München – Einem Nicht-Münchner kann man das Phänomen „Schichtl“ schwer erklären – und einem sehr empfindsamen vielleicht gar nicht. Seit mehr als 150 Jahren werden in einer Schaubude auf dem Oktoberfest zahlende Gäste mit einer Guillotine vermeintlich geköpft. Jetzt ist der Wiesn-Henker tot. Ringo Praetorius (†82) starb Dienstagnacht in einer Münchner Klinik an Krebs.

Oktoberfest-Henker ist uralte Münchner Tradition

Ich lag gleich zweimal auf dem Schafott des geschminkten Galgenvogels. Einmal als Jugendlicher Ende der 80er. Weil damals der Henker auf der Bühne einen „Freiwilligen“ suchte, packte mein neben mir sitzender Freund Stefan meine Hand und riss sie hoch. Er lacht heute noch darüber. Vor einigen Jahren fiel das Beil noch einmal während meiner Reportage über die berühmteste Schaubude der Welt. Da wurde mir dann wegen der Fotos der muffige schwarze Sack über dem Kopf erspart.

„Auf geht's beim Schichtl!“ Prinzipal Manfred Schauer (72) beim „Rekommandieren“, dem Herbeischreien des Publikums von der Vorbühne des Varietés

„Auf geht’s beim Schichtl!“ Prinzipal Manfred Schauer (72) beim „Rekommandieren“, dem Herbeischreien des Publikums von der Vorbühne des Varietés

Foto: Markus Hannich

Der Wiesn-Henker ist eine der ältesten bayerischen Traditionen. Sogar in alten Karl-Valentin-Filmen ist die Schaubude Kulisse. Seit über 150 Jahren lachen die Besucher über das makabere Schauspiel. Und das, obwohl bis in die 40er Jahre in München-Stadelheim noch mit der Guillotine wirklich geköpft wurde.

1985 seine erste Hinrichtung

Der Münchner lacht über das, was ihm am meisten Angst macht. Das ist auch mit der Guillotine so, und mit dem Tod an sich. Im berühmten Volksstück Brandner Kasper (verfilmt u.a. von Bully Herbig) wird der Gevatter mit Kirschgeist abgefüllt. Schönster Galgenhumor!

„Er hatte seinen eigenen Lebensstil, war ein Freigeist“, erzählt Schichtl-Betreiber Manfred Schauer (72) BILD über seinen Henker. „Als wir beide im Sommer 1985 das erste Mal auf der Bühne standen, hatten wir beide keine Ahnung. 38 Jahre später spielten wir die 15.000ste Vorstellung.“

Fand seinen Henker über eine Empfehlung in der Großmarkthalle: Manfred Schauer (re.) mit Ringo Praetorius

Fand seinen Henker über eine Empfehlung in der Großmarkthalle: Manfred Schauer (r.) mit Ringo Praetorius

Foto: Felix Hörhager/dpa

„Ihn nicht zu mögen, war unmöglich“

Schauer hatte sich nach dem Kauf der Bude in der Großmarkthalle um einen neuen Henker umgehört. Schauer: „Dort traf ich einen, der mir von einem positiv Verrückten erzählte.“

Ringo war ein Tausendsassa. Der gelernte Bildhauer verdiente sein Geld mal als Türsteher, mal als Christbaum-Verkäufer. „Bei mir fing er als Henkersknecht an, nach dem Tod des Henkers in den 90er Jahren stieg er dann zum Henker auf. Er war ein Künstler, vom Scheitel bis zur Sohle. Ihn zu mögen, war nicht immer leicht. Aber ihn nicht zu mögen, war unmöglich.“

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Schon beim vergangenen Oktoberfest musste er krankheitsbedingt aufhören. Sein Schafott wurde dann der Krebs. Was bleibt, ist sein Rat an die Delinquenten bei der Hinrichtung: „Kopf hoch, dann stirbt‘s sich leichter!“

Praetorius’ Nachfolger wird der bisherige Henkersknecht Martin Kollmann.