Sie stehen vor Botschaften, Schulen oder fahren Streife an den Wohnhäusern bedrohter Personen vorbei: Für die Berliner Polizei wird der zunehmende Schutzbedarf für gefährdete Objekte und Personen immer mehr zur Belastung.
Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel sagte nun im Abgeordnetenhaus, dass inzwischen knapp 400 Stellen aus dem Vollzugsdienst für Objektschutz abgestellt sind und dort aushelfen müssen. „Auch weil es aufgrund der internationalen Bedrohungslage nicht anders möglich ist“, sagte Slowik Meisel.
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Das bedeutet: Immer mehr Beamte der fünf örtlichen Direktionen, der Hundertschaften, des Verkehrsdienstes und des Landeskriminalamtes müssen jetzt also aushelfen, Streifen fahren und Schutzposten besetzen, weil die 1400 Tarifbeschäftigten die Arbeit nicht mehr schaffen.
Ab 21. Juli werden 384 Vollzeitstellen aus dem Vollzugsdienst für den Objektschutz abgestellt. Zuvor waren es 304. Damit steigt der Bedarf an Beamten, die aushelfen müssen, um 25 Prozent. Grund ist laut den internen Vorgaben eine erneut steigende Zahl von Schutzobjekten, die weiterhin nicht mit dem vorhandenen Personal beim Zentralen Objektschutz abgedeckt werden können.
Sommerferien führen zu Engpass beim Personal
Es sei nicht damit zu rechnen, dass die Zahl der Schutzobjekte sinke. Aktuell sind es 700, darunter 170 Botschaften, weitere diplomatischen Einrichtungen, jüdische Einrichtungen wie Synagogen, Schulen und Kindergärten oder Regierungsgebäude von Bund und Land.
Trotz interner Straffung beim Objektschutz und Personalabordnungen aus den Gefangenensammelstellen gebe es einen erheblichen Unterstützungsbedarf. Täglich sei eine Bedarfsmeldung nötig. Das Defizit werde mit Beginn der Sommerferien und der Urlaubssaison noch größer. Daher müssten Beamte aus dem Vollzugsdienst müssten daher weitere Objektschutzaufgaben übernehmen.
400 Beamte fehlen auf Wachen, Einheiten und Funkwagen
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist ernüchtert. „So kann es definitiv nicht weitergehen“, sagte der Berliner GdP-Sprecher Benjamin Jendro dem Tagesspiegel.
Er machte einen Vergleich auf: „Wir reden über fast 400 Vollzugsbeamte, die auf den Wachen, im Funkwagen, bei den Einsatzhundertschaften und beim Landeskriminalamt fehlen, weil sie nur noch für Objekt- und Personenschutz im Einsatz sind. Das sind zwei komplette Polizeiabschnitte.“
Die ständig steigenden Anforderungen für Personen- und Objektschutz seien eine unglaubliche Mehrbelastung für die Polizei Berlin, „die sich mit den vorhandenen Strukturen nicht mehr abbilden lässt“, sagte Jendro. „Wir sind nicht für Kriegszeiten aufgestellt.“
Wir werden die Weltlage nicht beeinflussen können, aber wir müssen auf die Weltlage reagieren können.
Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei in Berlin.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine vor dreieinhalb Jahren sei zu erkennen, dass der Objektschutz den Schutzbedarf nicht mehr abdecken könne. „Die Lage in Nahost verschärft die Probleme, wir schlittern von einem globalen Konflikt in den nächsten, ohne dass absehbar mal Normalität einkehrt“, sagte Jendro. Das sei längst ein Dauerzustand.
Zuständig für die Bewertung, ob und welche Objekte und Personen gefährdet und bedroht sind, sei der für politische Straftaten zuständige Staatsschutz beim Landeskriminalamt (LKA). Doch das sei „reine Glaskugelleserei, gerade weil es nicht mehr nur um Netzwerke, sondern auch Einzeltäter geht, die selbst ausländische Nachrichtendienste selten auf dem Schirm haben“, sagte Jendro.
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Die GdP erwarte, dass der Berliner Senat endlich auf die angespannte Lage reagiere. „Dazu gehört die Anschaffung von Technik, damit wir zum Beispiel gefährdete Objekte mittels intelligenter Videoüberwachung und gefahrenabwehrenden Eingangsbereichen schützen können und nur im Ernstfall Personal bereitstellen müssen“, sagte Jendro. „Wir werden die Weltlage nicht beeinflussen können, aber wir müssen auf die Weltlage reagieren können.“