Europäische Investoren bereiten sich auf eine entscheidende Berichtssaison für das zweite Quartal vor. Diese dürfte erstmals aussagekräftige Einblicke liefern, wie Unternehmen mit der neuen Ära der Handelsvolatilität umgehen und – entscheidend – wie widerstandsfähig ihre Aktienkurse bleiben.

Nach dem zollbedingten Ausverkauf im April, ausgelöst durch umfassende Zollerhöhungen von US-Präsident Donald Trump, die anschließend für 90 Tage ausgesetzt wurden und damit das gesamte zweite Quartal betrafen, erlebten die Märkte eine klassische V-förmige Erholung auf Rekordhöhen.

Der europäische STOXX 600 notiert nahe seines Allzeithochs. Dennoch erwartet LSEG I/B/E/S für die Unternehmen im Index einen Gewinnrückgang von 0,2 % im zweiten Quartal, nachdem im Vorquartal noch ein Wachstum von 2,2 % verzeichnet wurde.

,,Die Daten für das zweite Quartal werden schwer zu interpretieren sein“, sagt Mohit Kumar, Chefvolkswirt Europa bei Jefferies.

,,Die entscheidende Frage lautet: Wie sieht die Prognose aus? Das ist viel wichtiger als die Höhe der Gewinne.“

Im letzten Quartal zogen ungewöhnlich viele Unternehmen ihre Prognosen zurück – eine Folge von Trumps wechselhafter Handelspolitik. Eine Analyse von Barclays ergab, dass die Stimmung hinsichtlich der Prognosen so schwach war wie seit der COVID-19-Pandemie nicht mehr.

,,Es gibt zollbedingte Auswirkungen, die der Markt meines Erachtens noch nicht vollständig einordnet“, sagt Luke Barrs, Leiter des Fundamental Equity Client Portfolio Managements bei Goldman Sachs Asset Management.

,,Wir können konzeptionell verstehen, was das bedeutet, und wir können die Herausforderungen nachvollziehen, die dadurch entstehen. Aber ich glaube nicht, dass wir bereits gesehen haben, wie sich das tatsächlich auf den Markt auswirkt.“

Mit dem Auslaufen der 90-tägigen Schonfrist ist die Unsicherheit zurückgekehrt. Trump hat 14 Länder, darunter die wichtigen Exporteure Japan und Südkorea, über bevorstehende Zölle informiert, sofern bis zum 1. August keine Einigung erzielt wird.

Zudem hat er die Handelsspannungen durch Zölle auf Kupfer, Halbleiter und Pharmazeutika verschärft. Europa blieb bislang verschont.

Der STOXX hat 2025 bislang 8 % zugelegt, verglichen mit rund 6 % beim S&P 500. Damit verzeichnet er seine zweitbeste Entwicklung gegenüber dem US-Index zu diesem Zeitpunkt im Jahr seit 20 Jahren – abgesehen von 2022, als er weniger stark fiel als der S&P.

Gestiegene Kapitalströme aus den USA in europäische Anlagen haben dazu beigetragen. Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall und der Softwarekonzern SAP trieben die Rallye an, ebenso wie europäische Banken, die sich den Niveaus vor der Finanzkrise 2008 nähern.

ABWERTUNGEN NEHMEN FAHRT AUF

Analysten korrigieren ihre Gewinnprognosen für 2025 seit 55 Wochen in Folge stetig nach unten, wenngleich sich das Tempo der Abwertungen seit Mai verlangsamt hat. Für das Gesamtjahr wird nun ein Gewinnwachstum von 3 % erwartet – zu Jahresbeginn waren es noch 8 %.

,,In den meisten Regionen und Sektoren gibt es mehr Ab- als Aufwertungen“, sagt Dennis Jose, Chefaktienstratege bei BNP Paribas CIB.

Abwärtskorrekturen der Gewinnerwartungen vor der Berichtssaison bedeuten oft, dass Aktien in dieser Phase gut abschneiden können, da die Hürden für positive Überraschungen niedriger sind.

Binky Chadha, Chefstratege der Deutschen Bank, meint, dass die aktuell geringe Aktiengewichtung diesen Effekt verstärken könnte.

,,Das Ausmaß der Kursgewinne hing bislang umgekehrt von der Positionierung ab. Da diese diesmal leicht unter dem neutralen Niveau liegt, spricht das für eine weitere Rallye“, so Chadha.

Die Bewertungen spiegeln diesen Optimismus wider: Der STOXX 600 wird mit dem 14,2-fachen der erwarteten Gewinne gehandelt – fast so hoch wie seit drei Jahren nicht mehr, aber noch deutlich hinter dem S&P 500 mit

21,9.

WÄHRUNGSEFFEKTE SPÜRBAR

Die Stärke des Euro entwickelt sich zum nächsten Problem. Der Dollar hat unter Trumps Zollpolitik stark nachgegeben, was den Euro bislang um mehr als 13 % steigen ließ. Einige Analysten halten einen Anstieg auf 1,20 US-Dollar in den kommenden Monaten für möglich – aktuell liegt der Kurs bei etwa 1,17 US-Dollar.

Das stellt für die exportorientierten Unternehmen im STOXX 600 ein Problem dar, da sie nur 40 % ihres Umsatzes in Europa erzielen – beim S&P 500 sind es rund 70 %.

UBS-Analysten erwarten, dass die Auswirkungen sektorspezifisch ausfallen: Währungsschwankungen dürften eher die Margen als die Umsätze belasten.

,,Gerade im Bereich der größeren Unternehmen in Europa haben die meisten sehr gute Kontrollen und kennen ihre Umsatzexponierung genau“, sagt GSAM-Manager Barrs.

,,Natürlich gibt es immer Szenarien, in denen Unternehmen mit hohen externen Umsätzen, die ihre Gewinne in Euro ausweisen, das Währungsrisiko nicht optimal gemanagt haben und den Markt überraschen – aber das wird die Ausnahme bleiben.“