nach sich; Universitäten und andere Forschungseinrichtungen stehen seit Monaten unter Druck.
Ein Jahr nach seinem ersten Forschungsaufenthalt in Cambridge hat die Eliteuniversität Harvard für Possard – vorerst – an Reiz verloren. Abgesehen von etwaigen Problemen bei der Einreise schrecke ihn ab, dass man „nicht weiß, ob die Wissenschaftsfreiheit morgen oder übermorgen noch garantiert ist“. Auch deshalb nehme er von einer neuerlichen Gastforschung Abstand: „Als Wissenschaftler stehe ich zu meinen eigenen Prinzipien. Ich werde unter Umständen, wie sie aktuell unter Trump herrschen, nicht in Harvard forschen.“ Das Image der USA als Ort der unbegrenzten wissenschaftlichen Möglichkeiten hat längt zu bröckeln begonnen.