Beim „Lullabyte Sleep Concert“ übernachteten mehr als 70 Menschen gemeinsam zu den Klängen von Live-Musik. Ziel ist, dass sie möglichst gut schlafen – das Konzert also gar nicht hören. Was steckt dahinter?
Von Regine Bruckmann, rbb
In der Halle eines ehemaligen Bahngebäudes in Berlin Moabit ist der Betonfußboden mit Luftmatratzen ausgelegt. An dem warmen Sommerabend trudeln ab 21 Uhr die Teilnehmer des Konzertes im Zentrum für Kunst und Urbanistik (Z/KU) ein, suchen sich ein Plätzchen aus und verteilen ihre Decken und Kissen darauf. 24 Euro haben sie für ein Ticket bezahlt, um heute Nacht neun Stunden lang bei Live-Musik schlafen zu können.
Viele Erwachsene nutzen entspannende Musik, um besser einschlafen zu können. Dazu forscht die Musikerin und Wissenschaftlerin Miriam Akkermann. Ihr Forschungsprojekt „Lullabyte“ am musikwissenschaftlichen Seminar der FU Berlin soll zeigen, welche Effekte Musik auf den Schlaf hat und wie welche Art von Musik wirkt. Dabei arbeitet Akkermann seit 2022 in einem wissenschaftlichen Netzwerk mit Neurowissenschaftlern, Informatikern, Sound-Designern und Psychologen zusammen.
Der Name „Lullabyte“ ist Programm: „Lullaby“ ist englisch für Schlaflied, „Byte“ eine Einheit zur Darstellung von Daten.
Schlaflieder für Erwachsene
Das Konzept ist im Grunde uralt: Schlaflieder werden Kindern vorgesungen, um sie in den Schlaf zu wiegen. Doch für erwachsene Menschen gibt es etwas vergleichbares kaum. Wer singt schon seiner Partnerin oder seinem Partner zum Einschlafen etwas vor?
In diese Lücke stößt Miriam Akkermann mit ihren „Lullabyte Sleep Concerts“: „Als wir mit dem Projekt an die Öffentlichkeit gegangen sind, haben uns alle ihre Kinderlieder geschickt“, erzählt die Forscherin. Verbunden waren damit Erfahrungen, was „besonders gut funktioniert“ habe. „Aber alle unsere Projekte testen erwachsene Menschen. Deshalb möchten wir das anbieten: Ein Konzert mit Musikerinnen, die live für unser Publikum spielen, damit es gut schlafen kann.“
Manche mit Schlafanzug, manche mit Fluchtmöglichkeit
Wie funktioniert das in der Praxis? Die Menschen in der Konzerthalle sind neugierig und außerdem gut vorbereitet. Manche haben Schlafanzug und Zahnbürste mitgebracht, andere haben das Auto vor der Tür stehen lassen, um im Notfall in der Nacht die Halle zu verlassen und nach Hause fahren zu können.
Es ist schon etwas Besonderes, ein Konzert zu besuchen, das man sehr wahrscheinlich zum größten Teil verschlafen wird. An der Bar holt sich der eine oder die andere noch ein Wasser oder ein Bier. Die Veranstalter bitten darum, die gelb markierten Fluchtwege frei zu halten. Um 22 Uhr kehrt Ruhe ein, die Menschen liegen auf ihren Luftmatratzen, zum Teil in ihren Straßenkleidern auf dem Rücken, zum Teil tief vergraben unter den mitgebrachten Decken. Zwei Musikerinnen sitzen an ihren Laptops und beginnen, sanfte Klänge einzuspielen.
Wie klingen Bali und Brandenburg?
Miriam Akkermann hat für das Konzert zwei Komponistinnen aus dem Bereich der Neuen Musik eingeladen: Alice Eldridge von Universität Sussex und Kirsten Reese von der Universität der Künste Berlin. Wichtig für die Auswahl: Beide waren bereit, vor und nach ihrer eigentlichen Arbeit mit den Doktorandinnen aus dem Forschungsnetzwerk zusammen zu arbeiten.
Eldridge und Reese nutzen Fieldrecording für ihre Kompositionen, Aufzeichnungen von natürlichen Klängen. Diese mixen sie mit elektronischer Musik. Aufnahmeorte waren unter anderem Bali und Brandenburg. Der Soundmix klingt manchmal wie eine Aufnahme unter Wasser, dann wieder, als stünde man im Wald. Viele Vogelgeräusche sind zu hören. Auf das Publikum wirkt das offensichtlich beruhigend und einschläfernd. Nur wenige verlassen ihr Lager im Laufe der Nacht.
Nach dem Schlafkonzert haben die Forschenden für das Frühstück gesorgt – und für eine Auswertung.
Frühstück und Fragen inklusive
Wissenschaftlich verlässliche Daten liefert das „Lullabyte Sleep Concert“ nicht. Keiner der Schlafenden ist verkabelt, um die Gehirnströme während der Nacht aufzuzeichnen. Für Miriam Akkermann ist das Konzert eine künstlerische Intervention entlang der Fragestellungen ihrer Forschungsarbeit. Beim Frühstück am nächsten Morgen werden Fragebögen verteilt, auf denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer angeben können, wie sie geschlafen haben, wie ihnen die Musik gefallen und was sie gestört hat.
Nach und nach tauchen die Menschen auf der Terrasse des Z/KU auf – mit verschlafenen Gesichtern und verwuschelten Haaren. Ein Mann gibt an, er habe bis nachts um drei Uhr wach gelegen, unter anderem gestört vom knarzenden Geräusch der Luftmatratzen. Ein anderer berichtet begeistert, wie selbstverständlich sich der Klangteppich mit Schlaf und Träumen verwoben habe.
So scheint sich zu bewahrheiten, was Akkermann auf die Frage nach dem Charakter von schlaffördernden Klängen immer wieder antwortet: Es hänge zum Teil von kulturellen Prägungen ab, welche Art von Musik den Schlaf unterstützt, ob man Stille und Dunkelheit zum Schlafen bevorzuge oder Nachtlichter und Hintergrundklänge. Aber auch individuell sei das vollkommen unterschiedlich.